Nazi-Verbrecher Alfred Rosenberg:Tagebuchnotizen von Hitlers Chef-Ideologen aufgetaucht

Alfred Rosenberg lieferte Hitler und der NSDAP den programmatischen Unterbau und half beim Holocaust. Nun fanden sich verschollene Tagebuchaufzeichnungen des Nazi-Verbrechers in den USA.

Von Oliver Das Gupta

Adolf Hitler und Alfred Rosenberg, 1938 SZ Photo

Adolf Hitler und Alfred Rosenberg im Jahr 1938.

(Foto: SZ Photo)

Adolf Hitler scheint für die Antike nichts übrig gehabt zu haben. "Nein, das Altertum kann uns kein Vorbild sein", soll der Nazi-Tyrann bei einem Mittagessen getönt haben, "es hat uns die schlimmsten Seuchen der Menschheit beschert, das Christentum und die Syphilis".

Kolportiert hat das braune Gebrabbel Hitlers Gesprächspartner Alfred Rosenberg, Chefideologe der NSDAP und Reichsminister für die besetzten Ostgebiete. Der Nachwelt überliefert wurde Hitlers Spruch wiederum durch einen Spiegel-Artikel von Robert Kempner. Der in Freiburg geborene Amerikaner gab darin 1948 Insiderwissen preis.

Als US-Ankläger bei den Nürnberger Prozessen hatte Kempner gefangene Nazigrößen wie Reichsmarschall Hermann Göring verhört. Die Altertums-Passage stammte allerdings aus Rosenbergs Tagebuchaufzeichnungen, die Kempner damals offenbar exklusiv zitieren konnte: Der Ankläger hatte offenbar ein paar Dokumente nach Ende der Prozesse mitgehen lassen - so zumindest die Vermutung von US-Behörden. Nach seinem Tod 1993 kamen peu à peu einige der Rosenberg-Papiere zum Vorschein. Die Aufzeichnungen Rosenbergs sind verstreut: Manche Jahrgänge sind längst publiziert, andere könnten in russischen Archiven schlummern.

Nun, fast 67 Jahre nach Rosenbergs Hinrichtung, tauchen weitere Papiere auf: Wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtet, liegen dem United Staates Holocaust Memorial Museum 400 Seiten vor. Möglicherweise stammen die nun aufgetauchten Papiere von Kempner oder aus dem Bestand von Kempners Sekretär. Es soll sich um eine lose Sammlung von Tagebuchnotizen handeln, die Rosenberg zwischen 1936 und 1944 abgefasst hat.

Die Washingtoner Forscher analysieren die Papiere, über den Inhalt ist bislang wenig bekannt. Spannungen innerhalb der NS-Führung nach dem England-Flug des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß 1941 sollen darin enthalten sein, ebenso sei die Kunst-Plünderung besetzter Gebiete ein Thema, die Rosenbergs Leute organisierten. Reuters' Digital-Chef Jim Roberts twitterte über die Dokumente, sie "beschreiben Pläne für Massenmorde".

Abwegig ist das nicht. Der aus dem Baltikum stammende Rosenberg war ein fanatischer Judenhasser und Nazi der ersten Stunde. 1919 lernte er Hitler kennen und schloss sich der Bewegung an. Er marschierte wenige Meter hinter dem Österreicher, als der sich 1923 an die Macht putschen wollte.

Er forcierte mit widerlichen Schriften wie "Unmoral im Talmud" (1920) und "Der staatsfeindliche Zionismus" (1922) den Antisemitismus der NSDAP und ihres Umfeldes. Sein pseudo-philosophisches Pamphlet "Der Mythus des 20. Jahrhunderts" zelebrierte den Judenhass und den angeblichen Kampf der Rassen. Alfred Rosenberg lieferte der NSDAP und Hitler den programmatischen Unterbau.

Für die antisemitische Ausrichtung der Nazis sei Rosenberg "der wichtigste Kopf in Hitlers Mannschaft gewesen", schreibt sein Biograf Ernst Piper. Zeitgenossen schilderten Rosenberg als "Parteipapst" und den Mann, der Hitler erziehen konnte. US-Ankläger Kempner nannte ihn den "Weltanschauungschef" Hitlers. Zwischen dem Ober-Nazi und ihn passte ideologisch wohl kein Blatt Papier, doch die Intensität seines Einflusses auf den Tyrannen schwankte.

Mit der "Machtergreifung" 1933 schwand Rosenbergs Geltung im Regime. Nach Kriegsbeginn übernahm Rosenberg die Aufgabe, Kunst wie das Bernstein-Zimmer zu rauben. Für den Überfall auf die Sowjetunion propagierte er eine Strategie, die den Hungertod von Millionen Zivilisten in den besetzten Gebieten einplante. 1941 ernannte ihn Hitler zum Ostminister, dem die Verwaltung der eroberten Regionen oblag. In dieser Funktion half er bei der Ghettoisierung, Deportation und Ermordung von Millionen Juden mit. Selbst in den letzten Kriegsmonaten hielt Rosenberg fanatische Durchhaltereden, zu Hitler persönlich konnte Rosenberg da allerdings längst nicht mehr durchdringen.

Nach der Kapitulation wurde Rosenberg in Nürnberg angeklagt. Verbrechen des Regimes wurden unter anderem auch durch Dokumente Rosenbergs bewiesen. Ankläger Robert Kempner kam an Tagebuchaufzeichnungen des Nazi-Ministers, die dann verschwanden - von wem auch immer entwendet.

Rosenberg versuchte sich als Nichtwisser hinzustellen, geriet aber in den Verhören gehörig ins Stottern, als ihm eigene Notizen vorgehalten wurden, in dem von der Ausrottung des Judentums die Rede war. Reue zeigte er keine, weltfremd schrieb er in seiner Zelle an einer Nachkriegsordnung für Deutschland.

Im Oktober 1946 wurde Rosenberg für seine Verbrechen zum Tode verurteilt und exekutiert. Anders als die meisten anderen NS-Kumpane lehnte er selbst im Angesicht des Galgens geistlichen Beistand ab. "Nein danke", sagte er einem Priester Minuten vor dem Tod. Rosenbergs Religion hieß Rasse, was wollte er da mit dem lieben Gott? Demonstrativ fanatisch, so starb Alfred Rosenberg.

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