Menschenrechtler in China:Chinesische Polizei setzt weitere Dissidenten unter Druck

Chen Guangcheng ist geflohen - der bekannte Menschenrechtsaktivist sitzt jetzt wahrscheinlich in der US-Botschaft in Peking. Die chinesische Polizei nimmt sich nun sein Umfeld vor, während die sozialen Netzwerke offenbar zensiert werden. Die Flucht von Chen bringt die USA in Bedrängnis.

Nachdem der blinde Menschenrechtsaktivist Chen Guangcheng seinem Hausarrest entkommen ist, setzt die chinesische Polizei offenbar mit ihm verbundene Oppositionelle unter Druck. Hu Jia, ein enger Freund des geflohenen Chen Guangcheng, sei von der Polizei in Peking zum Verhör mitgenommen worden, schrieb seine Frau Zeng Jinyan am Sonntag auf Twitter. Die Behörden hätten sie ebenfalls zur Befragung einbestellt.

Chinese dissident Chen Guangcheng

Geflohen: Chen Guangcheng auf einem Archivbild.

(Foto: dpa)

Hu Jia hatte zuvor gesagt, Bekannten von Chen hätten ihm versichert, dass Chen an einem sicheren Ort sei. "Wenn sie das sagen, dann weiß ich, was das für ein Ort ist. Es gibt nur einen 100 Prozent sicheren Ort in China und das ist die US-Botschaft", so Hu Jia.

Der Menschenrechtsaktivist Chen ist durch seinen Protest gegen Zwangsabtreibungen im Rahmen der Ein-Kind-Politik in China bekannt geworden. Er war trotz strenger Überwachung die Flucht aus seinem Landhaus in der östlichen Provinz Shandong gelungen, wo er seit September 2010 unter Hausarrest stand.

Kurz vor seiner Flucht hatte Chen sich in einem Video direkt an Ministerpräsident Wen Jiabao gewandt. In der Aufnahme kritisiert er den Umgang mit ihm und seiner Familie und erhob Vorwürfe gegen Funktionäre der Kommunistischen Partei. Das Video gibt es auf Youtube auch mit englischen Untertiteln.

Dass sich Chen Guangcheng unter US-Schutz in Peking befindet, berichtete auch die in Texas ansässige Menschenrechtsgruppe China Aid unter Berufung auf das Umfeld des gesuchten Bürgerrechtlers. Ranghohe Vertreter Chinas und der USA hätten bereits Gespräche aufgenommen."Chen steht unter dem Schutz der USA und derzeit laufen auf höchster Ebene Gespräche zwischen chinesischen und amerikanischen Regierungsvertretern über Chens Status", meldet China Aid. Auch andere Menschenrechtler vermuten Chen in der US-Botschaft.

China-Aid-Chef Bob Fu teilte außerdem mit, dass Frau, Mutter und Tochter Chens sich weiterhin unter strengem Hausarrest befänden. Allerdings seien der ältere Bruder und der Neffe zum Verhör abgeführt worden. Fu wertete den Fall Chen als Bewährungsprobe für die USA und ihr Image bei der Wahrung von Menschenrechten. "Wegen Chens großer Bekanntheit muss die Obama-Regierung zu ihm stehen oder sie riskiert, ihre Glaubwürdigkeit als Verteidiger der Freiheit und der Rechtsstaatlichkeit zu verlieren", sagte Fu.

Soziale Netzwerke in China zensiert

Die US-Regierung äußerte sich zunächst nicht zu den Berichten, wonach Chen in die US-Botschaft geflohen ist. Auch die chinesische Regierung schweigt bisher. Laut New York Times haben bislang weder die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua noch die staatsnahen Zeitungen China Daily, People's Daily oder Global Times über die Flucht von Chen berichtet. Die China Daily druckt stattdessen im Moment einen Leitartikel, der westliche Medien als unprofessionell kritisiert. Sie hätten die Affäre um Bo Xilai als Hollywood-Drama inszeniert.

Dem China Media Project der Universität Hongkong zufolge sind auch die sozialen Medien zensiert. Nahezu alle möglichen Suchanfragen zu Chen Guangcheng sind in China demnach mittlerweile blockiert, inklusive des Begriffs "blinde Person".

Die mutmaßliche Flucht des blinden Aktivisten kommt für die beiden Großmächte zu einem heiklen Zeitpunkt. US-Außenministerin Hillary Clinton und Finanzminister Timothy Geithner werden ab Donnerstag zu strategischen Gesprächen in Peking erwartet. Zudem sind die Beziehungen gerade angespannt, weil die US-Regierung überlegt, Kampfflugzeuge an Taiwan zu verkaufen.

Vor dem Spitzentreffen in China versuchen die USA nun offenbar, die Wogen zu glätten. Der Ministerialdirektor für Asien im US-Außenministerium, Kurt Campbell, änderte kurzfristig seine Reisepläne und traf bereits am Sonntagmorgen in Peking ein. Das US-Außenministerium wollte nicht beantworten, ob Campbell wegen der Flucht von Chen früher als geplant nach China geschickt worden sei. Klar ist jedoch, dass den USA kaum an einer Eskalation der diplomatischen Krise gelegen sein dürfte. Washington braucht bei mehreren Themen die Unterstützung Chinas - nicht zuletzt in den Atomkonflikten mit dem Iran und Nordkorea und um den Drucks auf die Regierung in Syrien zu erhöhen.

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