Weltfrauentag:Der Frauentag darf seine zornige Seite nicht verlieren

Plakat zum Internationalen Frauentag, 1914

Als Kampftag war der Frauentag ursprünglich gedacht, wie dieses Plakat aus dem Jahr 1914 zeigt.

(Foto: SZ Photo)

Den Frauentag zum Feiertag zu machen kann sinnvoll sein, wenn er als Kampftag genutzt wird - und nicht als Anlass für Kaffeekränzchen, rote Nelken oder den überfälligen Anruf bei Mutti.

Kommentar von Jana Anzlinger

Ein Kampftag sollte er sein, ein Tag des Protests und der Agitation: So wünschte die Frauenbewegung sich den Internationalen Frauentag; diesen Geist versprühten die ersten Frauentage ab 1911. Heute wird in der Bundesrepublik eher zufrieden gefeiert als agitiert und protestiert: 100 Jahre Frauenwahlrecht! Juhu, wir dürfen ein Grundrecht wahrnehmen! In Berlin ist dieser 8. März sogar erstmals ein arbeitsfreier Tag. Doch der Frauentag darf nicht bloß ein Feiertag sein, an dem man ausschlafen kann und es rote Nelken gibt. Er muss ein Gedenktag und ein Kampftag sein. Her mit den Trillerpfeifen!

Heute nur das Erreichte zu feiern, verschließt die Augen vor vielen ungelösten Problemen. Der Frauenanteil im Bundestag ist in dieser Legislaturperiode so gering wie seit 20 Jahren nicht. Noch nie war eine Frau Bundespräsidentin, Außenministerin, Verkehrsministerin. Die wenigsten Unternehmen sind weiblich geführt. Wegen der Lohnlücke arbeiten Frauen - im Vergleich zu Männern - aufs Jahreseinkommen umgerechnet bis zum 18. März umsonst. Ein Kind zu bekommen, bedeutet für Frauen langfristige schwere Lohneinbußen. Frauen leiden besonders oft unter Altersarmut. In den Karnevals-Büttenreden leben die erbärmlichen "Frauen sind so und Männer so"-Witze weiter und immer weiter. Geschlechtliche und sexuelle Minderheiten werden nach wie vor stark diskriminiert, ihnen wird mithin die bloße Existenz abgesprochen.

Das gesellschaftliche Selbstverständnis der liberalen, gleichgestellten Gesellschaft und die Realität weichen trotz aller Errungenschaften noch immer drastisch voneinander ab. Hier hilft auch der Weltfrauentag wenig - zementiert er doch ein veraltetes Geschlechterverständnis: Für manche Männer klingt "Weltfrauentag" oder "Frauenkampftag" nach: betrifft die Frauen, geht mich also nichts an. Oder schlimmer noch: Bin ich es, der da bekämpft werden soll? Beides ist falsch. Beides zeugt von einem Männer-versus-Frauen-Narrativ. Das ist nicht mehr zeitgemäß. Dass noch so vieles im Argen liegt, ist kein Grund zu verzweifeln oder den Frauentag abzuschaffen. Aber er darf seine zornige Seite nicht verlieren. Aus Zorn lässt sich Energie schöpfen, aus Streit kann Diskurs werden.

Den Frauentag auch bundesweit zum Feiertag zu machen, kann deshalb sinnvoll sein. Aber nicht, damit sich Frauen mal ausruhen und beim Kaffeekränzchen anstoßen können, während ihre Männer ausnahmsweise mal die Kinder hüten. Nicht als Grund, der Partnerin mal ein paar Blumen zu schenken oder pflichtschuldig die Mutti anzurufen wie am Muttertag, weil Frauen ja schon auch irgendwie wichtig sind. Feiertag und Kampftag: Das schließt sich nicht aus. Ein Feiertag ist sinnvoll, um Aufmerksamkeit zu schaffen - alle haben Zeit, mal Krach zu machen. In Berlin scheint das zu funktionieren - am ersten Frauenfeiertag gibt es eine große Demo und viele kleine Veranstaltungen für interessierte Menschen aller Geschlechter, die jede Form von Diskriminierung satthaben.

Um Chancengleichheit muss gekämpft werden, aber in die Schlacht müssen alle gemeinsam ziehen. Wenn Männer und Frauen diesen Kampf gegeneinander statt miteinander führen, verlieren am Ende alle: Die Männer sehen sich bedroht. Die Frauen reagieren frustriert auf die ewige Kabbelei um Selbstverständliches. Alle anderen fühlen sich übergangen. Und diese "anderen" gibt es. Die binäre Aufteilung in zwei Geschlechter gerät zunehmend ins Wanken. Auch für diese Menschen und mit ihnen lohnt es sich, am 8. März zu kämpfen. Der Anlass darf sie nicht ausschließen, bloß weil er "Frauentag" heißt.

Es ist respekt- und sinnvoll, an feministische Vorkämpferinnen und ihre Erfolge zu erinnern. Aber sich auf diesen Erfolgen auszuruhen, heißt die Frauenbewegung zu verraten.

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