Kosovo-Krieg:Recht oder Moral

Vor 20 Jahren zog Deutschland in den Krieg

Auch Deutschland beteiligte sich am Kriegseinsatz vor 20 Jahren: Ein Tornado der Bundeswehr startet von der italienischen Airbase San Damiano bei Piacenza zu einem Aufklärungsflug über Serbien.

(Foto: dpa)

20 Jahre nach Beginn der Nato-Angriffe auf Serbien streitet die Welt immer noch, wie sie auf schwerste Verbrechen einer Regierung gegen deren eigene Bürger reagieren soll. Doch einen Fortschritt gibt es immerhin.

Von Stefan Ulrich

Am 24. März vor 20 Jahren griff die Nato mit Kampfjets und Marschflugkörpern Serbien an. Damit begann ein Krieg, der zur Zäsur in der Weltpolitik wurde. Der Kosovo-Krieg veränderte den Balkan, forderte das Völkerrecht heraus, verschlechterte die Beziehungen zwischen dem Westen und der slawisch geprägten Sphäre und erhöhte die Spannungen zwischen der Nato und Russland sowie China. Die Militärintervention, die am 9. Juni endete, sollte ein Ausnahmefall sein, wurde aber zum Präzedenzfall. Ihre Folgen ernüchterten Idealisten, die nach der Öffnung des Eisernen Vorhangs an einen Siegeszug von Demokratie und Menschenrechten glaubten. Und bis heute ist umstritten, ob die Nato richtig gehandelt hat.

Die Beurteilung dieser "humanitären Intervention", als die sie die Nato ausgab, ist so schwierig, weil hier Recht, Politik und Moral aneinandergeraten. Das Urteil des Rechts ist eindeutig. Die Charta der Vereinten Nationen erlaubt Gewalt zwischen Staaten nur in zwei Fällen: zur Selbstverteidigung und nach einer Billigung durch den Sicherheitsrat. An beidem fehlte es in Kosovo, das seinerzeit zu Serbien gehörte. Dort tobte ein innerstaatlicher Konflikt zwischen serbischen Kräften und ethnischen Albanern. Kein Nato-Staat wurde dadurch angegriffen. Und im UN-Sicherheitsrat weigerten sich die Vetomächte Russland und China, einer Intervention ihr Plazet zu geben.

Die Nato argumentierte daher: Wenn in einem Land die Menschenrechte aufs Schlimmste verletzt werden - wie in Kosovo durch die Drangsalierung der albanischen Bevölkerungsmehrheit - und der UN-Sicherheitsrat durch Vetos gelähmt ist, dann dürfen andere Staaten militärisch intervenieren, um den bedrängten Menschen beizustehen. Das Problem ist nur: Eine solche humanitäre Intervention mag wünschenswert sein. Das geltende Völkerrecht gibt sie aber nicht her. Das strenge, unter dem Eindruck der Weltkriege erlassene Gewaltverbot der UN-Charta geht vor. Die Nato-Staaten haben im Kosovo-Krieg daher das Völkerrecht gebrochen. Sie gaben so den USA beim Irakkrieg und den Russen bei deren Angriffen auf die Ukraine ein schlechtes Vorbild.

Das Ziel, ein friedliches, multiethnisches Kosovo zu erzwingen, wurde verfehlt

Politisch fällt das Urteilen schwerer. Einerseits hat der Krieg das Klima zwischen Ost und West verschlechtert, auch im UN-Sicherheitsrat. Und das Ziel, ein friedliches, multiethnisches Kosovo zu erzwingen, wurde verfehlt. Waren vor dem Krieg unzählige Albaner Opfer serbischer Aggression und Vertreibung, wurden nach dem Krieg unzählige Serben drangsaliert und verjagt. Und der inzwischen unabhängige Staat Kosovo ist mit seiner drückenden Armut und Korruption auch kein leuchtendes Beispiel fürs Nation Building.

Andererseits wurde die Kriegswelle in Südosteuropa, die von Slowenien und Kroatien über Bosnien nach Kosovo geschwappt war, durch den Nato-Einsatz gestoppt. Das befürchtete Ausgreifen auf Mazedonien und weiter auf Länder wie Griechenland oder gar die Türkei wurde verhindert. Zugleich machte der Westen klar, dass er nationalistische Exzesse in Europa nicht endlos dulden wird.

Und die Moral? Krieg ist immer von Übel, selbst wenn er aus lauteren Motiven geführt wird. Doch was wäre in Kosovo die Alternative gewesen? Der von Hetzern aller Seiten aufgepeitschte Nationalismus hatte auf dem Balkan schon vor dem Kosovo-Einsatz zu Verheerungen geführt, die man in Europa nicht mehr für möglich gehalten hätte. Die "ethnischen Säuberungen" der Krajina, das Massaker von Srebrenica, die Belagerung Sarajevos oder die mehr als 100 000 Toten und zwei Millionen Vertriebenen des Bosnien-Krieges drückten auf das Gewissen des weitgehend tatenlos zusehenden Westens. Dies sollte sich in Kosovo nicht wiederholen.

Dort war der serbische Großnationalist Slobodan Milošević zum Zeitpunkt des Nato-Angriffs dabei, den Guerilla-Kampf der nach Unabhängigkeit strebenden Albaner mit brutalster Gewalt abzuschmettern. Alle Kosovo-Albaner gerieten in höchste Gefahr, Opfer von Tod oder systematischer Vertreibung zu werden. Der Soziologe Ulrich Beck brachte das Dilemma des Westens auf den Punkt: Wegschauen macht ebenso schuldig wie Eingreifen. Die Nato entschied sich fürs Eingreifen. Es war das geringere von zwei Übeln - aber es blieb ein Völkerrechtsbruch.

Eine positive Folge haben all die Debatten um den Kosovo-Krieg: Sie trugen dazu bei, Menschenrechten im Völkerrecht mehr Gewicht zu verleihen. Politiker und Generäle können sich nicht mehr hinter staatlicher Souveränität und Immunität verstecken, wenn sie ihre Bürger massakrieren. Der UN-Sicherheitsrat unterliegt heute der völkerrechtlichen Pflicht, geschundene Menschen vor ihren eigenen tyrannischen Regierungen zu schützen.

Nur: Was soll gelten, wenn der Sicherheitsrat, wie zum Beispiel im Syrien-Krieg, blockiert ist, weil einzelne Staaten ihr Vetorecht missbrauchen? Darauf hat die Weltgemeinschaft auch 20 Jahre nach dem Kosovo-Krieg noch keine überzeugende Antwort gefunden.

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