Machtwechsel in Athen:Griechenland strahlt blau

Die Farben der Konservativen dominieren wieder das Land. Der künftige Regierungschef Mitsotakis muss sich nun um die marode Infrastruktur kümmern. Doch er hat eine starke Opposition.

Von Christiane Schlötzer, Athen

Am Montagvormittag fällt mitten im Athener Zentrum, rund um den Syntagmaplatz, der Strom aus. Computer, Kühlschränke, Klimaanlagen - alles weg. Und das bei 38 Grad im Schatten. Das Parlament hat Strom, aber was hilft das schon. Die technische Panne beim größten griechischen Stromkonzern, der halbstaatlichen DEI, zeigt, wie marode Teile der Infrastruktur nach zehn Krisenjahren sind. Auch darum wird sich die neue Regierung kümmern müssen.

Im Präsidentenpalast gibt es Strom, als am Mittag dort Kyriakos Mitsotakis, 51, zur Vereidigung kommt, gemeinsam mit seiner Frau Mareva und den drei Kindern Sophia, Konstantinos und Daphni, alle drei in Blau-Weiß, den griechischen Nationalfarben. Anwesend ist auch Erzbischof Hieronymus, Mitsotakis küsst ihm die Hand. Vor viereinhalb Jahren, als hier Alexis Tsipras vor Präsident Prokopis Pavlopoulos stand, gab es keinen kirchlichen Segen, der linke Politiker wollte es so.

Mitsotakis' konservative Partei Nea Dimokratia (ND) erhielt bei der Parlamentswahl am Sonntag 39,9 Prozent der Stimmen, die Linkspartei Syriza von Tsipras 31,5. Damit haben die ND wie auch Syriza seit der Europawahl im Mai ihren Stimmenanteil vergrößert, beide kommen zusammen auf rund 70 Prozentpunkte. So etwas gab es zuletzt 2007, vor Beginn der Finanzkrise im Jahr 2009. Damals teilten sich allerdings die ND und die Pasok-Sozialisten das Feld. Die Pasok ist als Krisenopfer verschwunden. Ihre Nachfolgerin, die Kinal, ist klein und erhielt nur 8,1 Prozent. Der TV-Kommentator Pavlos Tsimas urteilte, Griechenland sei zurückgekehrt zum Zwei-Parteien-System, "das kennt das griechische Volk seit dem 19. Jahrhundert".

Bei den jungen Griechen liegt die abgewählte linke Partei deutlich vorne

Nun ist Syriza die zweite Kraft, und Tsipras, 44, versprach: "Wie werden hart arbeiten, damit unsere Niederlage nur vorläufig ist." Er kündigte einen Umbau der Syriza zu einer "großen progressiven Partei" an. Bei Wählern zwischen 17 und 24 Jahren lag Syriza mit 38 Prozent vorne, in dieser Altersgruppe kam die ND nur auf 30 Prozent. Tsipras sagte auch, er hoffe, dass die Rückkehr der ND "nicht zu Racheakten" führe. Die Linke werde die "Errungenschaften" im sozialen Bereich verteidigen. Tsipras ließ offen, ob die Opposition auch wieder zu Straßenprotesten aufrufen würde. Während der letzten konservativen Regierung blockierten linke Demonstranten und streikende Gewerkschafter immer wieder die Innenstadt von Athen.

Die Stimmengewinne der Großen gingen zu Lasten der Kleinen. Mit Erleichterung wurde dabei in griechischen Medien aufgenommen, dass die Neonazi-Partei Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte) mit 2,93 Prozent unter der Drei-Prozent-Hürde blieb. 2012 kam sie erstmals mit knapp sieben Prozent ins Parlament. Nachdem ein Unterstützer der Partei 2013 den Rapper Pavlos Fyssas ermordet hatte, wurden mehrere Mitglieder und Parteichef Nikos Michaloliakos wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung angeklagt. Der Prozess ist noch nicht beendet. Michaloliakos drohte jetzt damit, den "Kampf" wieder auf die Straße zu tragen, wo Chrysi Avgi "stark geworden" sei. Die Neonazis hatten früher häufig Ausländer und Linke angegriffen.

"Zuflucht" fanden Wähler der Chrysi Avgi, wie die Zeitung Efimerida Ton Syntakton schrieb, bei der neuen prorussischen Rechtspartei "Griechische Lösung", die mit 3,7 Prozent und zehn Abgeordneten ins Parlament einzog. Deren Chef Kyriakos Velopoulos war ein entschiedener Gegner des Namensabkommens mit Nordmazedonien, das Tsipras vereinbarte. Velopoulos warb damit, dass er handgeschriebene Briefe von Jesus besitze.

Auch Ex-Minister Yanis Varoufakis hat es mit einer eigenen linken Partei zurück ins Parlament geschafft. Tsipras hatte ihn Mitte 2015 nach einem heftigen Zerwürfnis entlassen. Nun werden sich die beiden in der Opposition wieder begegnen, wenn das Parlament am 17 Juli eröffnet wird.

Tsipras übergibt seinem Nachfolger ein aufgeräumtes Amtszimmer

Von den 59 Wahlkreisen hat die ND 51 gewonnen. Auf den Karten ist jetzt fast das ganze Land blau eingefärbt, in der Farbe der ND. Die Karten von 2015 waren überwiegend Rosa, der Syriza-Farbe. Das macht den Umschwung deutlich.

Nach der Vereidigung spazierte Mitsotakis zum Amtssitz des Ministerpräsidenten, dem Megaro Maximou. Tsipras wartete dort schon auf der obersten Stufe, unter den Säulen. Mit einer Handbewegung winkte er Mitsotakis hinein. Tsipras' Vorgänger Antonis Samaras hatte sich 2015 geweigert, seinem Nachfolger den Amtssitz zu übergeben, wie es Tradition ist. Danach erzählten Syriza-Leute, sie hätten in dem Gebäude nicht mal Seife und Klopapier vorgefunden. Das Amtszimmer von Tsipras wirkte, soweit man das im Fernsehen sehen konnte, auch sehr aufgeräumt. Ein konservativer Kandidat hatte am Sonntagabend im Sender Skai behauptet, Syriza habe bereits "Lastwagenladungen" aus den Regierungsbüros abtransportiert. Dokumente zu schreddern ist auch Tradition bei griechischen Regierungsübergaben. Mitsotakis hat angekündigt, "mehr Transparenz" in der Verwaltung zu schaffen, mit einem Staatsminister für "Digitalisierung". Das historische Megaro Maximou will er nur noch für Repräsentatives nutzen. Statt dessen will er in einen schlichten, aber größeren Verwaltungsbau ziehen.

Die Wahlbeteiligung war mit 58 Prozent vergleichsweise niedrig. Es war die erste Wahl im Hochsommer seit 1928. Umfragen hatten einen klaren Sieg der ND vorausgesagt, das hielt offenbar einige Griechen vom Wählen ab. Weil die Sache so klar war, hatte sich Mitsotakis offenbar gut vorbereitet: Sein Kabinett soll schon am Dienstag vereidigt werden. Außenminister soll der einstige Polizei- und Justizminister Nikos Dendias werden, Wirtschaftsminister der hemdsärmelige Adonis Georgiadis. Um den Energiesektor, und damit um Stromausfälle, soll sich Kostis Hatzidakis kümmern, ein Mann mit Regierungserfahrung. Die wird er brauchen, der Stromkonzern ist praktisch pleite.

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