Nato-Strategie für Putins Russland:Abschreckung mit Maß

More US F-16 fighter jets arrive to Poland

Amerikanische F-16-Kampfflugzeuge bei Nato-Mannöver in Polen.

(Foto: dpa)

Der Krieg in der Ostukraine betrifft nicht nur Kiew, sondern bedroht die gesamte europäische Friedensordnung. Denn Russland bricht elementare Grundsätze des Miteinanders. Der Nato bleibt nur eine Botschaft.

Von Stefan Kornelius

Wer nach dem Mauerfall vom ewigen Frieden in Europa träumte, der wurde schon ein paar Mal eines Besseren belehrt. Der Krieg im Osten der Ukraine ist deswegen nur eine weitere Mahnung, dass Friedfertigkeit nicht unbedingt der Naturzustand der Menschheit ist, auch in Europa nicht.

Wer Frieden bewahren oder schaffen will, der muss sich stets um ihn bemühen.

Es muss seine friedfertigen Absichten klarmachen, seine politische Überlegenheit und Geschlossenheit demonstrieren und natürlich auch dies: militärisch vorbeugen, abwehrbereit sein, abschrecken.

So viel Gefahr für Europa wie seit 25 Jahren nicht mehr

Die Deutschen kennen das Prinzip aus der inneren Sicherheit. In Fragen ihrer äußeren Sicherheit tun sie sich hingegen schwer mit dem Gedanken, dass der Frieden nicht auf Taubenflügeln eingeschwebt kommt.

Über dieses richtige Maß an Abschreckung wird nun auf dem Nato-Gipfel beraten, dessen historische Bedeutung nicht überbewertet werden kann: Seit 25 Jahren war Europas Sicherheit nicht mehr so stark gefährdet wie heute.

Mit der Annexion der Krim und der Schatteninvasion in der Ostukraine hat Russland die zentralen Prinzipien der europäischen Friedensordnung seit Ende des Kalten Krieges aufgekündigt: den Respekt vor der Souveränität einer Nation und die Unverletzbarkeit von Grenzen. Die KSZE-Schlussakte, das Budapester Memorandum von 1994 und auch die Grundakte zwischen Russland und der Nato wurden auf diese Weise gebrochen - durch Russland.

Der Ukraine-Krieg hat unmittelbare Auswirkung auf die Ordnung in Europa, weil die von Russland postulierten Grundsätze nicht nur Kiew betreffen. Wladimir Putin hat schon viel versprochen, besonders an Tagen vor Sanktionsentscheidungen. Aber in ein paar Dingen muss man ihn beim Wort nehmen: Er nimmt sich das Recht, russischstämmige Bürger zu schützen - überall und nach eigenem Ermessen; er hat eine neue Form der hybriden Kriegsführung eingeführt, die Furcht und Schrecken bei Nato-Staaten auslöst; und er träumt von einem Neurussland.

Eine besonders gruselige Bedrohung erwächst durch das Gespinst aus Lügen, Halbwahrheiten und Verdrehungen, mit deren Hilfe der russische Apparat den Unfrieden in den Westen hineinträgt. Deswegen ist es zunächst wichtig, dass die Nato in der Deutung ihrer Geschichte mit Russland gelassen bleibt. Sie hat allen Anlass dazu, denn sie hat im Umgang mit Russland zwar nicht alles, aber vieles richtig gemacht.

Schon 1990, auf ihrem Londoner Gipfel und kurz nach dem Fall der Mauer, streckte sie die Hand zum Warschauer Pakt aus. Es folgten Abrüstungsvereinbarungen, Strategiewechsel, politische Kooperation, Selbstbeschränkung bei Stationierung und Bewaffnung. Russland wurde eingebunden in den westlichen Sicherheitsraum, seine Interessen wurden diskutiert und respektiert. US-Präsident Barack Obama stoppte die Raketenabwehr.

Im Kern ein ideologischer Konflikt

Zunächst sträubten sich das Bündnis und besonders Amerika gegen eine Erweiterung. Die souveräne Entscheidung der jungen mitteleuropäischen Staaten war aber eindeutig: Sie wollten die Mitgliedschaft, weil sie ihnen einen nachvollziehbaren Gewinn an Sicherheit brachte: vor, nicht gegen Russland. Moskau tat wenig bis nichts, dieses Misstrauen abzubauen.

Im Kern ist der Konflikt zwischen Nato und Russland ideologisch geblieben. Im russischen Machtverständnis wird Europa in Einflusszonen geteilt und damit in feindliche Lager. Aus russischer Sicht wächst das feindliche (Nato-)Lager, es wird als Bedrohung wahrgenommen. Putin hat das in seiner Scheidungsrede 2007 in München klargemacht.

EU und Nato verfolgen hingegen eine inklusive Strategie. Ihre Mitgliedsstaaten verbindet eine demokratische, pluralistische, rechtsstaatliche Weltanschauung - politische Grundwerte, die in Russland immer mehr an Bedeutung verlieren und von einem autoritären Herrscher wie Putin gar als Bedrohung seiner Macht wahrgenommen werden müssen. Ist die Nato also aggressiv, nur weil es sie gibt?

Die "Realisten" sagen: So ist die Welt

Die "Realisten" sagen: So ist die Welt, respektiert das und überhebt euch nicht mit der Ukraine. Kiew habe seine klassische Pufferrolle ignoriert. Nun zahle es den Preis.

Diesen zynischen Realismus in Ehren: Er ignoriert das Recht auf Selbstbestimmung der Ukraine und gibt eine Errungenschaft preis, die selbst Russland - etwa in der Nato-Russland-Akte - angenommen hat: die Verpflichtung auf eine friedliche Beilegung von Konflikten auf der Basis von Regeln.

Nun ist Russland zur Macht des Stärkeren zurückgekehrt. Der Nato bleibt nur eine Botschaft - eine alte Bekannte: Ihr muss es um Maß, Recht und Entschlossenheit gehen, Eigenschaften, die schon einmal über den Frieden in Europa entschieden haben.

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