Nach 9/11: Islamistischer Terror in Deutschland:Angst vor dem Tag X

Im Visier islamistischer Fanatiker: Nach dem 11. September 2001 entwickelt sich auch Deutschland zum konkreten Anschlagsziel. Doch bislang agieren die Täter oft dilettantisch - die Sicherheitsbehörden leisten gute Arbeit. Gefährlich leben bislang vor allem die potentiellen Attentäter selbst.

Hans Leyendecker

Im vergangenen Jahrzehnt sind in Deutschland weit mehr Menschen durch das Trinken von parfümiertem Lampenöl ums Leben gekommen als durch den Terror islamistischer Gewalttäter; von den vielen tödlichen Unfällen bei Verrichtungen im Haushalt erst gar nicht zu reden.

Terrorhelfer der Sauerland-Gruppe verhaftet

Echte Gefahr, infernalischer Plan: Terrorhelfer der Sauerland-Gruppe bei ihrer Verhaftung im Jahr 2007.

(Foto: dpa)

Geht also eine ganze Nation irrational mit Gefährdungen um? Wenn es nur nach der statistischen Wahrscheinlichkeit ginge, wäre die Antwort schlicht: ja. Der Umgang des Menschen mit seinen Lebensrisiken und Ängsten an sich und insbesondere in diesem Fall ist ziemlich irrational.

Aber selbst die exaktesten Statistiken können nicht alles erklären. Deutschland war das Land, das den Todespiloten vom 11. September als Heimatland für die Vorbereitung des Massenmordes diente. Einige der Terroristen lebten jahrelang in Hamburg-Harburg: Der Begriff "Pearl Harburg" wurde in den USA zu einer Metapher für behördliche deutsche Schlamperei.

Vor dem Massaker galt Deutschland als Ruhe- und Rückzugsraum für islamistische Terroristen, wie ganz früher für die italienische Mafia. Danach hieß es etwas wolkig, Deutschland befinde sich in einem "weltweiten Gefahrenraum" und es bestehe eine "abstrakte Gefahr".

Aber seit einer Weile steht fest, dass Deutschland Anschlagsziel islamistischer Terroristen ist: "Germany has been singled out", teilte die US-Regierung vor einigen Jahren der deutschen Regierung mit. Vor der Bundestagswahl 2009 drohte al-Qaida Deutschland mit Anschlägen, falls der Wahlausgang nicht zum Abzug der deutschen Soldaten aus Afghanistan führe. Die Soldaten blieben, es blieb in Deutschland ruhig.

"Zünder ist mehr gefährlich als Bombe"

In den vergangenen zehn Jahren gab es circa ein halbes Dutzend geplante Angriffe in Deutschland. Da waren die beiden libanesischen Kofferbomber, die glücklicherweise unfähig waren, eine funktionierende Bombe zu bauen. Es fehlte ihnen an Sauerstoff. Die Sprengsätze, die bereits in zwei Regionalzügen deponiert waren, explodierten wegen eines Konstruktionsfehlers nicht.

Und dann gab es die Sauerland-Gruppe, die eine echte Gefahr war und einen infernalischen Plan hatte. Die Gruppe wollte mit Autobomben amerikanische Einrichtungen angreifen. Andererseits waren die Sauerland-Terroristen etwas merkwürdig. Die Gruppe verfolgte ihre Anschlagspläne weiter, obwohl sie wusste, dass sie unter Beobachtung der Behörden stand.

In Düsseldorf flog eine Terrorgruppe auf, die irgendwie eine Bombe bauen wollte: "Bombe ist nicht so schwer wie Zünder, weil Zünder ist mehr gefährlich als Bombe", formulierte etwas holprig ein mutmaßlicher Terrorist. Die Fahnder hörten mit und griffen zu.

Am Frankfurter Flughafen tötete ein 21-jähriger junger Islamist mit serbisch-montenegrinischem Pass Ende Februar dieses Jahres zwei US-Soldaten mit gezielten Kopfschüssen. Sie sind die ersten Opfer eines Terroranschlags in Deutschland mit islamistischem Hintergrund.

Angst vor dem Tag X

In zehn Jahren nur ein Anschlag eines Einzeltäters, das ist angesichts der Gefahr eine gute Bilanz. Niemals zuvor waren deutsche Sicherheitsbehörden so erfolgreich im Kampf gegen Terroristen wie die deutsche Polizei in diesen Tagen.

Die Sicherheitsbehörden haben gute Arbeit geleistet. Sie schleusten im In- und Ausland ein Heer von V-Leuten und Agenten in verdächtige Gruppierungen, sie kooperieren weit intensiver als früher mit ausländischen Diensten und observieren manchmal rund um die Uhr so genannte Gefährder. Das sind Leute, von denen die Behörden annehmen, dass sie politisch motivierte Straftaten von erheblichem Ausmaß begehen könnten.

"Wenn doch etwas passieren sollte", sagt ein hochrangiger Sicherheitsbeamter, "werden wir vermutlich die Täter gekannt haben. Und dann wird man uns vorwerfen, dass es dennoch zur Tat gekommen ist."

Etwa eintausend Personen rechnen die Behörden zum islamistisch-terroristischen Spektrum. Dessen Zentren sind Köln/Bonn, Hamburg, Berlin und das Rhein/Main-Gebiet. Jeder vierte islamistische Kämpfer soll an den Hindukusch gereist sein, um sich dort paramilitärisch ausbilden zu lassen. Etwa die Hälfte von ihnen sind zurückgekehrt, ein Dutzend sind in Haft.

Einige haben auch Kampferfahrung aus Gefechten in Afghanistan. Sie hatten sich diversen Dschihad-Organisationen angeschlossen oder der Gruppe "Deutsche Taliban-Mudschaheddin". Etliche der Reisenden kamen nicht mehr zurück.

Sie fielen, wie der Saarländer Eric Breininger, der zum Umfeld der Sauerland-Gruppe gehört hatte, in Gefechten in Waziristan. Sie sprengten sich, wie ein aus Bayern stammender Deutsch-Türke, als Selbstmordattentäter in die Luft oder wurden durch die Drohnen der CIA getötet, wie im Herbst vergangenen Jahres eine kleine deutsche Gruppe in Pakistan. Sie leben wirklich gefährlich.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: