NSU-Prozess:Die seltene Krankheit des Enrico T.

Früher waren sie Kumpels, Enrico T. und NSU-Terrorist Uwe Böhnhardt. Zusammen klauten sie Autos und verübten Einbrüche. Bei einer Polizeibefragung vor zwei Jahren gab T. an, sein nun toter Freund habe etwas mit einem Kindsmord in Jena zu tun. Vor Gericht kann er sich - wieder einmal - kaum daran erinnern.

Aus dem Gericht von Tanjev Schultz

Nach etlichen zähen Stunden fragt ein Anwalt den Zeugen, ob er gesundheitliche Probleme habe. Wegen seines auffallend schlechten Erinnerungsvermögens. "Es ist eben so: Ich erinnere mich an manches - und an manches nicht mehr", antwortet Enrico T., Zeuge im NSU-Prozess. Er bringt das Gericht mal wieder an den Rand der Verzweiflung. Eine weitere Anwältin hakt nach. "Leiden Sie an einer Krankheit, unter der Ihre Erinnerung leidet?" - "Nicht, dass ich wüsste."

Enrico T., 39, war in seiner Jugend ein Kumpel des späteren NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt. Sie gehörten zu einer Gang in Jena, die Einbrüche verübte und Autos klaute. Bei einer polizeilichen Vernehmung vor zwei Jahren lenkte Enrico T. auf den toten Böhnhardt den Verdacht, dieser könnte 1993 etwas mit einem bis heute unaufgeklärten Kindsmord in Jena zu tun gehabt haben. Damals war Enrico T. unter Verdacht geraten, ohne dass sich dieser erhärten ließ.

Befragt zu dem Kindsmord und seinen Angaben zu Böhnhardt, äußert sich der Zeuge vor Gericht nur noch sehr spärlich. Die Leiche des Kindes war damals am Ufer der Saale gefunden worden. Enrico T. besaß ein Boot, mit dem er gelegentlich auf dem Fluss herumfuhr. Er versteckte damals offenbar Diebesgut in einem Brückenpfeiler. Und dort will er auch einmal Uwe Böhnhardt gesehen haben. Es habe deshalb Streit gegeben - so gab es T. bei der Polizei zu Protokoll. Aber vor Gericht weiß er das alles angeblich nicht mehr so genau.

Eine Nebenklage-Vertreterin bezichtigt T. der Lüge

Enrico T. wird von Ermittlern eine hohe kriminelle Energie zugeschrieben. Er soll früher Waffen besessen haben, woran er sich aber mal wieder nicht erinnert. Er könnte zudem ein Zwischenglied bei der Beschaffung der Ceska-Pistole gewesen sein, mit der die NSU-Terroristen in den Jahren 2000 bis 2006 neun Menschen ermordet haben sollen. Enrico T. bestreitet, etwas mit dieser Waffe und ihrer Beschaffung zu tun gehabt zu haben.

Monoton gibt Enrico T. an diesem 122. Verhandlungstag vor dem Oberlandesgericht München fast immer nur eine Antwort: "Weiß ich nicht, ich kann mich nicht erinnern." Sogar bei Begebenheiten, die nur wenige Wochen zurückliegen, beruft sich Enrico T. auf sein schlechtes Gedächtnis.

Die Nebenklage-Vertreterin Edith Lunnebach wirft ihm deshalb vor zu lügen. Sein Verhalten könnte als Aussageverweigerung gewertet werden. Enrico T. ist in einem anderen Verfahren bereits einmal wegen Falschaussage verurteilt worden. Ein Vertreter der Bundesanwaltschaft kündigt an, auch das Verhalten am Mittwoch im NSU-Prozess werde noch Konsequenzen für Enrico T. haben.

Enrico T. wird gefragt, ob er mal als V-Mann tätig gewesen ist, für die Polizei oder den Verfassungsschutz. Er wisse nicht, wie das gemeint sei, sagt er. Ob er denn den Ermittlungsbehörden Informationen mitgeteilt habe? "An so etwas kann ich mich nicht erinnern. Ich denke, eher nicht."

Im Nicht-Mitteilen hat Enrico T. großes Talent, das zumindest hat er vor Gericht gezeigt.

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