Michael Spreng im Interview:"Die Form des TV-Duells ist furchtbar"

Michael Spreng, engster Berater Edmund Stoibers beim ersten TV-Duell 2002, über die Chance von Martin Schulz, die Stärke von Angela Merkel, den Unsinn einer Vierer-Moderation und die größte Gefahr für beide Kandidaten.

Interview von Stefan Braun, Berlin

Er war mittendrin, mimte einst zur Vorbereitung auf ein TV-Duell sogar Gerhard Schröder - und spart heute nicht mit kritischen Worten: Michael Spreng. Der 69-jährige frühere Journalist und Politik-Berater, im Wahlkampf 2002 eng an der Seite Edmund Stoibers, übt schärfste Kritik an der Konstruktion, ruft nach einer Elefantenrunde und warnt vor den Zwängen der um Selbstbehauptung kämpfenden Moderatoren. Außerdem kritisiert er die Kanzlerin als "Meisterin des Ungefähren", rät Martin Schulz deshalb zum Zauberwort "konkret" und erinnert daran, dass er Edmund Stoiber am Duell-Sonntag Handy-Verbot erteilte.

SZ: Am Sonntag ist TV-Duell. Sie waren beim ersten deutschen TV-Duell der Neuzeit dabei: 2002 an der Seite Edmund Stoibers. Was war für Sie das Schlimmste an diesem Duell?

Michael Spreng: Das zweite Duell. Der Fehler war, sich auf zwei einzulassen. Beim ersten hat Stoiber erstaunlich gut abgeschnitten. Auch, weil unsere Taktik aufgegangen war, ein so starres Reglement zu vereinbaren, das für Stoiber wie ein Korsett und für Schröder wie eine Zwangsjacke wirkte. Dadurch hatte Stoiber im ersten Duell relativ gut abgeschnitten. Beim zweiten Duell hat sich Schröder aus diesen Fesseln befreit und Stoiber sah deutlich schlechter aus.

Wie viel Hoffnung legten Sie damals rein - und wie sehr war diese berechtigt?

Bundestagswahlkampf im Fernsehen

"Wir hatten Sorge vor dem Duell, weil wir ja wussten, wie medial stark Gerhard Schröder war", sagt der damalige Berater von Edmund Stoiber, Michael Spreng.

(Foto: picture alliance / dpa)

Das TV-Duell hat ihn zumindest auf eine Stufe mit Schröder gehoben. Und es hat den Menschen gezeigt: Der ist durchaus ebenbürtig. Das war das primäre Ziel - und ist beim ersten Duell auch erreicht worden.

Zunächst aber hatten Sie Angst davor?

In der Tat. Wir hatten Sorge vor dem Duell, weil wir ja wussten, wie medial stark Gerhard Schröder war. Aber zu unserem Glück war Schröder beim ersten Duell zu lässig und zu unvorbereitet.

Haben Sie damals als Berater einen Fehler gemacht, den Sie so nie wieder machen würden?

Naja. Wir haben natürlich vorher trainiert, Gesprächssituationen simuliert. Ich habe dabei gelegentlich auch den Schröder gegeben. Wir haben das aufgezeichnet und ausgewertet. Natürlich. Trotzdem ist beim zweiten Duell ein furchtbarer Fehler passiert. Stoiber hatte bei seinem Schlussstatement - das ja immer besonders wichtig ist - nicht genügend Zeit verbraucht. Statt nun aber aufzuhören, kam er von sich aus auf den drohenden Irakkrieg zu sprechen - was ausschließlich Schröders Thema war. Das war ein schwerwiegender Fehler. Den konnte man nicht verhindern, der ist aus der Situation entstanden. Er war nur für Schröder klasse. Aber bei einem nächsten Mal würde einem das nicht mehr passieren.

Im Vorfeld eines Duells spekuliert die ganze Republik darüber, wie viel das Treffen bringt. Ist das überhaupt noch gerechtfertigt?

Ich denke, dass das Duell zwischen den Lagern keine großen Verschiebungen auslösen wird. Ich glaube auch die ganzen Umfragen nicht, aus denen sich ergeben soll, dass noch fast die Hälfte nicht entschieden sei. Wenn das Duell Folgen hat, dann innerhalb der Lager. Allerdings hat es dabei einen ganz wichtigen Effekt: Wenn es gut läuft, mobilisiert es nochmal die eigenen Leute. Sollte Schulz sehr gut abschneiden, dann kann das die etwas deprimierten Sozialdemokraten neu anfachen. Das kann ihm schon ein paar Prozentpunkte bringen. Aber es würde kaum ein Christdemokrat plötzlich SPD wählen.

Gibt es für Sie ein TV-Duell, das wirklich alles gewendet hätte?

Ganz ehrlich, nein. Trends können ein bisschen verstärkt werden; insgesamt können noch mehr Leute zur Wahl gehen. Aber Umstürze hat es dadurch bis heute nicht gegeben.

Für wen sind diese Duelle? Für die Moderatoren, die sich profilieren können? Für die Spin-Doktoren, die hinterher um Meinungsführerschaft kämpfen? Oder für jene Menschen, die eher selten so direkt zwei Stunden Politiker ansehen?

Für die dritte Gruppe. Das Duell ist ja eines der wenigen nationalen Lagerfeuer im Fernsehen. Ein Straßenfeger, könnte man auch sagen. Es gibt kein anderes TV-Ereignis mehr, an dem sich so viele hinterm Fernseher versammeln. Selbst Länderspiele kommen da nicht ran. Es ist ein besonderer Moment, an dem sich Menschen vergewissern, wen sie wählen, ob sie überhaupt zur Wahl gehen. Und das gilt noch viel mehr für jene, die sich nicht jeden Tag mit Politik beschäftigen.

Wer entscheidet über Sieg und Niederlage?

Das Duell nach dem Duell, ehrlich gestanden. Also das Duell der vermeintlich professionellen Bewerter, der Spindoctores der Kandidaten und der Medien. Es gab nach dem Duell Schröder-Stoiber eine Untersuchung der Uni Dresden, die zu dem Ergebnis kam, dass sich die Einstellungen durch die medialen Wertungen, ergänzt durch die Debatten unter Kollegen und Freunden, nochmal geändert haben. So hat es Schröder nach dem ersten Duell geschafft, im Laufe der nächsten Tage zuzulegen - als Reaktion auf die Debatten nach dem Duell.

"Eines ist ganz wichtig: am Sonntag gar nichts mehr machen"

Wenn es so ist, was folgt daraus für die Duellanten?

Überraschungsmomente sind gut, aber nur, wenn sie positiv sind. Nicht persönliche Angriffe. Für Schulz hieße das aus meiner Sicht: Das Wort konkret zum Schlüsselwort seiner Beiträge zu machen. Nicht so was wie "Merkel ist abgehoben" oder "entrückt". Erst recht nicht sollte er den Vorwurf wiederholen, ihr Verhalten sei ein "Anschlag auf die Demokratie". Nein: er müsste versuchen, sie zu ganz konkreten Aussagen für die Zukunft zu bewegen. "Was meinen Sie damit? Jetzt werden Sie doch mal konkret. Was wollen Sie konkret sagen?" Denn: Merkel ist die Meisterin des Ungefähren. Und die Meisterin des Ignorierens. Als Schulz ihr ebendiesen Anschlag auf die Demokratie vorwarf, antwortete sie mit einem "Schwamm drüber." So lässt man Angriffe ins Leere laufen. Sehr cool.

Ist die Form des Duells zeitgemäß?

Nein. Sie ist furchtbar. Die allerbeste Form wäre immer noch die Elefantenrunde. Das würde das Parteienspektrum wirklich abbilden. Und es würde echte Kontroversen möglich machen. Frau Merkel gegen Frau Wagenknecht zum Beispiel. Das wäre die Königsdisziplin. Das Duell ist verglichen damit nur eine Ausweichform. Allerdings eine zentrale.

Was würden Sie sofort ändern?

Weniger Moderatoren, am besten nur einen - oder eine. Die jetzige Konstellation ist abenteuerlich; dauernd besteht die Gefahr, dass auch die Moderatoren sich profilieren wollen, ja müssen. Das geht so gut wie immer auf Kosten des Ziels, die Kontrahenten zu fordern, vielleicht sogar in die Enge zu treiben. Deshalb würde ich mir wünschen, dass man den Mut hätte, es mit einem Fragesteller zu machen. Mehr um die Politik kümmern und weniger um die Moderatoren.

Was ist Ihr allererster Gedanke zum TV-Duell am Sonntag?

Mir graust ein wenig davor, auch wenn ich hoffe, dass das unberechtigt ist.

Warum?

Ich befürchte, dass die Schlachtordnung des Wahlkampfs einfach wiederholt wird. Dass es also nicht die Spannung hält, die sich viele davon versprechen.

Wie ließe sich das verhindern?

Wahlkampf heißt nicht zu Unrecht Kampf. Er lebt von der Konfrontation, von großen Kontroversen. Ich will ein öffentliches Ringen um die Zukunft Deutschlands. Dieses Ringen findet bislang nicht statt. Martin Schulz arbeitet sich an Merkel ab. Er müht sich, aber er scheitert, weil es unsagbar schwer ist, Merkel zu stellen. Als ob man versuchen würde, einen Pudding an die Wand zu nageln. Frau Merkel lässt alles abperlen, zieht ruhig ihre Bahnen. Wie seit zwölf Jahren. Das schläfert ein.

Wem geben Sie dafür die Verantwortung?

Für politische Feinschmecker und alle Menschen, die an politischer Kontroverse interessiert sind, ist Merkels Wahlkampf natürlich furchtbar. Er macht müde. Unaufmerksam. Wie ein Gutenachtlied. Auf der anderen Seite macht Frau Merkel in ihrem Sinne alles richtig. Mit dieser Taktik des Ungefähren ist sie immer gut gefahren. Warum soll sie ihr Rezept wechseln?

Müsste die SPD dann nicht eine ganz andere Kampagne machen?

Die SPD hat schon ein Herzensthema, aber das zündet halt nicht. Viele Menschen fühlen sich sozial sicher, deshalb geht das zentrale Thema Gerechtigkeit an ihnen vorbei.

Wenn Sie den Kandidaten für die letzten Stunden vor dem TV-Duell einen Rat geben könnten - was würden Sie empfehlen. Viel schlafen? Nochmal üben? Ablenken?

Viel trainieren und viel ausruhen. Und eines ist ganz wichtig: am Sonntag gar nichts mehr machen. Total ausgeruht reingehen. Bei Stoiber haben wir es damals so gemacht, dass wir ihm sogar Telefonverbot erteilt haben. Es durfte ihn kein Parteifreund mehr mit so genannten guten Ratschlägen anrufen. Das war wichtig.

Was sollten die beiden keinesfalls machen?

Brandgefährlich ist es, am Samstag vor dem Duell noch mal eben eine große Wahlkampfkundgebung zu machen. Der Duktus von Kundgebungen ist ein ganz anderer. Da wird geschrien, da wird gepoltert, da wird beschimpft, da werden Angriffe gestartet. Und dann ist man im falschen Modus und in der falschen Welt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: