Kriegsverbrecherprozess in Den Haag:Karadzic attackiert seine Ankläger

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Kriegsverbrecherprozess in Den Haag: Radovan Karadzic im Juli 2013

(Foto: AFP)
  • Der frühere bosnische Serbenführer Karadzic nutzt sein Schlussplädoyer vor dem Strafgerichtshof in Den Haag, um die Anklage scharf zu kritisieren. Er zeigt sich siegessicher: Er werde freigesprochen.
  • Karadzic werden Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Jugoslawienkrieg in den 1990ern vorgeworfen. Er soll unter anderem Drahtzieher des Massakers von Srebrenica gewesen sein.
  • Der 69-Jährige galt als nationalistischer Vordenker, der etwa einen Staat Großserbien anstrebte.
  • Ein Urteil gegen Karadzic wird erst Ende 2015 erwartet.

Die Attacken des mutmaßlichen Kriegsverbrechers

Der wegen Völkermordes angeklagte ehemalige bosnische Serbenführer Radovan Karadzic beteuert vor dem UN-Tribunal zu Kriegsverbrechen im früheren Jugoslawien seine Unschuld. Die Ankläger seien "Lügner" und hätten keinerlei Beweise vorgelegt, sagte Karadzic in Den Haag in seinem Schlussplädoyer.

Es gebe keine Beweise dafür, dass Karadzic die Hinrichtung von Gefangenen geplant oder angeordnet habe, sagte dessen Anwalt Peter Robinson. Die Vorfälle in Srebrenica seien vor Karadzic verheimlicht worden, "und deshalb ist er nicht des Völkermordes schuldig". Karadzic selbst sagte: "Ich habe keine Zweifel hinsichtlich des Ausgang des Prozesses. Ich werde freigesprochen." Zu Berichten über das Srebrenica-Massaker sei ihm damals lediglich mitgeteilt worden, dass es sich um "Lügen" gehandelt habe.

Es sei "das serbische Volk", das angeklagt sei, sagte der 69-Jährige am Mittwoch und unterstellte damit eine Voreingenommenheit gegen sein Land. Die Anklage "kennt die Wahrheit", aber sie versuche, "das Tribunal zu täuschen", sagte Karadzic.

Mit Blick auf die ihm vorgeworfenen schweren Verbrechen gegen Muslime und andere Volksgruppen versicherte er: "Ich bin in Wirklichkeit immer ein echter Freund der Muslime gewesen." Diese und andere Gesichtspunkte würden aber von der Anklage "alle unter den Teppich gekehrt". In seinem schriftlichen Plädoyer erkannte Karadzic allerdings seine "moralische Verantwortung" für Verbrechen als Präsident der selbst-proklamierten serbischen Republik in Bosnien an.

Der Prozess in Den Haag

Karadzic ist in Den Haag in elf Anklagepunkten wegen Völkermordes, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit während des Bosnienkrieges angeklagt. Karadzic hat bereits erklärt, er fordere einen Freispruch. Mit einem Urteil wird nicht vor dem Ende des kommenden Jahres gerechnet. Karadzic war im Juli 2008 in der serbischen Hauptstadt Belgrad gefasst worden, nachdem er sich 13 Jahre lang versteckt gehalten hatte.

Die Anklage

Die Anklage hatte am Montag in ihrem Schlussplädoyer erklärt, sie halte jegliche Zweifel an der Schuld Karadzics für ausgeräumt. Er sei eindeutig die "treibende Kraft" hinter "ethnischen Säuberungen" im Bürgerkrieg und dem Massaker von Srebrenica gewesen, sagte Chefankläger Alan Tieger.

Karadzic sowie dem früheren bosnisch-serbischen Armeechef Ratko Mladic und dem inzwischen verstorbenen ehemaligen jugoslawischen Staatschef Slobodan Milosevic wird vorgeworfen, nach dem Zusammenbruch Jugoslawiens im Jahr 1991 gemeinsam "ethnische Säuberungen" in den von Serben beanspruchten Teilen Bosniens vorgenommen zu haben. Muslime, Kroaten und andere Bevölkerungsgruppen wurden demnach systematisch vertrieben.

Insgesamt wurden im Bosnienkrieg der Jahre 1992 bis 1995 etwa 100 000 Menschen getötet und mehr als zwei Millionen vertrieben. Allein bei dem als Völkermord eingestuften Massaker von Srebrenica im Juli 1995 wurden etwa 8000 muslimische Jungen und Männer verschleppt, getötet und in Massengräbern verscharrt. Karadzic gilt als Drahtzieher des Massakers von Srebrenica. Ebenfalls verantworten muss er sich wegen der 44-monatigen Belagerung der bosnischen Hauptstadt Sarajevo, bei der bis zum November 1995 nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen etwa 10 000 Zivilisten getötet wurden.

Nationalistischer Visionär

Karadzic galt während des Bürgerkriegs als Vordenker und Visionär der nationalistischen Ideen in Bosnien-Herzegowina. Politisch strebte er einen Staat Großserbien an. Die Gräueltaten des Krieges befand Karadzic als "legitimes Mittel" auf diesem Weg.

Angesichts eines Eingreifens des Auslandes Ende der 1990er drohte er großspurig mit "einem zweiten Vietnam" oder sogar dem "Dritten Weltkrieg". Nachdem Nato-Bomben 1999 das Kriegsende erzwungen hatten, verhalf ihm der serbische Geheimdienst zu einer neuen Identität. Als Dragan Dabic praktizierte der "Alternativmediziner" im Look eines indischen Gurus bis zu seiner Festnahme 2008 unerkannt in Belgrad.

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