Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen:Kraft kann keine Diskussionen gebrauchen

Hannelore Kraft

Hannelore Kraft, 55, seit sechs Jahren SPD-Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen.

(Foto: dpa)

Kanzlerkandidatur, Rot-Rot-Grün, Bundespräsidentenwahl. Hannelore Kraft kommen sämtliche Themen ungelegen. Sie muss in NRW Ministerpräsidentin bleiben - oder ihre Partei kann die Bundestagswahl vergessen.

Von Bernd Dörries und Christoph Hickmann, Düsseldorf/Berlin

Vor ziemlich genau drei Jahren hatte Hannelore Kraft die Schnauze voll davon, ständig als Kanzlerkandidatin der SPD ins Spiel gebracht zu werden. "Nie, nie", werde sie nach Berlin gehen, sagte sie in einer Sitzung der SPD-Landtagsfraktion und sorgte auch dafür, dass dieses Zitat schnell die Runde machte. Wenig später, so erzählt man sich in der nordrhein-westfälischen SPD, habe sich Parteichef Sigmar Gabriel per SMS gemeldet und sein Bedauern über das Doppel-Nie ausgedrückt. Letztlich dürfte sich seine Betroffenheit über die Entscheidung Krafts in Grenzen gehalten haben. Seitdem ist der Weg für seine Kandidatur frei. Oder besser: wäre. Wenn er denn will.

Mit Hannelore Kraft und Sigmar Gabriel war es lange Zeit nicht so einfach. Kraft war häufig genervt von den Kurswechseln und Eingebungen des Parteichefs, der wiederum Kraft als Gegenspielerin fürchten musste. Schon vom Typ her könnten sie kaum unterschiedlicher sein. Gabriel ist gern in der Tagesschau, Kraft lieber auf Besuch in einem Kindergarten in Lünen. Den Berliner Politikbetrieb, das hat sie oft erzählt, verachte sie. Gabriel ist Teil dieses Betriebs. Der Parteichef tauscht sich gern mit dem einstigen Kanzleramtschef Bodo Hombach aus. Kraft und Hombach können sich nicht ausstehen.

Das alles hat Kraft und Gabriel nicht zu engen Freunden gemacht. Seit Kraft sich aus dem Rennen genommen hat, soll das Verhältnis aber besser geworden sein. Ihre innerparteiliche Machtposition hat Kraft mit ihrer Erklärung geschwächt - und dominiert trotzdem ein knappes Jahr vor der Bundestagswahl entscheidende Prozesse in der SPD.

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Ob es die Frage der Kanzlerkandidatur ist, die jüngste rot-rot-grüne Lockerungsübung oder die Frage, wer nächster Bundespräsident wird - alles wird derzeit mit Blick auf die nordrhein-westfälische Landtagswahl im Mai betrachtet. Für Kraft geht es darum, ihr Amt zu behalten. Für die SPD wird es darum gehen, ihr Stammland zu halten. Und damit einen Hauch Hoffnung für die Bundestagswahl.

Die Lage in Nordrhein-Westfalen ist schwierig, aber nicht aussichtslos. Kraft hatte um den Jahreswechel herum erschöpft gewirkt, man konnte den Eindruck gewinnen, sie habe auf diese ganze Politik keine Lust mehr. Mittlerweile hat Kraft gemerkt, dass mit dieser Haltung keine Wahl zu gewinnen ist, sie beginnt nun wieder mit dem Kümmern. Der Wahlkampf wird eine große Tour über die Marktplätze des Landes, kaum ein Kind in Nordrhein-Westfalen wird ungestreichelt bleiben.

Um Themen wird es höchstens am Rande gehen, dabei gäbe es genug zu besprechen. Nordrhein-Westfalen steht bei Wachstum, Bildung und Infrastruktur eher schlecht da, was nicht in jedem Fall der Regierung Kraft anzulasten ist. Es hat sich aber ein träger Dunst über NRW gelegt, Rot-Grün macht den Eindruck einer Landesverwaltung.

CDU-Oppositionschef Armin Laschet verbringt zwar viel Zeit in den sozialen Netzwerken und in Talkshows; eine Idee, was er denn anders machen würde, hat sich bisher aber auch noch nicht vermittelt. Er hat zudem das Problem, dass er lange Zeit die "Wir schaffen das"-Politik von Angela Merkel noch vehementer verteidigt hat als die Kanzlerin selbst. Was ihm in seiner Partei manche übel nehmen. Die SPD liegt in Umfragen solide über 30 Prozent, ein Wert, der sich noch verbessern könnte, wenn Kraft im Wahlkampf die Marktplätze und Kindergärten unsicher macht. Weil die Grünen aber schwächeln und womöglich auch Linke, FDP und AfD in ein Sechs-Parteien-Parlament einziehen, stehen die Chancen schlecht für eine Fortsetzung von Rot-Grün.

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Und weil es eng werden könnte, will man in der Bundes-SPD alles vermeiden, was den Wahlkampf der NRW-Genossen stören könnte. Die wiederum wünschen sich vor allem eins: Ruhe. Kürzlich erst sprach sich Landtags-Fraktionschef Norbert Römer für Sigmar Gabriel als Kanzlerkandidaten aus. Angesichts der offiziellen SPD-Sprachregelung, wonach man mit der Entscheidung bis Anfang des Jahres warten wolle, war das ein erstaunlicher Vorstoß. Das Kalkül dahinter: Römer und Kraft haben keine Lust auf SPD-Personaldiskussionen wenige Monate vor der NRW-Wahl. Also soll die Entscheidung nun möglichst schnell fallen.

Entsprechend wächst der Druck auf Gabriel, der auch in einer anderen Frage nordrhein-westfälische Interessen berücksichtigen muss. Neulich besuchte er eine groß angelegte rot-rot-grüne Konferenz und setzte damit ein viel beachtetes Signal. Hannelore Kraft allerdings kann das kaum in den Kram gepasst haben. Mindestens so sehr wie Personalquerelen vor ihrer Landtagswahl muss sie eine Debatte über mögliche Kooperationen mit der Linkspartei fürchten. Erst im Sommer hatte sie die Linke als "gespaltene Partei" bezeichnet, was "keine gute Basis" für eine Zusammenarbeit sei - kurz nachdem Sigmar Gabriel ein "Bündnis aller progressiven Kräfte" gefordert und damit ein erstes rot-rot-grünes Signal gesetzt hatte.

Auch bei solchen Farbenspielen muss die Bundes-SPD derzeit also Rücksicht auf NRW und Kraft nehmen. Das gilt nicht zuletzt für die Wahl eines Bundespräsidenten. Auch so ein Amt, für das Kraft selbst einmal im Gespräch war.

Sollte im Februar doch noch ein rot-rot-grüner Kandidat antreten, hätte Kraft bis Mai eine Diskussion am Hals. Daher dürfte sie es mit Genugtuung verfolgt haben, als Gabriel nun Außenminister Frank-Walter Steinmeier vorschlug - der von den allermeisten Linken abgelehnt wird.

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