Merkel:Genießt die Langeweile!

Die Bundeskanzlerin tritt wieder an. Wie öde, stöhnen manche. Doch spätestens, wenn Donald Trump US-Präsident ist, werden wir die Langeweile schätzen lernen.

Kommentar von Matthias Drobinski

Sie tritt noch einmal an. Vorausgesetzt, diese Entscheidung von Angela Merkel führt tatsächlich dazu, dass sie ein viertes Mal zur deutschen Bundeskanzlerin gewählt wird, dann wird es im Jahr 2021 eine ganze Generation junger Leute geben, die nichts anders kennen als die ewige Kanzlerin in Berlin, die ihre Hände zum Dreieck faltet und sagt, dass es gerade keine Alternative gebe.

Dass Jürgen Trittin von den Grünen das langweilig findet, liegt nahe. Aber die Befürchtung geht weit über die Opposition hinaus, dass sich klebriger Mehltau übers Land legt, wenn das immer gleiche Personal die immer gleiche Politik macht, von Merkel über Steinmeier bis Gabriel. Und dass sich dann die Veränderungskraft zunehmend rechts von der Union versammelt, um die Berliner Republik hinwegzufegen.

Daran stimmt: Mit jedem Jahr im Amt steigt die Gefahr abzuheben und Kritik für Gewimmel in den Niederungen zu halten. Und ja, Angela Merkel hat in ihren Wahlkämpfen die Langeweile zur Strategie gemacht und sie als subtile Form der Machtausübung perfektioniert, effizienter als Kanzler Gerhard Schröders Basta-Politik. Doch die Demokratie lebt von der Konkurrenz der Argumente, vom Wechsel, davon, dass es Alternativen zur bestehenden Regierung gibt. Je weniger dies innerhalb des erprobten Personals und Spektrums sichtbar ist, umso stärker wird die Neigung der Wähler, hier einen geschlossenen Zirkel zu vermuten, der mal ordentlich aufgemischt gehört.

Durchwursteln allein - das wird nicht mehr genügen

Andererseits: Die "Frische" von Politikern ist so wenig Selbstzweck wie die Zerstörung von Systemen allein deshalb, damit sich etwas ändert. Man kann ja nicht sagen, dass in den Merkel-Jahren innen- und außenpolitische Langeweile geherrscht hätte. Die Abenteuer kamen von außen auf Deutschland zu, die Finanzkrise, die Krise des Euro und Europas, schließlich kamen 2015 fast 900 000 Flüchtlinge ins Land.

Angela Merkel, die sich 2003 noch als klare Wirtschaftsliberale profilierte, hat sich in dieser Zeit verändert. Sie hat, einen Schritt nach dem anderen, ein Wertesystem entwickelt: Für eine Europaorientierung gegen die wachsende Europaskepsis, für eine Verantwortung für die Welt und ihre Geflüchteten in der Zeit zunehmender Abschottung.

Es ist, auch wenn viele Konservative mit Merkel hadern, eine strukturell konservative Politik, für die die Änderung kein Selbstzweck ist. Sie ist, mit wechselnder Begeisterung, weitgehend mitgetragen worden vom Koalitionspartner SPD; sie ist, wenn es hart auf hart kam, mit der gebotenen Skepsis von Linken und Grünen toleriert worden.

Man kann viel kritisieren an den konkreten Entscheidungen dieses Durchmerkelns, angefangen beim Türkei-Deal. Man kann aber auch sagen: Zum Glück hat Merkels Politik manchmal etwas pathosarm Langweiliges. Man kann es Verlässlichkeit und Beharrlichkeit nennen und denken, dass man das gut gebrauchen kann, wenn erst einmal der Anti-Langeweile-Präsident Donald Trump im Amt ist.

Was nicht mehr gehen wird im Wahljahr 2017: einfach zu sagen, dass es keine Alternative zu dieser Politik gibt und den Streit darüber vermeiden, aus welchem Grund heraus sie lebt und zu welchem Ziel sie führen soll. Auch das immerhin haben die Krisen und der mit ihnen verbundene Aufstieg des Rechtspopulismus bewirkt: Sie haben die Politik wieder politisiert.

Wer immer im Herbst ins Kanzleramt einziehen will - sie oder er muss den Wählern weiteres Durchwursteln in Aussicht stellen, weil es nicht anders geht in einer komplexen Welt. Er oder sie muss aber auch erklären können, woher all das Wursteln kommt und wohin es dereinst führen soll. Wie heißt es schon in der Sprüchesammlung der Hebräischen Bibel? "Ein Volk ohne Visionen geht zugrunde."

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