Krieg in Gaza:UN-Schule unter Raketenbeschuss

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Angriff auf einen UN-Schule in Rafah im Süden des Gazastreifens. Es ist bereits der dritte Vorfall dieser Art innerhalb weniger Tage.

(Foto: REUTERS)

Zum dritten Mal kurz hintereinander wird im Gazastreifen eine von den Vereinten Nationen verwaltete Schule getroffen. Unter den Opfern sind viele Kinder und Jugendliche. UN-Generalsekretär Ban verurteilte den Beschuss als "kriminellen Akt".

Von Oliver Klasen

Wie jeder Krieg ist auch der Krieg im Gazastreifen ein Krieg um Zahlen. Beide Seiten - die israelische Armee und die radikalislamische Hamas auf palästinensischer Seite - verbreiten unterschiedliche Zahlen von Opfern, die in diesem Krieg bislang gestorben sind. Sie leugnen und dementieren die Darstellungen der jeweils anderen Seite - so als ließe sich das Leid quantifizieren und die Verantwortung für die Toten herunter- oder heraufrechnen.

Palästinensischen Rettungskräften zufolge sind vom Beginn des Krieges Anfang Juli bis Sonntag knapp 1800 Bewohner des Gazastreifens durch israelische Angriffe und bei Gefechten getötet worden, mehr als 9000 weitere seien verletzt worden. Nach palästinensischer Darstellung sind mindestens 80 Prozent der Opfer Zivilisten, darunter Hunderte Kinder.

Die israelische Regierung widerspricht diesen Angaben: Vize-Außenminister Tsachi Hanegbi von der konservativen Likud-Partei hat die von den Palästinensern verbreitete Zahl ziviler Opfer am Samstag in einem TV-Interview als stark übertrieben zurückgewiesen. "Die Nachforschungen der Armee sind sehr professionell und zuverlässig - mit Namen und Fotos - und kommen zu dem Schluss, dass mindestens 47 Prozent der Getöteten Terroristen sind", sagte Hanegbi.

Am Sonntagmorgen hat sich wieder ein Vorfall ereignet, der diese Darstellung in Zweifel ziehen könnte und für internationale Empörung gegen das Vorgehen der israelischen Regierung sorgen dürfte: Erneut ist eine Schule getroffen worden, die von den Vereinten Nationen betreiben wird.

Zum dritten Mal innerhalb weniger Tage wird eine UN-Schule getroffen

Augenzeugen und palästinensische Rettungskräfte berichten, dass in Rafah im Süden des Gazastreifens mindestens zehn Menschen getötet und 30 verletzt wurden, als eine aus der Luft abgefeuerte Rakete im Eingangsbereich der Schule einschlug. Es sind schreckliche, kaum auszuhaltende Bilder, die die Fotoagenturen dort zeigen: Zerfetzte Leiber, Blutspuren auf dem Asphalt und Väter, die ihre toten Kinder im Arm halten. Es sind Bilder aus dem Krieg.

Inzwischen hat die israelische Armee bestätigt, auf ein Ziel nahe einer UN-Schule im Gazastreifen geschossen zu haben. Im Visier seien drei "Terroristen" der radikalen Palästinensergruppe Islamischer Dschihad gewesen, die auf einem Motorrad nahe der Schule unterwegs gewesen seien, erklärte die Armee.

Etwa ein Viertel der Einwohner des Gazastreifens sind inzwischen auf der Flucht - entweder, weil ihre Häuser durch die Angriffe zerstört wurden oder weil es ihnen dort nicht sicher genug erscheint. Inzwischen sollen etwa 250 000 Menschen in Unterkünften Schutz suchen, die vom UN-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA) verwaltet werden.

In der jetzt beschossenen Schule hielten sich nach Angaben des UN-Sprechers Chris Gunness zum Zeitpunkt des Angriffs etwa 3000 Menschen auf. Gunness war kürzlich angesichts der Situation der Flüchtlinge Gaza während eines Fernsehinterviews in Tränen ausgebrochen.

Der Vorfall in Rafah ist nicht der erste dieser Art im aktuellen Gazakrieg. Bereits am 24. und 31. Juli waren in Beit Hanun und Dschabalia zwei UN-Schulen von Raketen der israelischen Armee getroffen worden. Dabei wurden insgesamt 30 Palästinenser getötet. Israels Regierung beschuldigte damals die Hamas, in oder nahe den Schulen Waffen und Abschussrampen für Raketen versteckt zu haben.

Der Wahrheitsgehalt solcher Äußerungen ist im aktuellen Fall schwer zu überprüfen. Es ist aber bekannt, dass die Hamas in der Vergangenheit des Öfteren Zivilisten als menschliche Schutzschild missbraucht hat.

"In Gaza ist es nirgendwo sicher"

Die israelische Armee beteuert immer wieder, alles zu unternehmen, um zivile Opfer bei den Angriffen auf Gaza zu vermeiden. Menschen, deren Häuser bombardiert werden sollen, warnt sie durch automatisierte Telefonanrufe. Doch in einem Gebiet, dass kaum größer als München ist und mindestens genauso dicht besiedelt, gibt es für Zivilisten kaum Möglichkeiten, den Angriffen zu entrinnen. "In Gaza ist es nirgendwo sicher", sagt Andrew Gardiner, ein langjähriger Mitarbeiter des Roten Kreuzes.

Den Angriff auf die UN-Schule in Rafah hat die israelische Armee noch nicht bestätigt. Der Vorfall werde geprüft - eine Aussage, die auch bei den vergangenen beiden Angriffen auf UN-Schulen ähnlich zu hören war.

Unabhängig davon, ob die Schule in Rafah tatsächlich von israelischen Raketen getroffen wurde, gerät die Regierung in Jerusalem immer stärker unter Druck. Un-Generalsekretär Ban Ki Moon verurteilte den Angriff als "kriminellen Akt". Der Beschuss der Schule sei in moralischer Hinsicht ein Skandal und stelle einen "erneuten flagranten Verstoß gegen das internationale humanitäre Recht" dar.

Ban wies keiner der beiden Seiten explizit die Verantwortung für den Beschuss der UN-Schule zu. Allerdings betonte er, die israelische Armee sei "viele Male" darüber informiert worden, wo sich die von den UN verwalteten Zufluchtsorte befänden.

Zuvor hatte der britische Außenminister Philip Hammond die Lage der Zivilbevölkerung in Gaza in einem Interview mit dem Telegraph als "untragbar" bezeichnet und ein Ende des "Tötens" gefordert. Er habe tausende E-Mails von Bürgern erhalten, die ihr Entsetzen über die Folgen der israelischen Angriffe auf Zivilisten ausgedrückt hätten.

"Zwei Millionen Menschen auf engstem Raum"

Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier äußerte sich mit Blick auf die besonderen Beziehungen der Bundesrepublik zu Israel zurückhaltender. Aber auch er lenkte in einem Gastbeitrag für die Welt am Sonntag den Blick auf die Lage der Zivilbevölkerung. "Da leben fast zwei Millionen Menschen auf engstem Raum, von der Außenwelt abgeschnitten, über die Hälfte von ihnen sind Kinder und Jugendliche." Der Status Quo in Gaza, das zeigten die immer wiederkehrenden militärischen Auseinandersetzungen der vergangenen Jahre, sei "nicht haltbar", so der SPD-Politiker.

Zuletzt hatte aber auch die US-Regierung ungewöhnlich deutliche Kritik am engen Verbündeten geübt und erklärt, es müsse mehr unternommen werden, um Opfer unter der Zivilbevölkerung zu vermeiden.

Inzwischen hat die israelische Armee eine Strategieänderung angekündigt - und es gibt erste Anzeichen dafür, dass die Militäroffensive zurückgefahren werden könnte: Ein Teil der Bodentruppen werde aus dem Gazastreifen abgezogen, "Schnelle Einsatzkommandos" würden aber vor Ort bleiben, um "bei Bedarf" gegen die Hamas vorzugehen, so ein Armeesprecher. Hauptziel sei weiterhin die Zerstörung der Tunnel, durch die Hamas-Aktivisten nach Israel gelangen könnten. "Die Armee wird so lange im Einsatz sein, bis sie ihre Arbeit getan hat", sagte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu am Samstagabend.

Und Hamas-Sprecher Fausi Barhum erklärte fast wortgleich: "Der bewaffnete Widerstand wird weitergehen, bis er seine Ziele erreicht hat".

(Mit Material der Nachrichtenagenturen)

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