Regionalpräsident Torra:"Die unabhängige Republik bleibt unser Ziel"

Regionalpräsident Torra: Kataloniens Premierminister Quim Torra will seine Weggefährten nicht länger im Gefängnis sehen.

Kataloniens Premierminister Quim Torra will seine Weggefährten nicht länger im Gefängnis sehen.

(Foto: AFP)

Der katalanische Premierminister Quim Torra verteidigt das verfassungswidrige Referendum von 2017. Und fordert die Freilassung inhaftierter Politiker, deren Prozess jetzt beginnt.

Interview von Thomas Urban, Madrid

Am heutigen Dienstag beginnt vor dem Obersten Gericht in Madrid der Prozess gegen zwölf katalanische Separatisten, die die Abspaltung ihrer Region vom Königreich Spanien vorangetrieben haben. Zu ihrer Unterstützung ist der seit Mai 2018 amtierende katalanische Regionalpremier Quim Torra nach Madrid gekommen. Der 56-jährige Jurist gilt als Vertrauter des Separatistenführers Carles Puigdemont, der ins Exil nach Waterloo bei Brüssel geflohen ist.

SZ: Die Staatsanwaltschaft fordert Gefängnisstrafen von bis zu 25 Jahren wegen Rebellion und Veruntreuung öffentlicher Mittel für zwölf katalanische Politiker und Aktivisten. Ihnen wird vorgeworfen, am 1. Oktober 2017 ein Referendum über die Unabhängigkeit Kataloniens durchgeführt zu haben, obwohl das spanische Verfassungsgericht dies verboten hatte. Wie beurteilen Sie das Verfahren?

Quim Torra: Hier möchte ich nur auf die Stellungnahmen von Amnesty International, anderer Menschenrechtsorganisationen und prominenter Juristen sowohl aus Spanien als auch aus anderen Ländern verweisen. Sie kritisieren übereinstimmend die Behandlung der politischen Gefangenen durch die spanische Justiz.

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Die Bezeichnung "politische Gefangene" wird aber sowohl von Politikern als auch Juristen in Madrid zurückgewiesen. Vielmehr handle es sich um "gefangene Politiker", die inhaftiert seien, weil sie gegen das geltende Recht verstoßen haben.

Nun, sie kamen wegen ihrer Politik in Untersuchungshaft. Dabei ist offenkundig, dass der ihnen vorgeworfene Tatbestand der Rebellion nicht zutrifft. Denn dieser ist durch die Anwendung von Gewalt oder zumindest Aufrufe zur Gewalt definiert. Doch alle Bilder von jenem 1. Oktober zeigen eindeutig: Gewaltsame Aktionen gab es allein durch die spanische Polizei, aber weder durch die katalanischen Wähler noch die Politiker, die das Referendum aufgrund eines Beschlusses des Parlaments in Barcelona durchführen ließen.

Das ändert nichts an der Tatsache, dass die Inhaftierten Gesetze gebrochen haben.

Wir haben uns nicht vorstellen können, dass Aktivisten eines demokratischen Prozesses fast anderthalb Jahre in Untersuchungshaft sitzen, weil sie angeblich eine Gefahr für den Staat darstellen. Jordi Sànchez und Jordi Cuixart sind Vorsitzende von großen Bürgervereinigungen, die für das Recht auf Selbstbestimmung eintreten. Es gehört zu den Grundrechten, dass man für eine bestimmte Politik werben darf, es geht hier um Meinungsfreiheit. Der früheren Parlamentspräsidentin Carme Forcadell wird zur Last gelegt, sie habe eine Debatte über das Referendum auf die Tagesordnung gesetzt. Dabei hatte die Mehrheit der Abgeordneten zuvor diese Debatte verlangt. Parlamentsdebatten sind ein Grundelement der Demokratie - und hier wird es zur Straftat.

Aber die inhaftierten Katalanen haben gegen die spanische Verfassung verstoßen, die die Abspaltung einer Region nicht erlaubt, somit auch kein Referendum darüber.

Das sehen wir anders: Wir bestehen auf unserem Grundrecht auf Selbstbestimmung. Wir können uns dabei auch auf die UN berufen.

Die UN-Charta erlaubt die einseitige Abspaltung einer Region nur unter bestimmten Voraussetzungen, nämlich im Falle von Repression einer kulturell oder religiös definierten Gruppe. Davon kann im heutigen Katalonien keine Rede sein.

Tatsache bleibt, dass hier Politikern der Prozess gemacht werden soll, die auf friedliche Weise für ein Grundrecht eintreten. Sogar das Oberlandesgericht von Schleswig-Holstein hat ja im Falle meines Vorgängers Carles Puigdemont, dessen Auslieferung die Spanier von den deutschen Behörden gefordert hatten, klar festgestellt, dass der Tatbestand der Rebellion nicht gegeben sei. Die spanische Justiz verliert ihre Glaubwürdigkeit mit dieser konstruierten Anklage.

Vor dem umstrittenen Referendum hatten katalanische Politiker erklärt, dass sie mit einer breiten Unterstützung aus anderen europäischen Ländern rechnen. Das war eine krasse Fehleinschätzung. Warum unterstützt keine nennenswerte politische Kraft in Europa die Verfechter der katalanischen Unabhängigkeit?

Leider ist es so. Wir haben verstanden, dass es einen Club der Staaten gibt, die ihre Linie über ihre Diplomatie durchsetzen. Doch haben wir wegen der Verletzung demokratischer Grundrechte durch Madrid durchaus international an Sympathie gewonnen.

Katalonien bietet heute das Bild einer gespaltenen Gesellschaft. Etwa die Hälfte der Bevölkerung ist für, die andere Hälfte gegen die Unabhängigkeit.

Das sehe ich nicht so. Es gab immer einen Konsens, Katalonien aufzubauen, Sprache und Kultur zu pflegen. Die überwältigende Mehrheit ist dagegen, demokratisch legitimierte Politiker zu kriminalisieren, so wie sie auch republikanisch eingestellt ist. 80 Prozent fordern ein Referendum über die Unabhängigkeit.

Man muss präzisieren: 80 Prozent würden ein Referendum akzeptieren, wenn dies mit Madrid abgestimmt wäre. Das ist etwas anderes als ein im Alleingang durchgeführtes Referendum, das Madrid verboten hat.

Wir haben als Befürworter der Unabhängigkeit die Mehrheit im Parlament in Barcelona, und diese Mehrheit hat am 27. Oktober 2017 der von Carles Puigdemont verlesenen Unabhängigkeitserklärung zugestimmt.

Dafür gab es keine Mehrheit der Wähler. Die drei separatistischen Gruppierungen im Parlament haben bei den Regionalwahlen nur 47 Prozent der Stimmen bekommen. Der Kurs von Puigdemont, den Sie nun fortsetzen, ignoriert also die Mehrheit von 53 Prozent der Wähler.

Aber wir haben die Mehrheit der Mandate im katalanischen Parlament. Außerdem haben beim Referendum 2,3 Millionen Wähler für die Unabhängigkeit gestimmt.

Da lag die Wahlbeteiligung nur bei 42 Prozent. Ist es nicht logisch, dass mehr als die Hälfte der Wähler sich nicht beteiligt hat, weil das Verfassungsgericht das Referendum verboten hatte?

Das Referendum vom 1. Oktober war das Ergebnis eines demokratischen Prozesses. Insgesamt achtzehnmal haben wir in Madrid um die Genehmigung dafür nachgesucht. Wir wollen nur dasselbe, was den Schotten sowie den Einwohnern Québecs und des Kosovos zugestanden wurde: über unsere Zukunft selbst entscheiden.

Doch in den genannten Ländern gab es einen Konsens, dass das Ergebnis von allen Seiten anerkannt wird.

Wir streben ja an, in diesem Punkt mit Madrid zu einem Konsens zu kommen.

Für den spanischen Premier Pedro Sánchez ist die Verfassung eine rote Linie, die er nicht überschreiten darf. Es ist also nicht zu erwarten, dass er ein Referendum billigt. Der frühere katalanische Regionalpräsident Artur Mas und der frühere Vizepremier Oriol Junqueras, der ab heute vor Gericht steht, haben unabhängig voneinander erklärt, die jüngsten Wahlen in Katalonien hätten gezeigt, dass die Zeit für die Unabhängigkeit nicht reif sei. Wie sieht Ihr Plan B aus angesichts der Tatsache, dass es kein Plazet für ein Referendum geben wird?

Unser Plan B ist Plan A. Spanien könnte seine Verfassung ändern. Die unabhängige Republik bleibt unser Ziel. Und die Freilassung der Gefangenen, denn sie sind unschuldig. Außerdem die Übernahme der Regierung in Barcelona durch Carles Puigdemont, als dessen Statthalter ich mich verstehe, solange dieser im Exil leben muss.

Fürchten Sie nicht, dass auch Sie eines Tages ins Gefängnis kommen, wenn Sie an dem Kurs festhalten, der nach Madrider Lesart verfassungsfeindlich ist?

Ich habe einen Wählerauftrag zu erfüllen.

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