Koalitionskrise:Auf der Flucht vor Edathy

Ton in der Koalition wird rauer

Der Ton in der Koalition wird rauer: Die Spitzen von SPD, CDU und CSU während einer Pressekonferenz (Archivbild)

(Foto: dpa)

Sebastian Edathy hat sich - nach allem, was bekannt ist - womöglich nicht strafbar gemacht. Dennoch mag man sich einen Menschen mit pädophilen Neigungen nicht in öffentlichen Ämtern vorstellen. Es fällt auf, dass keine Partei auf die Unschuldsvermutung hinweist - gerade so, als machten sie sich damit schon selbst verdächtig.

Ein Kommentar von Heribert Prantl

Sebastian Edathy , das gehört zur Tragik seines Falles, ist ein Politiker, der etwas geleistet hat. Er hat den parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Aufklärung der Fehler der Staatsorgane bei der (Nicht-)Verfolgung der Terror-Organisation NSU mit Souveränität und Akribie geleitet; er hat die Ermittlungsbehörden dabei nicht geschont.

Deswegen haben sich nun Verschwörungstheorien entwickelt, die das Ermittlungsverfahren gegen Edathy als eine Art Rache betrachten: das System schlägt zurück. Das ist Unsinn. Edathy hat sich mit seinen privaten Geschäftskontakten zu einem höchst dubiosen Filmversand und zur pädophilen Szene in Gefahr begeben; darin ist er als Politiker umgekommen.

Die Details dieses Umkommens sind sonderbar, für den politischen und medialen Betrieb aber nicht ungewöhnlich: Jeder ist sich selbst der Nächste, jeder macht aus dem Fall das für sich Beste, Presse wie Politik: Die Lokalzeitung macht unerlaubte Fotos von der Durchsuchung bei Edathy. Und die SPD macht sich einen schlanken Fuß. Sie geht auf maximale Distanz zu ihrem Ex-Abgeordneten, tut so, als habe sie ihn eigentlich gar nicht gekannt.

Fall Edathy sät Misstrauen in der Koalition

Die CSU empört sich verständlicherweise darüber, dass ihr Minister Friedrich zurücktreten musste, weil er etwas menschlich und politisch Verständliches, aber juristisch Fragwürdiges tat, als er die SPD-Spitze davon informierte, dass da gegen Edathy etwas läuft. Diese SPD-Spitze hat dann, als die Durchsuchungen bei Edathy publik wurden, die Flucht nach vorn und vor Edathy ergriffen - dabei Friedrich mitgerissen und zu Fall gebracht. Daraus hat sich ein Fall entwickelt, der die noch junge schwarz-rote Koalition erschüttert. Argwohn und Misstrauen wabern jetzt zwischen CDU/CSU und SPD.

Zum Kern der Sache: Edathy hat kein Haus angezündet. Er hat auch nicht im Suff einen Menschen totgefahren. Edathy hat kein Verbrechen begangen. Nach allem, was bekannt ist, ist das, was er getan hat, womöglich gar nicht strafbar. Aber das entlastet ihn nicht. Was hat er getan? Er hat sich Filme schicken lassen, auf denen Minderjährige nackt zu sehen sind. Die Darstellungen liegen unter der Strafbarkeitsschwelle, sagt das Bundeskriminalamt; dann kann Edathy kein Beschuldigter sein.

Politiker und die Kontaktschuld im Fall Edathy

Die Staatsanwaltschaft Hannover dagegen sagt, die Darstellungen lägen im Grenzbereich zur Strafbarkeit; deshalb führt sie Edathy als Beschuldigten. So oder so: pädophile Neigungen des Politikers sind offenkundig geworden. Man mag sich einen Menschen nicht in öffentlichen Ämtern vorstellen, der seine sexuellen Phantasien mit Bildern von nackten Kindern stimuliert. Aber das ist kein strafjuristisches Problem, sondern ein politisches und persönliches.

Edathy hat über längere Zeit Filme bei einer kanadischen Versandfirma bestellt, gegen die wegen Handels mit Kinderpornografie ermittelt wurde und wird. Schon daraus ergibt sich für Edathy so etwas wie eine Kontaktschuld; das ist keine strafrechtliche, sondern eine moralische Kategorie. Edathy hat sich in ein höchst fragwürdiges Milieu begeben. Wohl deswegen hat er sein Bundestagsmandat zurückgegeben; er wusste, dass peinlichste Fragen auf ihn zukommen können.

Es gibt aber jetzt offenbar auch so etwas wie politische Kontaktschuld: Welche Politiker von welchen Parteien hatten wann welchen Umgang mit Edathy und seinem Fall? Wer hat sich dabei wie angesteckt? Und wer versucht, sich auf Kosten des anderen Koalitionspartners zu salvieren? An wem (außer an Edathy selbst) bleibt die öffentliche Empörung über einen Politiker, der Kontakt zu Kinderpornografen hatte, hängen?

Hinweis auf Unschuldsvermutung fehlt

Es fällt auf, dass keine Partei es wagt, auf die Unschuldsvermutung hinzuweisen - gerade so, als sei dies anrüchig, als mache man sich schon damit auch selbst verdächtig. Die Koalitionsparteien sind damit beschäftigt, den Fall möglichst weit von sich wegzurücken. Und die Opposition ist damit beschäftigt, den Regierungsparteien deswegen am Zeug zu flicken. Die Grünen, die gern eine Rechtsstaatspartei wären, gefallen sich in populistischen Äußerungen. Und die FDP, die sich stets als Rechtsstaatspartei bezeichnet hat, fragt nach allem Möglichen, aber nicht nach der Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens.

Es entwickelt sich, das ist hier ähnlich wie im Fall Wulff, eine neue damnatio memoriae: Im alten Rom war das die Verfluchung des Andenkens an eine Person nach deren Tod; Bilder und Inschriften, die den Verdammten zeigten oder nannten, wurden zerstört. Heute ist die damnatio bei prominenten Beschuldigten eine neue Sanktions-Art: Öffentliche Anprangerung und Verdammnis lange bevor geklärt ist, ob und wie sie sich schuldig gemacht haben. Ein Fortschritt ist das nicht.

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