NSU-Prozess:"Die sind nicht von mir"

In einer wichtigen Frage vor dem Oberlandesgericht München greift die Angeklagte Beate Zschäpe selbst zum Mikrofon. Ihr Verteidiger hat sie in die Bredouille gebracht.

Von Wiebke Ramm

Es geht hoch her an diesem Tag im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München. Beate Zschäpes Verteidiger Hermann Borchert befragt Psychiater Henning Saß detailliert zu dessen Gutachten, das für Borcherts Mandantin überaus ungünstig ausgefallen ist. Borchert fragt und fragt - und offenbart mit einem Mal Wissen, das Irritation unter den Prozessbeteiligten auslöst. Plötzlich meldet sich sogar Zschäpe zu Wort. Es ist der Moment, an dem Borcherts Befragung außer Kontrolle zu geraten droht.

Es geht um einen Brief, den Zschäpe 2013 an Robin S., einen damals inhaftierten Neonazi, geschrieben hat. Darin gibt sich Zschäpe flirtend, manipulativ und selbstbewusst. So schreibt es Psychiater Saß in seinem Gutachten. Zschäpe wirke in dem Brief nicht wie eine schwache, ohnmächtige Person. Also nicht so, wie sie sich vor Gericht darzustellen versuchte. Zschäpe hatte über ihre Anwälte vor Gericht angegeben, sie habe von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt immer erst hinterher von den zehn Morden und zwei Bombenanschlägen erfahren. Sie sei entsetzt über die Taten gewesen, habe sich aber aufgrund emotionaler Abhängigkeit nicht von Mundlos und Böhnhardt lösen können.

Es geht um einen Brief an einen einst inhaftierten Neonazi

Saß kommt zu dem Schluss: Zschäpes angebliches Entsetzen über die Taten sei wenig überzeugend. Eine emotionale Erschütterung, gar Reue sei aus den vorgetragenen Worten nicht hervorgegangen. Die Einlassungen seien "unpersönlich" und "emotionsarm" gewesen. Zschäpes Brief an Robin S. zeige hingegen, dass sie sehr wohl in der Lage sei, Gefühle auszudrücken. In Bezug auf die vorgeworfenen NSU-Taten aber habe sie kaum Betroffenheit gezeigt.

Zschäpe und ihr Anwalt Borchert überraschen an diesem Tag mit der Erklärung, nicht jedes Wort in dem Brief an Robin S. stamme wirklich von Zschäpe. Laut Borchert hat Zschäpe einige Worte und auch eine Ente, die sie an den Rand gezeichnet hatte, "von einer Karte aus dem Internet" übernommen. "Ist das so zutreffend?", fragt der Richter. Zschäpe nickt nicht bloß, wie sie es gewöhnlich tut. Sie greift zum Mikrofon und sagt: "Die Worte sind nicht meine eigenen. Die sind nicht von mir." Um welche Worte es genau geht, bleibt unklar.

Es ist ein Nebenklagevertreter, der nachfragt, wie denn Zschäpe in der Untersuchungshaft das Internet nutzen könne. Borchert erklärt: Zschäpe könne natürlich nicht im Internet surfen. Sie habe jene Karte einfach per Post erhalten. Zschäpes überraschende Wortmeldung wirft nicht nur inhaltliche Fragen auf, sie steht auch im Widerspruch zu den Angaben ihrer Verteidigung, sie sei psychisch nicht in der Lage, sich selbst vor Gericht zu äußern.

Saß zeigt sich von Borcherts Fragen unbeeindruckt. Sollte das Gericht Zschäpe als NSU-Terroristin verurteilen, sehe er keine Hinweise dafür, dass sie sich glaubhaft von den Verbrechen des NSU distanziert habe, trägt er nicht zum ersten Mal vor. Saß hat mehrfach betont, dass die beste Grundlage für ein Gutachten das Gespräch mit der Angeklagten ist. Zschäpe hat das Gespräch mit Saß verweigert. Dass sie in der Lage ist, auch spontan zu sprechen, hat sie an diesem Tag gezeigt.

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