Nato:Operation Lückenstopfen

Die Bundesregierung sorgt sich wegen Trump um die Zukunft der Nato - und bleibt weit hinter dem versprochenen Beitrag für das Bündnis zurück. Die Wende läuft, jedoch nur langsam.

Von Christoph Hickmann und Joachim Käppner, Berlin

Widersprüchliche Zeiten: Während US-Präsident Donald Trump die Nato Mitte Januar als "obsolet" bezeichnete, waren 400 Soldaten aus Fort Bliss, Texas, auf dem Weg ins ferne Osteuropa. Brisanter als die Zahl ist ihre Ausrüstung: 24 moderne Apache-Kampfhubschrauber.

Erstmals seit dem Ende des Kalten Krieges verlegen die Amerikaner derzeit eine komplette Brigade Kampftruppen nach Europa. Die Einheiten sollen von den Baltischen Staaten bis nach Rumänien ein Dreivierteljahr lang "rotieren", in ständigen Übungen von Land zu Land wechseln - um zumindest formal nicht gegen den Nato-Russland-Vertrag zu verstoßen. In dem Abkommen hatte das westliche Bündnis darauf verzichtet, dauerhaft Verbände in den ehemaligen Staaten des Warschauer Paktes zu stationieren. Mehr als 100 Übungen mit den Partnern wollen die USA 2017 unter dem Motto "Strong Europe" (starkes Europa) abhalten, von der Luftabwehr bis zum Einsatz schneller Eingreiftruppen gegen einen Angriff von außen.

Politisch ist diese noch auf die Obama-Administration zurückgehende Rückkehr amerikanischer Truppen nach Europa nicht unumstritten. Auch wenn die gut 4000 beteiligten US-Soldaten kaum eine militärische Gefahr für Russland darstellen, betrachtet dessen Präsident Wladimir Putin sie als westliche Provokation. In Polen oder den baltischen Staaten hingegen werden die US-Verbände mit Volksfesten empfangen; dort fühlt man sich vom neonationalistischen Kurs Russlands zunehmend bedroht. In Deutschland fürchten nicht nur die Friedensdemonstranten, die die US-Konvois in Bremerhaven erwarteten, eine Eskalation - auch der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) hatte 2016 ein "Säbelrasseln" der Nato moniert. Saber Guardian 17 (Wächter mit Säbel) heißt übrigens ein Großmanöver, bei dem im Sommer 30 000 Nato-Soldaten die Zusammenarbeit üben sollen.

Und das scheint zumindest militärisch nötig zu sein. Die interoperability, die Fähigkeit der vielen Partner zur gemeinsamen Verteidigung, ist seit 1990 großteils verloren gegangen. Da ist die Abwehr von Luftangriffen, die sichere elektronische Kommunikation zwischen Verbänden, die Koordination von Panzern und vieles mehr, "bei dem wir", wie ein Nato-Offizier sagt, "mehr oder weniger wieder bei Null beginnen müssen".

Das gilt auch für die Bundeswehr. Trump-Polemik gegen die Nato hin oder her, hier haben die Deutschen einen schwachen Punkt. Ihr Verteidigungsetat ist zwar zuletzt von etwas über 1,17 Prozent des Bruttoinlandsproduktes auf 1,22 Prozent geklettert. Doch selbst mit diesem Schub kam er nicht einmal in die Nähe des Nato-Ziels von jährlich zwei Prozent (das Amerikaner und Briten 2016 deutlich übertrafen und die Franzosen nur knapp verpassten). Man müsse erst einmal abwarten, was Trump nun genau mit der Nato vorhabe, verbreiten dieser Tage in Berlin die Beschwichtiger. Klar dürfte allerdings schon jetzt sein, dass es neue Debatten über die Höhe des Wehretats geben wird. Das ist keine Botschaft, mit der man im Wahljahr viele Herzen gewinnen dürfte.

Nato: Abmarsch Richtung Litauen: Bis Ende Februar sollen bis zu 600 Soldaten, 26 Panzer und 170 weitere militärische Fahrzeuge im Auftrag der Nato nur 100 Kilometer von der russischen Exklave Kaliningrad entfernt stationiert werden.

Abmarsch Richtung Litauen: Bis Ende Februar sollen bis zu 600 Soldaten, 26 Panzer und 170 weitere militärische Fahrzeuge im Auftrag der Nato nur 100 Kilometer von der russischen Exklave Kaliningrad entfernt stationiert werden.

(Foto: Matthias Schrader/AP)

Auch die Nato-Offiziere der USA blicken gebannt auf das Weiße Haus: Eine Schwächung des Bündnisses durch Trump würde die Aufbauarbeit der vergangenen Jahre in Frage stellen. Sollte er aber nur vorgehabt haben, wie viele annehmen, gleich mal Druck auf säumige Zahler wie die Deutschen auszuüben - den Nato-Stäben wäre das nicht unrecht. Zwei Prozent würden, theoretisch, bedeuten, dass die Bundesrepublik den Verteidigungsetat fast verdoppeln müsste, mögliche neue Forderungen Trumps noch außen vor gelassen. Ben Hodges, der Oberkommandierende der US-Armee in Europa, hatte schon 2015 einigen Unwillen in Berlin ausgelöst, als er öffentlich sagte: Er habe Respekt vor den deutschen Streitkräften und ihren Leistungen; noch besser aber wäre es, wenn die Bundeswehr beispielsweise über Flugzeuge verfügen würde, die auch fliegen könnten.

Sorgen bereiten US-Planern vor allem die dünne Personaldecke der Bundeswehr sowie eklatante Ausrüstungsmängel. Die unter Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg begonnene Praxis, theoretisch vorhandene Einheiten in der Praxis nur teilweise zu besetzen und auszurüsten, hatte zu eklatanten Schwächen geführt. Auch wenn sich das jetzt ändern soll, bleibt eine lange Mängelliste.

Deutschlands Flugabwehr im Nahbereich ist kümmerlich. Selbst Rumänien hat mehr

So verfügt die deutsche Truppe nur noch über kümmerliche Reste der short range air defence, der taktischen Luftabwehr etwa gegen Tiefflieger und Kampfhubschrauber. Selbst ein kleinerer Partner wie Rumänien besitzt mehrere Dutzend Systeme des Flugabwehrpanzers Gepard aus deutscher Produktion, Deutschland hat keinen mehr. Die Artillerie ist knapp, und müssten Nato-Truppen schnell in ein bedrohtes Bündnisland verlegt werden, kann die Bundeswehr nur hoffen, dass Straße und Schiene frei sind: Die Fähigkeiten zum Brückenlegen im Gelände sind inzwischen sehr begrenzt. Die zwei Prozent, so ein hoher deutscher Nato-Offizier, würden ziemlich genau für die Beseitigung dieser Mängel reichen. Mit dem Geld ließe sich also beschaffen, was die Bundeswehr benötige, um gemeinsam mit den Nato-Partnern ein Minimum an glaubwürdiger Abschreckung zu leisten.

1,22 Prozent

des Bruttoinlandsprodukts gibt Deutschland derzeit für die Nato aus. Vereinbart sind eigentlich zwei Prozent. Diese für die Europäer gültige Marke erfüllen derzeit nur Griechenland (2,38), Großbritannien (2,21), Estland (2,16) und Polen (2,00). Von allen 28 Nato-Mitgliedern geben die USA mit Abstand am meisten aus (3,61 Prozent des Bruttoinlandsprodukts).

Tatsächlich ist es ja nicht so, dass die Mängel nicht auch im Verteidigungsministerium unter Ursula von der Leyen (CDU) gesehen würden. Und die Ministerin hat reagiert - sie brachte, um griffige Schlagworte nie verlegen, die "Trendwende Personal" ebenso auf den Weg wie die "Trendwende Material". Etwas weniger euphemistisch könnte man das Ganze auch als "Operation Lückenstopfen" bezeichnen. Immerhin halten selbst von der Leyens Gegner ihr zugute, dass sie den Abwärtstrend gestoppt hat. Nachdem die Bundeswehr seit dem Ende des Kalten Krieges immer nur geschrumpft war, soll sie nun wieder wachsen, etwa um 7000 zusätzliche Dienstposten bis 2023. Beim Material sollen Lücken nicht länger achselzuckend akzeptiert, sondern geschlossen werden. Trotzdem gehen die Pläne vielen nicht weit genug. Erst kürzlich verfehlte von der Leyen beim Personal das erste Zwischenziel: Statt, wie angestrebt, zum Jahreswechsel auf 170 000 Zeit- und Berufssoldaten zu kommen, verfügte die Truppe Ende Dezember lediglich über 168 342.

Es ist wie immer bei der Bundeswehr: Die Sache wird dauern. "Das größte Problem jetzt lautet - Tempo!", so brachte es vor wenigen Tagen der Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels auf den Punkt. "Das Umsteuern geht viel zu langsam." Der "systematische Mangel an Personal und Material" beeinträchtige "Ausbildung, Übung und Handlungssicherheit im Einsatz", schrieb Bartels in seinem Jahresbericht. So weit die allgemeine Bestandsaufnahme. Im Einzelnen berichtete Bartels dann etwa von einem Besuch beim Jägerbataillon 413 in Torgelow. Dort sei "ein Mangel an Ausrüstungsgegenständen und Munition kritisiert" worden, "der zu untragbaren und mitunter lächerlichen Improvisationen führte" und als "Zumutung und demotivierend empfunden" werde. So sollten sich die Soldaten Teile des Übungsgeschehens lediglich vorstellen, statt real zu trainieren.

Verteidigung durch die Kraft der Gedanken? Dass es so nicht bleiben sollte, meint man nicht nur in Washington.

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