Angela Merkels Verwandlung:Die Kanzlerin der Attacke

So gefestigt wie in diesem Herbst ist Angela Merkel selten gewesen. Die Landtagswahlen im Blick wird ihr Ton ungewöhnlich scharf. Geändert hat sich auch das Ziel ihrer Angriffe: Nicht mehr die SPD, sondern die Grünen sind nun ihr Hauptgegner.

Stefan Braun

Eigentlich mag Angela Merkel diese Auftritte nicht besonders. Die Haushaltsrede ist immer schwierig, meistens trocken, in der Regel muss sie sich verteidigen, statt andere anzugreifen. Und deshalb ist es der Kanzlerin bislang nur selten gelungen, dabei eine satte Wucht zu entfalten. An diesem Mittwoch freilich dürfte sie im Bundestag besser gelaunt ans Rednerpult treten. Denn so gefestigt wie in diesem Herbst ist die Kanzlerin selten gewesen. Das hat mit jenem "Herbst der Entscheidungen" zu tun, von dem die Regierung unentwegt reden möchte. Aber wichtiger noch ist Merkels neue Tonlage, die das alles begleitet.

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Längere AKW-Laufzeiten oder Stuttgart 21 - Angela Merkel scheut die Auseinandersetzung nicht.

(Foto: AFP)

Seit dem Ende der Sommerferien und noch mehr seit dem Parteitag in der vergangenen Woche ist sie zur Kanzlerin der Attacke geworden. Sie greift die SPD an und attackiert noch mehr die Grünen. Und sie verteidigt gerade das, was umstritten ist bei den Menschen. Ob längere Laufzeiten für Atomkraftwerke oder das politisch schwer umkämpfte Bahnhofsprojekt in Stuttgart - Merkel ruft ihre Leute dazu auf, rauszugehen und dafür einzutreten. Kampf heißt das Wort, das die bislang so ausgewogene wie vorsichtige Kanzlerin zum Programm gemacht hat. In Karlsruhe hat es ihr Zustimmung gesichert, und im Bundestag wird das erneut funktionieren.

Dabei allerdings geht es nicht nur um Merkels plötzlich sichtbar gewordene Überzeugungen. Seit dem Sommer hat Merkel vor allem auf Gefahren reagiert, gegen die sie sich schützen musste. Dämme errichten gegen gefährliche Fluten - das ist das Motiv, das sie in erster Linie antreibt. Da war zum ersten die Gefahr, die von den Landtagswahlen im Frühjahr ausgeht, insbesondere der Wahl in Baden-Württemberg. Würde sie im Vorfeld dieser Abstimmung nicht entschlossen genug erscheinen, könnte das sehr gefährlich werden.

Hätte Merkel es dem dortigen Ministerpräsidenten Stefan Mappus nicht gleich getan, hätte sie sich also nicht sehr entschieden für Stuttgart 21 ausgesprochen, dann hätte ihr massiv der Vorwurf gedroht, illoyal zu sein und einer Niederlage das Feld zu bereiten. Erst mit ihrem klaren Bekenntnis hat sie diese Gefahr eingrenzen können. Sollte die CDU nun im Stammland verlieren, kann niemand in der CDU mehr ihr die Schuld geben. So entschlossen Merkel ihr Ja zu Stuttgart 21 mit der Modernisierung des Landes begründet - so sehr ist sie von der Sorge getrieben, eine Niederlage könnte auch sie in Gefahr bringen.

Gefahr einer neuen Partei

Eng damit verbunden ist eine zweite Gefahr, die im Sommer Hochkonjunktur hatte: Die Gefahr, dass sich neben Union und Liberalen eine neue Partei etablieren könnte. Offiziell bewerten das bis heute die meisten Merkel-Mitstreiter als Hirngespinste. Tatsächlich aber beobachten auch Leute rund um Merkel, wie sehr seit Monaten einige konservative Zeitungen und Journale das Thema neue Partei immer wieder diskutieren und daneben auch personelle Alternativen zur Kanzlerin ins Bild rücken. Mehr noch: Auch in Merkels Machtzentrum gibt es Menschen, die sehr genau registrieren, wie viel Gerüchte und wie viel Berichte in der Hauptstadt kursieren, dass der eine oder andere Unternehmer schon mal Geld für eine neue Partei sammle.

Noch glaubt man nicht, dass derlei wirklich vor der Tür steht. Die Furcht davor dürfte aber zunehmen, sollte die schwarz-gelbe Koalition bis zu den Landtagswahlen nicht mehr rauskommen aus der miserablen Stimmung und noch schlechteren Umfragen. Merkels Verschärfung der Tonlage ist gerade auch dieser Gefahr geschuldet. Nur so kann sie jenem konservativ-wirtschaftsliberalen Milieu gefallen, das sich aus tiefem Frust abwandte.

Dabei zeigt sich, dass die Unionsspitze nicht mehr die SPD, sondern die Grünen als Hauptgegner betrachtet. "Unser Kampf gilt ihnen", erzählt einer aus der Unionsführung. "Sie kämpfen mit billigem Populismus um die gleichen Wähler, das dürfen wir nicht länger durchgehen lassen." Die Nein-Sager, heißt es jetzt abfällig bei den Christdemokraten. Und: die Fortschrittsverweigerer. Kein Wunder, dass jene, die nie mit den Grünen kooperieren wollten, zur Zeit glücklich sind, weil sie hören, was sie immer schon hören wollten. Und nicht wenige davon denken, so könne man nicht nur die Grünen schwächen, sondern auch den Sozialdemokraten besonders weh tun.

Nur einige wenige Nachdenkliche rund um Merkel beginnen zu ahnen, welche Folgen die Scharfmacherei haben könnte. Sie erklären deshalb ganz leise, derzeit lebe man halt in einer "parteipolitisch geprägten Phase der Profilierung". Spätestens nach den Landtagswahlen im Frühjahr werde sich die Kanzlerin wieder von ihrer moderateren Seite zeigen.

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