Vorwürfe gegen US-Politiker:Die Macht der "Me Too"-Bewegung

  • Die "Me Too"-Debatte hat es auch Politikern schwergemacht, über Anschuldigungen wegen sexueller Übergriffe einfach hinwegzugehen.
  • Seit Beginn der Debatte bis zur Nominierung von Brett Kavanaugh als Supreme-Court-Richter sahen sich 27 Personen in der US-Politik solchen Beschuldigungen ausgesetzt.
  • Für die allermeisten bedeutete dies das Ende ihrerer politischen Karriere. Nicht aber etwa für Donald Trump.

Von Thorsten Denkler, New York

Als Anita Hill von den FBI-Background-Checkern gefragt wurde, ob sie Clarence Thomas für einen guten Richter am Supreme Court halten würde, da erzählte sie von ihren unangenehmen Erlebnissen mit Thomas. Er habe ihr gegenüber immer wieder anzügliche Bemerkungen gemacht, habe sie so ungefragt wie explizit über seine Porno-Sehgewohnheiten aufgeklärt. Und einmal sei er mit einer Dose Cola an ihren Schreibtisch gekommen, habe sich vor ihr aufgebaut, ihr tief in die Augen geschaut und gefragt, wie denn wohl Schamhaare auf sein Getränk gekommen seien. Er hielt das wohl für lustig.

Die Vorfälle sind mittlerweile mehr als 35 Jahre her. Gut zehn Jahre danach, 1991, nominierte Präsident George W. Bush Thomas für einen Richterposten am Supreme Court. Die Aussagen von Hill schlugen hohe Welle. Aber sie waren nicht hoch genug, um Thomas gefährlich werden zu können. Der demokratisch geführte Senat stimmte am Ende der Nominierung zu. Damals war es nicht unbedingt üblich, dass solche Anschuldigungen ernsthafte Konsequenzen nach sich zogen. Vor allem aber kamen die meisten Vorfälle gar nicht erst an Licht.

Spätestens die "Me Too"-Debatte hat daran einiges geändert. Einer Liste der Washington Post zufolge sahen sich seit Beginn der Debatte vor gut einem Jahr bis zur Nominierung von Brett Kavanaugh als Supreme-Court-Richter durch US-Präsident Trump 27 Personen aus dem politischen Betrieb der USA Anschuldigungen ausgesetzt, sexuell übergriffig gewesen zu sein. Für 19 von ihnen endete damit die politische Karriere. Darunter ein Senator, acht Mitglieder des Repräsentantenhauses und drei Kongress-Kandidaten. Hinzukommen ein Bundesrichter und zwei Mitarbeiter des Weißen Hauses.

Nur acht Beschuldigte konnten sich retten. Der Prominenteste von ihnen ist Donald Trump. Im US-Wahlkampf 2016 tauchte ein Tonband auf, in dem er damit prahlte, er könne jeder Frau an die Genitalien fassen, nur weil er prominent sei. Später meldeten sich Dutzende Frauen, die sagen, Trump habe sie sexuell belästigt. Wie fast alle, die sich solchen Beschuldigungen ausgesetzt sahen und sehen, bestreitet Trump, dass auch nur ein Fünkchen Wahrheit an den Schilderungen der Frauen sei. Die Anschuldigungen haben ihm nicht geschadet. Er wurde und blieb Präsident der USA.

Meist gilt in den USA aber inzwischen: Wer solchen Anschuldigungen ausgesetzt ist, wird seine politischen Karriereabsichten begraben müssen. So gesehen müsste es eher düster aussehen für Trumps Richterkandidaten Kavanaugh. Während seines Nominierungsverfahrens vor dem Senat meldeten sich drei Frauen zu Wort, die berichteten, Kavanaugh habe sie sexuell belästigt, als alle Beteiligten noch in ihren Highschool- und College-Jahren waren.

Als besonders glaubwürdig wird die Psychologie-Professorin Christine Blasey Ford angesehen, die in einer Anhörung vor dem Senat schilderte, wie Kavanaugh und ein Freund sie beinahe vergewaltigt hätten. Kavanaugh streitet alles ab. Die Beweislage ist dünn. Und die Republikaner sind nicht gewillt, ihren Kandidaten wegen der Beschuldigungen fallen zu lassen. Darum wird er - aller Voraussicht nach - an diesem Samstag für das höchste Richteramt im Land bestätigt werden.

Auch eine Frau ist unter den 27 Beschuldigten

Auch andere Politiker haben die Vorwürfe gegen sie zurückgewiesen - und mussten trotzdem gehen. Dazu gehört etwa der prominente demokratische Ex-Senator Al Franken. In seinem früheren Leben ein bekannter Comedian, hat er sich als Senator einen ehrbaren Ruf erworben. Im November aber schrieb Leeann Tweeden einen Blogeintrag, in dem sie erklärte, Franken habe sie 2006 gegen ihren Willen begrapscht und geküsst. Sieben weitere Frauen äußerten, ähnliche Erfahrungen mit Franken gemacht zu haben.

Im Dezember gab Franken seinen Rücktritt bekannt. Manche Anschuldigungen seien falsch, an andere Vorfälle erinnere er sich anders. Aber er sei sich sicher, nichts getan zu haben, das die Würde des Senates verletzt haben könnte.

Franken ist auf der Liste einer von acht demokratischen Politikern, denen sexuelles Fehlverhalten vorgeworfen wurde. Neun auf der Liste sind Republikaner. Neben Trump hat darunter vor allem Roy Moore Schlagzeilen gemacht. Der war Kandidat der Republikaner in einer Sonderwahl für den Senat im Dezember in seinem Heimatstaat Alabama.

Der US-Bundesstaat ist eigentlich eine sichere Bank für Republikaner. Vier Frauen aber beschuldigten Moore, er habe eine Beziehung mit ihnen eingehen wollen, als er in seiner Dreißigern war und sie noch minderjährig. Fünf weitere Frauen berichteten, Moore haben ihnen aufdringliche sexuelle Avancen gemacht. Das drehte die Stimmung. Die Wahl gewann der Demokrat Doug Jones. Moore streitet alle Vorwürfe ab.

Unter den Beschuldigten ist auch eine Frau, Andrea Ramsey aus Kansas. Sie wollte für die Demokraten in den US-Kongress einziehen. Ein früherer Mitarbeiter erklärte allerdings, sie habe ihn gefeuert, nachdem er nicht auf ihre sexuellen Avancen eingegangen war. Sie beendete ihre Wahlkampagne, erklärte aber, das habe nicht mit den völlig falschen Anschuldigungen zu tun, sondern mit der Demokratischen Partei. Diese hätte einen "Null Toleranz Standard" für jede Art von Belästigungsvorwürfen errichtet. Was dazu geführt habe, dass die "falschen Anschuldigungen eines rachsüchtigen, entlassenen Mitarbeiters reichen, um mir die Unterstützung zu entziehen".

Geradezu skurril erscheint der Fall des ehemaligen republikanischen Kongress-Abgeordneten Trent Franks. Er trat im Dezember 2017 zurück, nachdem öffentlich wurde, dass er zwei Mitarbeiterinnen gefragt hatte, ob sie nicht ein Kind für ihn und seine Frau austragen wollen. Immerhin bestritt er nicht, die Mitarbeiterinnen gefragt zu haben. Es sei ihm aber nicht klar gewesen, dass er diese damit in eine prekäre Lage gebracht habe.

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