Rot-blaue Koalition in Österreich:Im Kampf gegen die Kellernazis

Eröffnung MGC Fashion Park Wien 31 05 2011 Georg MUZICANT mit Vater Ariel MUZICANT

Österreicher, Sozialdemokrat und Jude: Ariel Muzicant verwahrt sich gegen die Annäherung seiner Partei an die FPÖ.

(Foto: imago/SKATA)
  • Ariel Muzicant ist Österreicher, Sozialdemokrat und Jude, er hat viele Jahre die Wiener Kultusgemeinde geleitet, derzeit ist er Vizepräsident im European Jewish Congress.
  • Er streitet sich seit langem mit den Rechtspopulisten der FPÖ, die er als "Kellernazis" bezeichnet - und mit denen seine Partei, die SPÖ, jetzt im Burgenland koaliert.
  • Auch andere SPÖ-Genossen fassen sich an den Kopf und fragen, wie sie Wahlkampf machen sollen gegen die FPÖ.

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Ariel Muzicant hat eine lange, schwierige Geschichte mit der FPÖ, den Rechtspopulisten Österreichs, und ein Teil dieser Geschichte ist das Wort "Kellernazis". Kellernazi ist laut Definition eines früheren FPÖ-Politikers jemand, der "privat, aber nicht öffentlich nationalsozialistischem Gedankengut nahesteht" und ein ambivalentes Verhältnis zur NS-Geschichte habe.

Ein Publizist hatte den Begriff vor Jahren zitiert und musste bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gehen, um durchzufechten, dass es Teil der Meinungsfreiheit sei, das Wort im Zusammenhang mit einzelnen Mitgliedern der Freiheitlichen Partei Österreichs, den "Blauen", zu benutzen.

Seither sagt Ariel Muzicant oft und gern "Kellernazis", das sei schließlich "ausprozessiert". Er steht sogar im Impressum einer Webseite, die "Kellernazis in der FPÖ" heißt. Und er sagt es derzeit mit besonderer Verve, weil die SPÖ im Burgenland wenige Tage nach einer krachend verlorenen Wahl jetzt ihre neue Koalitionsregierung präsentiert hat. Mit im Boot: die FPÖ.

Muzicant ist Sozialdemokrat und Jude, viele Jahre lang hat er die Wiener Kultusgemeinde geleitet, derzeit ist er Vizepräsident im European Jewish Congress. Mindestens ebenso lange hat er sich mit den Rechten angelegt, hat zahlreiche Rechtsstreitigkeiten ausgefochten, hat den einstigen FPÖ-Chef Jörg Haider gezwungen, mehrere Ehrenerklärungen abzugeben, um den Satz aus der Welt zu schaffen: "Der Herr Ariel Muzicant: Ich verstehe überhaupt nicht, wie wenn einer Ariel heißt, so viel Dreck am Stecken haben kann."

Jetzt sitzt er in seinem Büro in der Wiener Innenstadt und leidet an seiner Partei, der SPÖ, der er "reinen Machterhalt" vorwirft. Denn eigentlich gab es einen Parteitagsbeschluss, der den Sozialdemokraten Koalitionen mit den Freiheitlichen untersagte. Und eigentlich, findet Muzicant, müsse es doch klar sein, dass man nicht "in die Nähe einer Partei kommen" dürfe, die "mit Hetze und Menschenverachtung agiert".

Montags und mittwochs auf Distanz zum Nationalsozialismus

"Die FPÖ", sagt der 63-jährige Immobilienunternehmer, "versucht glaubhaft, den rechtsextremen Touch, den sie hatte, loszuwerden - zumindest in Erklärungen und mit Parteiausschlüssen. Gleichzeitig hat die Partei zwei Seiten, die nicht zusammenpassen: die Wähler und die Funktionäre."

Die Funktionärsschicht bestehe nachweislich vor allem in Wien zu einem Teil aus Kellernazis, "das sind Leute, die sich offiziell montags, mittwochs und freitags vom Nationalsozialismus distanzieren, und, wenn keiner dabei ist, in diesem Gedankengut schwelgen. Heimat, Blut, Boden. Und dann argumentieren sie, man könne national sein, ohne nationalsozialistisch zu sein. Da sind die Grenzen fließend."

Parteichef Heinz Christian Strache gestehe er zu, sagt Muzicant, dass der sich "von denen" glaubhaft abgewendet habe: "Aber gleichzeitig ist er keiner, der einen Strich macht und sagt: Mit denen will ich in meiner Partei nichts mehr zu tun haben."

Österreich rechts von der Mitte

Einige seiner Parteifreunde wiederum können die Empörung von Ariel Muzicant nicht verstehen. Der alte und neue Landeshauptmann im Burgenland, Hans Niessl, verweist mit Genugtuung darauf, dass er in einer Urabstimmung eine Mehrheit für die Frage bekommen habe, ob man "mit allen Parteien" verhandeln solle. Und die FPÖ im Burgenland sei ohnehin anders, nicht hetzerisch.

Pikantes aus Straches Grätzl

Im Bund soll die SPÖ trotzdem auch in Zukunft nicht mit der FPÖ koalieren, so hat es Kanzler Werner Faymann am Montag gesagt, aber in den Ländern sieht die Sache anders aus. Ohnehin umwirbt derzeit auch die ÖVP in der Steiermark die FPÖ, und es dürfte wohl bald schon schwarz-blau in Graz geben.

Im Oktober stehen dann Wahlen in Wien an; dort fassen sich die Genossen an den Kopf und fragen, wie sie Wahlkampf machen sollen gegen einen Gegner, der derzeit in Umfragen bei 30 Prozent liegt, und der nun, zumindest auf Landesebene, die Absolution der Bundes-SPÖ hat.

Ariel Muzicant, der seit seinem vierten Lebensjahr in Wien lebt, hier drei Kinder und acht Enkelkinder großgezogen hat und doch bisweilen, an ganz schwarzen Tagen, über die Auswanderung nach Israel nachdenkt, sagt dazu: "Jedes Land braucht ein Ventil der Unzufriedenheit. Und wenn es in Deutschland, wo man etwas aus der Geschichte gelernt hat, eine extreme Linke gibt, so ist es in Österreich eine extreme Rechte. Aber dieses Land rückt immer mehr nach rechts von der Mitte. Es wird immer intoleranter, immer ausländerfeindlicher."

Am Wochenende hatte die FPÖ-Homepage im Parteibezirk Wien-Landstraße Schlagzeilen gemacht, dem pikanterweise Bundesparteichef Strache vorsteht. Dort war unter anderem die "Rückführung auch aller legal in Österreich lebenden Ausländer"gefordert worden, die nicht aus dem ehemaligen Kaiserreich stammen. Während ihrer Verfahren sollten Asylbewerber eingesperrt werden.

Strache hatte dies als "nicht legitimierte Einzelmeinung" relativiert. Muzicant sieht darin jedoch System. Das sei "kein Ausrutscher eines einzelnen Funktionärs, sondern Kalkül. Es gibt viele Menschen in der FPÖ, die auf dieser Klaviatur spielen."

Gut möglich aber auch, dass das, was das prominente Mitglied der Israelitischen Kultusgemeinde schneidend formuliert, zunehmend eine Einzelmeinung ist in Wien: "Werden diese Leute sich morgen umdrehen und wieder Antisemiten sein? Eher nicht. Ich sehe keine große Gefahr einer großen antisemitischen Welle. Aber das, was die vor 20, 30 Jahren mit den Juden gemacht haben, machen sie jetzt mit den Muslimen. Das ist derselbe Dreck, nur mit anderen Vorzeichen."

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