Ökologie:Invasion der Kaninchenfische

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Quallen aus dem Roten Meer sind ein Problem geworden im Mittelmeer. Durch die Erweiterung des Suezkanals könnten noch mehr von ihnen einwandern. (Foto: Tarik Tinazay/AFP)

Die Passage eröffnet vielen Meerestieren den Weg nach Norden, ins Mittelmeer. Das klingt nach mehr Artenvielfalt, kann aber sehr unangenehme Folgen haben für Menschen und Tiere.

Von Hanno Charisius

Nicht nur Schiffe schwimmen durch den Suezkanal. Wer eine Taucherbrille und viel Geduld mitbringt, kann unter Wasser eine kleine Völkerwanderung beobachten. Fische und andere Meeresbewohner ziehen vor allem aus dem Roten Meer in den Norden, um das Mittelmeer als neuen Lebensraum zu erobern. Bislang kamen bereits mehr als 450 neue Arten. Das klingt zunächst positiv, nach mehr Artenvielfalt. Aber einige der zugereisten Tiere führen sich äußerst aggressiv auf. Im östlichen Mittelmeer haben pflanzenfressende immigrierte Kaninchenfische riesige Seetangfelder abgegrast und dadurch heimische Fischarten und Fischer in Existenznot gebracht. Auch Quallen aus dem Roten Meer sind zu einem Problem geworden, für die Tourismusbranche und Fischer, weil die Glibberwesen Fischlarven fressen und die Netze unbrauchbar machen. Die Quallen sabotieren sogar israelische Kraftwerke. Es kam bereits vor, dass riesige Quallenschwärme deren Kühlwasserzuleitungen blockierten.

Es klingt so, als könnte die Lage im südöstlichen Mittelmeer nicht noch schlimmer werden. Doch genau das befürchten einige Wissenschaftler, ausgelöst durch die Erweiterung des Suezkanals. Die breitere Fahrbahn werde die Probleme verschärfen, warnen 18 Meeresforscher in einem Brief an das Fachblatt Biological Invasions. Bereits vor der Erweiterung sei der Suezkanal einer der weltweit gefährlichsten Invasionskorridore für Meereslebewesen gewesen. "Mit jeder Erweiterung des Kanals in der Vergangenheit sind neue invasive Arten in das Mittelmeer vorgedrungen", sagt die israelische Marinebiologin Bella Galil vom Nationalen Institut für Ozeanografie in Haifa, die das Schreiben mit initiiert hat. Wegen der Erwärmung des Mittelmeers durch den Klimawandel fänden die Zuzügler außerdem sehr angenehme Lebensumstände vor und hätten es leicht, heimische Arten zu verdrängen. "Es kommen ja nicht alle Arten aus dem Roten Meer, sondern nur die anpassungsfähigsten." Seit zehn Jahren gehen Mittelmeerfischern sogar immer wieder hochgiftige Kugelfische in die Netze, die eigentlich im Pazifik leben. Bislang sind nur wenige Arten in umgekehrter Richtung ins Rote Meer vorgedrungen.

Ägyptische Wissenschaftler spielen die ökologischen Probleme herunter

Durch die wiederholte Vergrößerung des Kanals seit seiner Eröffnung im Jahr 1869 seien einige natürliche Barrieren für die Invasoren aus dem Süden zusammengebrochen, erklärt der griechische Meeresökologe Stelios Katsanevakis. Damit meint er unter anderem Unterschiede in der Wassertemperatur und der Salzkonzentration. Als der Kanal eröffnet wurde, schwankten Salzgehalt und Temperatur je nach Streckenabschnitt noch sehr stark, was viele Meeresbewohner von einer Passage abhielt. Mit jeder Ausbaustufe im Laufe der Jahrzehnte haben sich die Unterschiede jedoch mehr und mehr ausgeglichen. Außerdem habe sich die Strömung durch den Kanal beschleunigt, sagt Katsanevakis, das erleichtere den Tieren den Durchschlupf.

Eine Gruppe ägyptischer Wissenschaftler glaubt hingegen nicht, dass sich die Probleme im Mittelmeer verschärfen werden. Zu diesem Fazit kommen die Forscher in ihrem Bericht nach einem von der Regierung organisierten Workshop Ende Februar. Schließlich werde kein neuer Kanal gegraben, sondern der bestehende bekomme lediglich ein "Upgrade". Durch Eingriffe des Menschen in der Natur komme es immer wieder zu Störungen des ökologischen Gleichgewichts. Es sei zudem gar nicht bewiesen, dass alle Invasoren selbst durch den Kanal schwimmen, sie könnten auch in den Ballastwassertanks von Schiffen durch die Straße von Gibraltar ins Mittelmeer gelangt sein. Man dürfe zudem nicht vergessen, dass auch nützliche Arten migrieren und den Mittelmeerfischern als neue Einkommensquelle dienen. Außerdem würden durch die Passage große Mengen Treibstoff gespart, was ja ein Nutzen für die Umwelt sei.

Auch wenn einige ägyptische Patrioten eine zionistische Verschwörung hinter dem Warnruf der 18 Forscher wittern, sind sich die Kanalkritiker und die ägyptischen Wissenschaftler darin einig, dass es wichtig wäre, systematisch zu erfassen, welche Tiere durch den Kanal wandern. Dann kann man das Ausmaß des Problems verstehen. Bislang gebe es dafür noch keine internationale Strategie, kritisiert der Zoologe und Mitverfasser des Briefs, Ferdinando Boero von der Università del Salento im italienischen Lecce. Vor allem die reichen Staaten, deren Handelsschiffe die Suez-Passage nutzen, sollten dies nach Ansicht Boeros vorantreiben. Als mögliche Maßnahmen gegen die Unterwassermigration schlagen er und seine Co-Autoren Schleusen vor, so wie sie auch im Panamakanal installiert seien.

© SZ vom 06.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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