Merkel auf der Gamescom:Schöne Grüße aus Neuland

Jungwähler und ihre Themen waren lange eine riesige Baustelle für die Parteien. Inzwischen machen ihnen die AfD-Sympathisanten mehr Sorgen.

Analyse von Hannah Beitzer, Berlin

Es gab einmal eine Zeit, da hätte so ein Termin ins Auge gehen können: Angela Merkel eröffnet die Gamescom, die größte Computerspiele-Messe der Welt. Die Kanzlerin und die Nerds, wie soll das zusammengehen? Beobachter hätten gelauert, dass sie irgendetwas sagt, das ihre Unkenntnis der Gamer-Szene und überhaupt digitaler Themen offenbart - "Neuland" lässt grüßen. Und heute? Lässt sie sich entspannt neben bunt gekleideten Cosplayern ablichten. Wie konnte es dazu kommen?

Alles, was mit Computern und Internet zu tun hat, galt noch vor der Bundestagswahl 2013 als größte Baustelle der etablierten Parteien, inhaltlich und auch was die Wahlkampfinstrumente angeht. Das wiederum galt als wichtiger Grund dafür, dass sich junge Leute mit CDU, CSU, SPD und den anderen schwer taten; dass sie überdurchschnittlich oft nicht zur Wahl gingen; dass sie sich erst recht nicht in Parteien engagierten. Die Digital Natives waren über Jahre hinweg die Sorgenkinder, die großen Unbekannten der deutschen Politik: Was wollen die? Und warum überhaupt? Durch den Erfolg der Piratenpartei wuchs der Druck auf die Etablierten, sich mit diesen Fragen zu beschäftigen.

Haustürwahlkampf ist wichtiger als Snapchat

Im Jahr 2017 hat sich einiges geändert. Zum einen, weil derartige Themen keine reinen Jungwähler-Themen mehr sind. Das zeigt sich auch auf der Gamescom: Gamer der ersten Stunde sind inzwischen gesetzte Familienväter mittleren Alters. Überhaupt sind Computerspiele längst ein riesiger Markt, fast jeder zweite Deutsche spielt sie Studien zufolge regelmäßig. "Seit der Mensch denkt, spielt er auch", leitet Merkel folgerichtig ihre Begrüßungsrede auf der Messe ein. Und hebt die Bedeutung der Computerspiele als "Kulturgut, Innovationsfaktor und Wirtschaftsfaktor" hervor. Vieles, was früher noch als junge Nische galt, ist heute Mainstream. Noch mehr als für Computerspiele gilt das zum Beispiel für Facebook, das inzwischen eine Social-Media-Plattform für Menschen jeglichen Alters ist.

Was aber ist denn nun mit den Jungwählern? Die Piratenpartei, die sich in den Jahren 2011 und 2012 anschickte, eine Vertreterin der jungen Generation und ihrer Themen zu werden, spielt politisch keine Rolle mehr. Die anderen Parteien probieren zwar schon mit Snapchat, Instagram und Whatsapp herum, den bevorzugten Medien der Jungen. Und ja, Angela Merkel hat vier jungen Youtube-Stars ein Interview gegeben. Man kann also nicht sagen, dass die Politik sich gar nicht um die Jungen kümmert - wenngleich besagtes Interview für Merkel nicht gerade eine Hochrisiko-Veranstaltung war.

Trotzdem ist die Sorge um die Jungwähler nicht die dringlichste in diesem Wahlkampf. Potenzielle AfD-Sympathisanten haben sie als die großen Unbekannten der Politik abgelöst. Wer während der vergangenen Landtagswahlen mit den Kandidaten der Parteien über die wichtigsten Instrumente des Wahlkampfs sprach, der hörte nicht als erstes: Snapchat, Whatsapp, Instagram. Der hörte mit Sicherheit Facebook und: Haustürwahlkampf. Also von Tür zu Tür gehen, klingeln, "Ich bin Ihr Kandidat" sagen.

Junge Leute treten wieder häufiger Parteien bei

Das hat einerseits Gründe, über die die etablierten Parteien sich freuen. Junge Menschen engagieren sich seit einiger Zeit wieder häufiger. Am sichtbarsten ist die Verjüngung seit 2013 der FDP gelungen. Deren Veranstaltungen nach den vergangenen Landtagswahlen erinnerten an Erstsemesterpartys, ein ungewohntes Bild. Nach der Abstimmung über den Brexit in Großbritannien und der Wahl von US-Präsident Donald Trump berichteten auch die anderen Parteien von jungen Neumitgliedern. Die Jungen nämlich merkten, dass die Werte, die für sie selbstverständlich waren, sehr schnell auf der Kippe stehen können.

Anstatt Rebellion gegen das Etablierte steht für viele junge Menschen Sicherheit im Vordergrund, das zeigen Jugendstudien schon seit vielen Jahren. Ein Umstand, der Angela Merkel zu Gute kommt, die bei Jungwählern in Umfragen besonders gut abschneidet. Galt über Jahrzehnte hinweg, dass rechte Parteien bei jungen Leuten überdurchschnittlich erfolgreich sind, gilt das für die AfD nicht im selben Ausmaß. The kids are alright.

Warum Jungwähler immer unwichtiger werden

Es gibt aber auch einen traurigen Grund, warum Jungwähler in diesem Wahlkampf nicht so präsent sind, wie sie es schon einmal waren. Für den Erfolg der Parteien werden sie nämlich immer unwichtiger. Gut ein Drittel aller Wahlberechtigten ist schon heute über 60 Jahre alt, Tendenz steigend. Der Anteil der Unter-30-Jährigen sinkt hingegen seit Jahrzehnten. Er liegt zurzeit noch bei 16 Prozent. Dazu sind junge Menschen überproportional oft Nichtwähler.

Kein Wunder, dass schon zur vergangenen Bundestagswahl die Rente eines der wichtigsten Themen war, so wie sie auch dieses Mal eines der wichtigsten Themen ist. Die Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen hat gerade die Rente mit 63 zum "ungerechtesten Gesetz für zukünftige Generationen" ernannt. Die Themen und Interessen der Jungen, so klagen ihre Vertreter, fallen in den Parteien oft hinten runter.

Kaum Kandidaten unter 30 auf guten Listenplätzen

Das zeigt sich nicht nur im Inhalt, sondern auch in der Auswahl der Kandidaten. Das Online-Magazin Vice hat ausgerechnet, dass basierend auf derzeitigen Umfragewerten im kommenden Bundestag nur acht Abgeordnete unter 30 Jahren im Bundestag sitzen würden. 2013 waren es immerhin noch elf. Die Parteien haben 2017 kaum junge Menschen auf aussichtsreiche Listenplätze gesetzt. Überraschenderweise kommen fast alle, die eine realistische Chance haben, von CDU und AfD. Von der Linkspartei säße nach jetzigem Stand nur ein, von SPD, Grünen und FDP kein einziger unter 30-jähriger Abgeordneter im Bundestag.

Und so setzt sich eine Spirale in Gang. Weil die jungen Wähler zahlenmäßig immer unwichtiger werden, schenken die Parteien ihnen weniger Beachtung. Und weil die Parteien sie weniger beachten, gehen die Jungen noch seltener zur Wahl. Das kann irgendwann dann doch zum Problem werden, wie zum Beispiel der Blick nach England zeigt. Hier gaben nicht zuletzt die überproportional vielen Nichtwähler unter den Jungen den Ausschlag für den knappen Sieg des Brexit-Lagers. Wenn jede Stimme zählt, dann zählt auch die der Jungen. The kids are alright: Das gilt immer nur für den Moment.

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