Libyen:Wie glücklich Revolutionäre sind

Ein Jahr nach Beginn des erfolgreichen Aufstands gegen das Gaddafi-Regime hat ein Institut erstmals die Menschen in Libyen zu ihren Einstellungen und ihrer Lebenszufriedenheit befragt. Dass die Mehrheit von ihnen erstaunlich optimistisch in die Zukunft blickt, war nicht das einzige überraschende Ergebnis der Studie.

Christiane Schlötzer

Sozialforscher lieben die Frage nach dem Glück. Danach sind Menschen in Mexiko grundsätzlich glücklicher als in Deutschland. In Libyen, das nun den Jahrestag des Beginns seines erfolgreichen Aufstands gegen das Gaddafi-Regime feiert, konnten Experten des renommierten Instituts Oxford Research International Ende 2011 erstmals die Frage nach dem Glück stellen. Sie fanden heraus, dass eine Mehrheit der Menschen erstaunlich optimistisch in die Zukunft blickt. Für die Studie haben die Forscher in Zusammenarbeit mit der Universität von Bengasi und dem Zweiten Deutschen Fernsehen im vergangenen Dezember 2087 Libyer in allen Landesteilen befragt.

Libyen: Die Libyerin Asma, 34, gehörte zum Team der Interviewer, die sich bisweilen selbst schützen mussten.

Die Libyerin Asma, 34, gehörte zum Team der Interviewer, die sich bisweilen selbst schützen mussten.

(Foto: Oxford Research International)

Das Institut hatte 2004 auch in Irak - ein Jahr nach dem Kriegsbeginn - nach Einstellungen zu Religion und Politik und zur Lebenszufriedenheit gefragt. Auch viele Iraker wünschten sich damals wie jetzt fast die Hälfte der Libyer wieder einen "starken Führer" an der Spitze des Staates. Aber 82 Prozent der Libyer sagen auch, dass die Revolution gegen die mehr als 40-jährige Gaddafi-Herrschaft "absolut richtig" gewesen sei.

Nach der Studie möchten 69 Prozent der Libyer, dass die Mitglieder des Gaddafi-Regimes vor Gericht gestellt werden, um sie später wieder in die Gesellschaft zu integrieren. Erschreckt habe die Forscher, so der Instituts-Direktor Christoph Sahm, das hohe Gewaltpotential in der Gesellschaft. So konnten sich 16 Prozent vorstellen, wieder Gewalt anzuwenden. Dieses Ergebnis verlange besondere Aufmerksamkeit, sagte Sahm der Süddeutschen Zeitung.

Das politische Interesse im Land ist hoch. Die meisten Libyer wollen auch, dass Religion die politische Moral mitbestimmt. Die Mehrheit lehnte die Idee einer religiösen politischen Führung aber ab. 57 Prozent sagten, die Muslimbruderschaft sollte keine Rolle in der Zukunft Libyens spielen.

Die Forscher fragten auch, was die Menschen tun würden, wenn sie 100 Millionen Dinar zu verteilen hätten. 34 Prozent würden das Geld ins Gesundheitsversorgung investieren, 27 Prozent ins Erziehungssystem und nur 17 Prozent in die Infrastruktur des Landes - trotz der Kriegszerstörungen.

Mehr Kontrolle über das eigene Leben

Seit der Revolution haben mehr Menschen eine "größere Kontrolle" über ihr eigenes Leben, was für die Forscher auch ein Zeichen für Zufriedenheit ist. Die Institution, die das größte Vertrauen genießt (81 Prozent) ist der regierende Nationale Übergangsrat (NTC). Libyens religiöse Führer landeten auf dem zweiten Platz (72 Prozent). Nato, UN und EU vertrauen die Libyer deutlich weniger, wobei die westliche Militärallianz noch am besten abschneidet.

Die größten Sympathien in der westlichen Welt fliegen Frankreich zu, das an vorderster Front für eine Militärintervention in Libyen eingetreten war. Das Ansehen Frankreichs ist auch höher als das der USA oder des Emirats Katar, das sich ebenfalls auf die Seite der Befreier geschlagen hatte. Deutschland - und das erstaunte die Forscher - konnte seit dem Umsturz an Sympathie zulegen, obwohl sich die Regierung in Berlin gegen eine Beteiligung an der Intervention entschieden hatte. 39 Prozent der Libyer sagten, das Ansehen Deutschlands habe sich verbessert, für 51 Prozent ist es dagegen gleich geblieben.

Voraussichtlich im Juni soll in Libyen das erste freie Parlament gewählt werden. Bislang können viele Bürger aber mit politischen Parteien nach westlichem Muster wenig anfangen. Das Misstrauen gegen Parteien ist eher groß. Nur fünf Prozent der Befragten sahen in raschen Wahlen überhaupt eine Priorität. Viele wünschten sich auch eine Technokraten-Regierung, die über den politischen Streitereien stehen könnte.

Die Studie ergab auch, dass 69 Prozent der Bürger nun glauben, sie könnten die Entwicklung ihres Landes mitbestimmen. Nur 31 Prozent sagten, solche Entscheidungen sollten allein den Politikern überlassen bleiben. Ihre Informationen beziehen die Menschen zu fast 80 Prozent aus TV-Sendern. Fernsehen, so die Forscher, müsse auch das Medium für eine politische, demokratische Erziehung sein.

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