Demonstrationen in Moskau:Sickerndes Gift

Demonstrationen in Moskau: Laut Bürgerrechtlern wurden bei den Protesten in Moskau 250 Menschen festgenommen.

Laut Bürgerrechtlern wurden bei den Protesten in Moskau 250 Menschen festgenommen.

(Foto: Evgeny Feldman/AP)

Politik, Polizei und staatliche Medien tun alles, um die russische Opposition zu diffamieren und zu provozieren. Doch die Proteste dauern an. Sie müssen jetzt über Moskau hinaus wachsen.

Kommentar von Ekaterina Kel

Vielen in Moskau ist eine genehmigte Demonstration nicht mehr genug. Sie nennen es "spazieren gehen", wenn sie im Anschluss an die Demo noch Straßenumzüge organisieren, die nicht genehmigt sind. Sie riskieren damit, festgenommen zu werden. Denn Moskaus Polizei hat bereits an den vergangenen Wochenenden gezeigt: Wer die von der Staatsmacht streng gezogene Grenze des Erlaubten überschreitet, wird nicht geschont.

Trotzdem haben die Moskauer nun das fünfte Wochenende in Folge dafür demonstriert, unabhängige Kandidaten zur Wahl ins Stadtparlament zuzulassen. Dieses Mal kamen fast 50 000 - eine Zahl, die Hoffnung macht. Die Menschen in Russland geben nicht auf, für Demokratie zu kämpfen.

Die Auseinandersetzung zwischen Opposition und Staat wird aber nicht nur auf der Straße ausgetragen; die eigentlich bitteren Schlachten finden in den Medien statt - und somit auch in den Köpfen. Präsident Wladimir Putin achtet darauf, dass sein Name nicht mit den Bildern von knüppelnden Polizisten in Verbindung gebracht wird. Er hat ein viel bewährteres Mittel, um möglichst vielen Leuten seine Erzählung aufzudrücken: das Fernsehen.

Populäre Kanäle in staatlicher Hand senden Tag für Tag ihre sorgfältig konstruierten Geschichten in Tausende Wohnzimmer. Ihre Version bleibt für viele einfachere und ältere Menschen, von denen die meisten weit von Moskau entfernt leben, die einzig gültige. Die Folge: Viele halten die Demonstranten für "Provokateure" von "Massenunruhen", die angeblich kleine Kinder als Schutzschilde nutzen. Diese Menschen vertrauen auf die harte Hand des starken, weisen Anführers.

Es ist schlimm genug, dass die staatlich kontrollierten Medien Demonstranten diffamieren. Aber es ist noch schlimmer, dass sie, auch darüber hinaus, die Wirklichkeit systematisch im Sinne Putins manipulieren und massenhaft Falschinformationen verbreiten. Das wirkt wie langsam einsickerndes Gift. Statt informierte Akteure einer Zivilgesellschaft formen die Medien so Unbeteiligte, die sich in Lethargie, Zynismus oder glühenden Patriotismus flüchten.

Es ist deshalb erstaunlich und erfreulich zugleich, dass sich die Zivilgesellschaft trotz des anhaltenden Informationskrieges nicht einschüchtern lässt. Und dass die Opposition mittlerweile neue Protagonisten wie etwa Ljubow Sobol hervorgebracht hat. Deren Einsatz für faire Wahlen und gegen willkürliche Staatsgewalt wird auf Dauer notwendig sein. Die Demonstranten sollten sich freilich von Politik, Polizei und staatlichen Medien nicht auf gefährliche Weise provozieren lassen. Wer beispielsweise, wie am Wochenende geschehen, einen Reporter beschimpft oder an ihm seine Wut auslässt, tut der eigenen Bewegung keinen Gefallen - auch wenn Kritik an der einseitigen Berichterstattung berechtigt ist.

Will die Opposition erfolgreich sein, so muss sie über die Kommunalwahlen und Moskau hinausführen, in andere Regionen, in denen die Unzufriedenheit mit Putins Politik ebenfalls wächst. Sei es wegen auslaufender Mülldeponien, rücksichtsloser Baumaßnahmen oder der miserablen wirtschaftlichen Lage. Zur geistigen Größe des Widerstands muss, wie schon einmal im Winter 2011/2012, nun die geografische hinzukommen.

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Demonstrationen in Moskau

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In Moskau demonstrieren knapp 50 000 Menschen für faire und freie Regionalwahlen. Sie sind seit Wochen aufgebracht, weil die Wahlkommission Oppositionskandidaten von der Wahl ins Stadtparlament ausschloss.

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