Kommentar:Was macht Schröder?

Im kleinen Kreise hat der Kanzler seit Wochen immer wieder gesagt, "unter dieser Frau" wolle er nicht dienen. Geht er nun endgültig, ist er Geschichte. Andererseits bestürmt ihn die eigene Partei, dass sie ihn jetzt noch braucht. Ohne Schröder hätte es die SPD nicht leicht in der großen Koalition.

Kurt Kister

In Gerhard Schröders bestem Umgangs-Niedersächsisch könnte man die Gründe für Angela Merkels Kanzlerschaft so zusammenfassen: "Und was war da? Keine Alternative war da." Die erste Möglichkeit, mit Hilfe einer formellen oder informellen Koalition von Rot-Rot-Grün zu regieren, hatten die Sozialdemokraten von vornherein und zu Recht ausgeschlossen.

Gerhard Schröder

Wenn sich Schröder jetzt ins Privatleben zurückzieht, ist er Geschichte.

(Foto: Foto: Reuters)

Die zweite Möglichkeit, Angela Merkel vielleicht noch zu verhindern, hatte Schröder selbst am Wahlabend verspielt, indem er mit seinem Krawall-Auftritt auch die Skeptiker in der Union hinter Merkel versammelte. Die dritte Möglichkeit hätte einer Drohung mit dem Selbstmord entsprochen: Eine Minderheitsregierung unter einem im dritten Wahlgang irgendwie wieder gewählten Schröder wäre nichts anderes gewesen als der Auftakt zu Neuwahlen, weil eine solche Regierung keine Mehrheiten für den Haushalt und andere Dinge zusammenbekommen hätte. Neuwahlen aber will das Volk nicht, und alle Parteien müssen sie fürchten.

Weil das so ist, ist nun die eine Hälfte der Kanzlerfrage geklärt: Merkel wird Bundeskanzlerin. Die andere Hälfte aber ist immer noch nicht beantwortet: Wie sieht die Zukunft des amtierenden Kanzlers Schröder aus, und wer wird Vizekanzler im Kabinett? Gewiss, die Signale von Seiten Schröders sind eigentlich eindeutig.

Aus der Politik ins Privatleben

Beim Spitzengespräch am Sonntag soll er, das wurde durchgestochen, auf Merkels Frage, ob er im Kabinett verbleiben wolle, mit dem Satz reagiert haben: "Dies passt nicht in meine Lebensplanung." Im kleinen Kreise hat er seit Wochen immer wieder gesagt, "unter dieser Frau" wolle er jedenfalls nicht dienen. Eigentlich also war seine Entscheidung, sich aus der Politik ins Privatleben zurückzuziehen, längst gefallen.

Das ist die eine Seite. Die andere Seite jedoch wurde auch und gerade bei der Sitzung des SPD-Parteipräsidiums am Montag deutlich. Schröder wurde von einigen Spitzengenossen, Linken und Rechten, geradezu bestürmt, dass die Partei in dieser Situation auf ihn nicht verzichten könne, ihn brauche.

Etliche seiner politisch Nächststehenden sind ähnlicher Meinung und appellieren seit Tagen an sein Pflichtgefühl. Diese plötzliche Liebe für den lange in seiner Partei so umstrittenen Machtegoisten, den Mann, der die SPD häufig als ein Vehikel für seine persönlichen Ambitionen benutzt hat, kommt nicht von ungefähr.

Dieser Montag war nämlich auch der Tag, an dem viele Sozialdemokraten erkennen mussten, dass die Union eben doch letztlich die Wahl gewonnen hat. Deswegen haben Schröder und Müntefering Frau Merkel das Recht aufs Kanzleramt zugebilligt. Natürlich, in einer großen Koalition muss auch die Kanzlerpartei Federn lassen, was sich zunächst darin ausdrückt, dass die SPD acht Ministerämter besetzen wird. Trotzdem sind seit gestern alle jene Sozialdemokraten, die sich nach dem 18.September zumindest als moralische Wahlsieger gefühlt haben, mit der Tatsache konfrontiert, dass Merkel, gegen die sie so vehement gekämpft und gestritten haben, sie und uns alle nun doch regieren soll.

SPD ohne jüngere Talente

In einer solchen Regierung ohne Schröder sähe es trotz der vielen Kabinettsposten grau aus für die SPD. Franz Müntefering müsste dann wohl, entgegen seiner Neigung, den Vizekanzler und Arbeitsminister machen; Günter Verheugen könnte von Brüssel aus ins Außenministerium wechseln und Peer Steinbrück die desaströsen Finanzen verwalten.

An die Spitze der Fraktion hätte der Pflichtmensch Peter Struck zu rücken oder einer jener, die dort heute zu Recht in der zweiten Reihe sitzen. Die SPD hat keine jüngeren Talente, und die Älteren sind in zwei Legislaturperioden nahezu verbraucht worden. Gäbe es denn einen Mann, eine Frau für die Zukunft, für die nächste Wahl, stünde ihm oder ihr jetzt das Außenamt offen, wo man sich schon sehr dumm anstellen muss, um nicht populär zu werden. Es gibt ihn oder sie aber nicht.

Diese Aussicht, gepaart mit der Abneigung vieler SPD-Abgeordneter und Parteitagsdelegierter gegen Merkel, lässt die Kanzlerwahl und die Verabschiedung des Koalitionsvertrages als durchaus schwierig erscheinen. Die Unzufriedenheit in der Präsidiumssitzung am Montag hat einen kleinen Vorgeschmack darauf gegeben.

Die Partei zurückgewonnen

Und hier kommt Schröder ins Spiel: Er ist der Einzige, der zurzeit die Kraft, die Popularität und - wegen seines fulminanten Wahlkampfs - die Zuneigung der Partei hat, um ihr den Biss in den sauren Apfel wenn nicht nahe zu bringen, so doch zu erleichtern. Versucht er dies allerdings aus dem politischen Vorruhestand, wird seine Überzeugungskraft erheblich geringer sein.

CDU und CSU werden sich den Beschlüssen ihrer Chefs nicht nur beugen, sondern sie werden sie klaglos mittragen. In der SPD aber war die Bereitschaft, den Chefs zu folgen, nie so ausgeprägt. Schröder hat dies oft am eigenen Leib erfahren und sein Neuwahl-Entschluss vom 22.Mai hatte auch damit zu tun, dass ihn Teile seiner Partei innerlich verlassen hatten.

Erstaunlicherweise hat er sie seit dem 18. September wieder zurückgewonnen. Geht er nun endgültig, ist er Geschichte. Ob dann aber die SPD in der großen Koalition, gar für die nächste Wahl eine gute Zukunft hat, ist ungewiss.

(SZ vom 11.10.2005)

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