Landtagswahl in Bayern:Nur wer regiert, kann das Land verändern

Die Grünen schicken sich an, die SPD als zweitstärkste Kraft im Bund abzulösen. Doch um wirklich etwas zu bewirken, müssen sie weniger auf Ideologie und mehr auf Pragmatismus setzen.

Kommentar von Josef Kelnberger

In der Politik, so lautet ein alter Spruch von Winfried Kretschmann, kommt es auf den Unterschied zwischen Recht haben und Recht bekommen an. In der Disziplin Rechthaberei, manchmal bis hin zur moralischen Selbstüberhöhung, sind die Grünen seit jeher unschlagbar. Was das Rechtbekommen betrifft, scheint Kretschmanns Partei große Fortschritte zu machen.

Ausweislich der Umfragen schicken sich die Grünen an, die SPD als zweitstärkste Kraft im Bund abzulösen. In Bayern ist nun erstmals ein Landesverband annähernd in Stimmenregionen vorgedrungen, die bislang Kretschmanns Südwest-Grünen vorbehalten blieben. Doch das Konfetti, in dem die Partei bei der Wahlparty in München badete, ist bereits aufgekehrt. Sollten die Grünen nicht in der Regierung landen, wonach es aussieht, haben sie bei allen Zugewinnen eine Niederlage erlitten. Das zu akzeptieren, ist jetzt die große Herausforderung für die Partei.

Eine Koalition mit der CSU, wäre das nicht furchtbar? So ist das nun vor allem außerhalb von Bayern zu hören. Der Widerwille ist verständlich, schließlich haben sich die Grünen über Jahrzehnte hinweg in Abgrenzung zur CSU definiert. Anderseits spricht daraus genau die gleiche Haltung, mit der sich die Partei im Jahr 2013 gegen eine schwarz-grüne Koalition im Bund sträubte: keine Kompromisse, Hauptsache ein reines Gewissen. Die Grünen leiden bis heute darunter. Und wenn sie immer wieder beklagen, in den Jahren der großen Koalition sei in Berlin nichts voran gegangen in der Umwelt- und Klimapolitik, kann man nur erwidern: selbst schuld. Nur wer regiert, kann das Land verändern.

Nun eröffnet sich der Partei unverhofft eine neue Chance, ähnlich wie nach dem Atomunglück von Fukushima 2011. Der Welle des Rechtspopulismus, die über das Land hinweggeht, kommt von der anderen Seite eine grüne Welle entgegen. Die Frage ist, ob die Partei bereit ist, den erstaunlichen Zuspruch in konkrete Politik umzusetzen. Bislang ist sie eher Projektionsfläche als handelndes Subjekt.

Eine neue Ausprägung des Konservatismus

Eine neue Volkspartei können die Grünen nicht werden. Dazu sind sie im Osten Deutschlands zu schwach, und dazu ist ihre Kernkundschaft zu stark verengt auf gut ausgebildete, gut verdienende Menschen in städtischen Milieus. Eine grüne Mehrheit in der Stadt München: klingt sensationell, aber man fragt sich auch, warum erst jetzt? Die Beispiele Baden-Württemberg und Bayern zeigen allerdings, dass die Partei Zugang zu ländlichen Milieus finden kann. Der Wunsch nach Klima- und Naturschutz und einer umweltverträglichen Landwirtschaft verbinden sich mit alten grünen Anliegen: Europa-Bindung, Minderheitenrechte, humaner Umgang mit Flüchtlingen. Je stärker CDU und CSU nach rechts rücken, desto mehr Raum geben sie den Grünen. Es ist eine neue Ausprägung des Konservatismus, der die Grünen tragen kann: Bewahrung der Umwelt plus Bewahrung der freien Gesellschaft. Ein klares politisches Profil, ganz im Gegensatz zur SPD, die um ihre Identität ringt.

Welche Politik die Grünen mit einem Ergebnis von fast zwanzig Prozent verfolgen, welche Kompromisse zu schließen sie bereit sind, was zum Beispiel aus dem umstrittenen bayerischen Polizeigesetz und der bayerischen Asylpolitik werden könnte - man wird es vermutlich nicht erfahren. Es waren in der Vergangenheit zu viele Ideologen am Werk, auf beiden Seiten, und so ist es wohl nach wie vor.

Ausgerechnet der grüne Bundesvorsitzende Robert Habeck, als Mann des Ausgleichs bekannt, tönte nun, die Grünen hätten bei dieser Wahl die Demokratie zurück nach Bayern gebracht. Er hat sich dafür entschuldigt, aber das Beispiel zeigt: Es ist offenbar schwer, aus alten grünen Mustern auszubrechen.

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