Heirat von Minderjährigen:Warum das Gesetz gegen Kinderehen auf der Kippe steht

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Dies ist nicht die Zwangsheirat einer minderjährigen Frau - sondern eine Protestaktion von Terre des femmes dagegen, 2015 in Berlin. (Foto: Christian Ditsch/imago)
  • Seit dem 22. Juli 2017 sind im Ausland legal geschlossene Ehen automatisch und ohne Ausnahme unwirksam, wenn ein Partner unter 16 ist.
  • Fachleute hatten damals von dem Gesetz abgeraten. Sie wollten den Gerichten die Prüfung des Einzelfalls erhalten.
  • Bald entscheidet der Bundesgerichtshof in der Sache. Wenn der BGH Zweifel an der Grundgesetztauglichkeit des Gesetzes hat, muss sich das Bundesverfassungsgericht damit beschäftigen.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Es war eine jener Fragen, die sich wie von selbst auf die Tagesordnung setzten. Mit der großen Zahl von Flüchtlingen, die im Herbst 2015 nach Deutschland gekommen waren, hatte auch die sogenannte Kinderehe Einzug in Deutschland gehalten. 1475 Minderjährige mit dem Familienstand "Verheiratet" lebten Mitte 2016 in Deutschland. Anlass genug, dagegen mit gesetzgeberischen Mitteln vorzugehen, meinte das Bundesjustizministerium - schon deshalb, weil dahinter oft erzwungene Heiraten stehen. Was dann folgte, war freilich ein Beispiel dafür, dass die gute Absicht allein nicht ausreicht, um ein gutes Gesetz zu machen.

Alle Fachleute hatten durchweg davon abgeraten, solche im Ausland rechtsgültig geschlossenen Kinderehen in Deutschland automatisch für unwirksam zu erklären; vom Deutschen Familiengerichtstag über den Notarverein bis zum Deutschen Anwaltverein. Nicht, weil sie Kinderehen besonders toll fänden. Sondern weil sie den Gerichten die Prüfung des Einzelfalls erhalten wollten, so, wie dies bis dahin der Fall war. Die große Koalition jedoch machte genau das, wovon die Experten abrieten. Seit dem 22. Juli 2017 sind im Ausland legal geschlossene Ehen automatisch und ohne Ausnahme unwirksam, wenn ein Partner unter 16 ist; bei 16 bis 18-Jährigen kann die Ehe aufgehoben werden.

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Gut möglich, dass sich diese harte Linie rächt. In Kürze wird der Bundesgerichtshof eine Entscheidung zum Thema Kinderehe bekannt geben. Wichtigster Prüfungspunkt: Ist das rigide Gesetz überhaupt mit dem Grundgesetz vereinbar? Sollte der BGH daran Zweifel haben, dann müsste er den Fall dem Bundesverfassungsgericht vorlegen - und dort könnte das Anti-Kinderehen-Gesetz gekippt werden.

Wie gemacht für eine grundsätzliche Überprüfung

Der anhängige Fall wäre jedenfalls wie gemacht für eine grundsätzliche Überprüfung des umstrittenen Regelwerks. Es geht um ein junges Paar aus Syrien, das Ende August 2015 nach Deutschland gekommen war, nach einer Flucht über die Türkei per Boot nach Griechenland und dann weiter über die Balkanroute. Bei den deutschen Behörden stellte sich heraus, dass die beiden nach syrischem Recht rechtswirksam verheiratet waren - obwohl das Mädchen bei der Hochzeit erst 14 Jahre alt war.

Das Oberlandesgericht (OLG) Bamberg sah keinen Grund, der Ehe den juristischen Segen des deutschen Rechts zu verweigern, auch deshalb, weil es keinerlei Anhaltspunkte für eine Zwangsheirat gab. Das OLG hatte den Fall aber noch nach der früheren Rechtslage zu beurteilen, die selbst bei einer 14-jährigen Braut Spielraum ließ, eine solche Ehe zu akzeptieren; die Anerkennung darf nur bei einem grundlegenden Verstoß gegen wichtige Rechtsgrundsätze verweigert werden. Auf deutschem Boden freilich hätte sie nicht geschlossen werden dürfte. Der BGH dagegen muss nun mit den neuen Paragrafen arbeiten. Ihm bliebe daher nur ein striktes Nein, selbst wenn er der Meinung wäre, dem Mädchen damit Steine statt Brot zu geben.

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Dass das Grundgesetz hier überhaupt ins Spiel kommt, liegt daran, dass Artikel 6 - Schutz der Ehe - ein großes Herz hat. Er umfasst nämlich auch solche Heiraten, die nur im Ausland, nicht aber in Deutschland wirksam geschlossen wurden. "Hinkende" Ehen, so hat sie das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung von 1982 genannt. Sollte der BGH also das Verfassungsgericht anrufen, dürften dort noch einmal all jene Argumente der Kritiker auf den Tisch kommen, die der Gesetzgeber vergangenes Jahr verworfen hatte. Ihr zentrales Argument war damals: Wenn man eine im Ausland geschlossene Ehe für nichtig erklärt, dann verlieren die Betroffenen sämtliche Ansprüche beispielsweise auf Unterhalt und Vermögensausgleich. Auch wenn bereits Kinder da sind, kann es zu Verwerfungen kommen.

Die Paragrafen zum Schutz der Mädchen sind nicht zahnlos

Im Einzelfall kann es daher wichtig sein, dass dieser Schutz des Familienrechts auch minderjährigen Ehepartnern erhalten bleibt, trotz aller grundsätzlichen Bedenken. Ein Automatismus verhindert aber, im Einzelfall Für und Wider gegeneinander abzuwägen. Dabei habe das früher gut funktioniert, meint Jörn Hauß, der für den Familienrechtsausschutz des Anwaltvereins die Stellungnahme zum Kinderehen-Gesetz verfasst hatte. "Im Grunde haben wir mit den Kinderehen gar kein Problem gehabt." Dort ist übrigens auch nachzulesen, dass minderjährige Mädchen eben nicht auf Gedeih und Verderb ihren Ehemännern oder Eltern ausgeliefert sind. Das Sorgerecht könnte entzogen, ein Vormund bestellt und der Jugendschutz aktiviert werden - die Paragrafen sind hier nicht zahnlos.

© SZ vom 04.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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