Nach den Wahlen in Polen:Anti-Kaczynski muss sich versöhnen

Donald Tusk ist als erster polnischer Regierungschef wiedergewählt worden. Jetzt gibt es doppelt viel zu tun: Er muss verschleppte Probleme lösen und neue Versprechen einhalten. Es wird nicht mehr ausreichen, einfach gegen Kaczynski zu sein - im Gegenteil, er muss dessen Partei die Hand reichen.

Thomas Urban, Warschau

In Berlin und auch in Brüssel waren die Seufzer der Erleichterung nicht zu überhören: Der nette und kooperative Donald Tusk hat die Parlamentswahl in Polen gewonnen, der garstige und bockige Jaroslaw Kaczynski bleibt in der Opposition, er wird weder die Bundesregierung mit der ständigen Beschwörung der polnischen Kriegsleiden nerven noch die Europäische Union blockieren können.

PM Tusk reacts after the election results announcement in Warsaw

Hier jubelt Donald Tusk noch über seinen Sieg. Doch auf den wiedergewählten Premier kommen viele neue und mindestens genauso viele alte Aufgaben zu.

(Foto: REUTERS)

Tusk weiß, dass die Deutschen der wichtigste Außenhandelspartner und auch der wichtigste politische Verbündete Polens sind und dass eine Blockade der EU dem Land nicht nützt, sondern schadet. Sein Wahlsieg ist auch ein Beleg dafür, dass bei der Mehrheit seiner Landsleute die Warnungen vor den Deutschen, wie sie Kaczynski ausspricht, nicht mehr verfangen. Dass zudem erstmals ein polnischer Regierungschef nicht ab-, sondern wiedergewählt wurde, spricht für eine Stabilisierung des Landes.

Doch Tusk steht nun vor riesigen Aufgaben, die ihm selbst die Freude an seinem Sieg rasch trüben dürften. Er muss in seiner zweiten Amtszeit Probleme lösen, die er längst hätte angehen können. Doch hätten sie unpopuläre Maßnahmen erfordert - und somit seine Wiederwahl gefährdet.

Tusk war vor vier Jahren mit der Parole angetreten, den "freundlichen Staat" zu schaffen: Abbau der Bürokratie, eine Verwaltung aus kompetenten Experten, die sich als Dienstleister für den Bürger verstehen. Nichts davon hat er umgesetzt. Das Heer der Beamten hat zugenommen, ebenso wie der Wust an Formularen, mit denen die Bürger drangsaliert werden. Die Verwaltung wird von der Mehrheit nach wie vor als bedrohlicher anonymer Apparat angesehen.

Auch auf dem Feld der Wirtschaftspolitik türmen sich haushohe Probleme auf. Zwar konnte Tusk erfolgreich damit werben, dass Polen unter seiner Regierung besser durch die internationale Finanzkrise gekommen sei als die meisten Nachbarstaaten. In der Tat brach die Wirtschaft nicht ein, nicht zuletzt wegen der Milliarden aus der EU. Doch hat der Premier gleichzeitig das Haushaltsdefizit fast verdreifacht, Gelder wurden in die Wirtschaft und die Rentenfonds gepumpt. Sein früherer Förderer Leszek Balcerowicz, der Vater des polnischen Wirtschaftswunders, sagte schon voraus, dass diese Schuldenpolitik sehr bald überaus teuer bezahlt werden müsse.

Sollte Tusk nämlich die Sozialausgaben kürzen müssen, so wird er das Feld für die Wahlverlierer um Jaroslaw Kaczynski bereiten, der weltanschaulich nationalkonservativ, in der Wirtschaftspolitik aber sozialdemokratisch ist. Zum Glück für Tusk sieht die Mehrheit in Kaczynski derzeit noch den heillosen Radaubruder, der Politik als ewigen Kampf versteht.

Die jungen Wähler sind weg

Dieses Schlachtenlärms aber ist die polnische Gesellschaft überdrüssig. Daher reichte es Tusk im Grunde, sich im Wahlkampf als der besonnene "Anti-Kaczynski" darzustellen. In der Tat gaben ihm viele der Wähler vor allem deshalb ihre Stimme, weil sie in ihm das "kleinere Übel" sehen.

Doch hat Tusk in seiner ersten Amtszeit die aufstiegsorientierte und gut ausgebildete junge Generation, der er seinen Wahlsieg vor vier Jahren zu verdanken hatte, weitgehend verloren. Hier punktete nun der Aufsteiger des Jahres, der von ihm ebenfalls enttäuschte frühere Abgeordnete der Tusk-Partei, Janusz Palikot, mit seinen Parolen von einer freizügigen Gesellschaft und einer ultraliberalen Wirtschaftsordnung.

Wenn Tusks Erzrivale Kaczynski sich nach seiner erneuten Niederlage der Erkenntnis beugen sollte, dass er als Spitzenkandidat auf die Mehrheit abschreckend wirkt, und einen mediengewandten Nachfolger aus dem nationalpatriotischen Lager aufbaut, so wird der Premier unter gewaltigen Druck geraten.

Denn die absolute Mehrheit der Polen teilt durchaus Kaczynskis konfrontative Geschichtsbilder vom Volk der Helden und Opfer, sowie seinen sozialen Egalitarismus, der sich auch gegen erfindungsreiche Unternehmer richten kann. Damit knüpft Kaczynski nicht nur an das politische Klima im real existierenden Sozialismus an, sondern vertritt auch das Erbe der polnischen Adelsrepublik.

Die ist zwar vor mehr als zwei Jahrhunderten an der eigenen inneren Schwäche zugrunde gegangen, im kollektiven Gedächtnis der Polen aber gilt sie als goldene Zeit. Jedes Mitglied der Adelsversammlung, des Sejms, hatte die gleichen Rechte, die Stimme des verarmten Landadligen zählte genauso viel wie die des Magnaten, der eine ganze Provinz besaß.

Tusk hatte sich in seiner ersten Amtszeit ganz offenkundig nur wenig Mühe gegeben, eine Art Modus Vivendi mit Kaczynski zu finden und einen ersten Schritt zur Überwindung der persönlichen Feindschaft der beiden zu machen. Er konnte es auch nicht, denn dann hätte sein Gegenentwurf als "Anti-Kaczynski" nicht funktioniert.

Daher nutzte er auch nicht die Gelegenheit, nach dem Tod Lech Kaczynskis, des Zwillingsbruders des Oppositionsführers, beim Absturz der polnischen Präsidentenmaschine 2010, eine versöhnliche Geste zu zeigen. Doch nur wenn es Tusk gelingt, einen wichtigen Beitrag zur Überbrückung der tiefen Gräben in der polnischen Gesellschaft zu leisten, wird er sein Modernisierungsprogramm erfolgreich umsetzen können.

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