Joachim Gauck ist neues Staatsoberhaupt: Der schöne Sonntag des Bürgerpräsidenten

Mehr als 100 Wahlleute aus dem Gauck-Lager haben sich enthalten. Das sind unerwartet viele, aber für Joachim Gauck ist das kein großes Problem. Denn er kann jetzt endlich Bundespräsident sein.

Thorsten Denkler, Berlin

Eine Rede zu beginnen, kann manchmal ganz leicht sein. Ein paar wenige Worte reichen. Worte wie: "Was für ein schöner Sonntag." Es sind die ersten Worte, die Joachim Gauck als eflter Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland spricht. Bundestagspräsident Norbert Lammert hat gerade das Ergebnis vor den mehr als 1200 Mitgliedern der Bundesversammlung verkündet.

Und Gauck hat Recht: Es ist ein schöner Sonntag. Die Sonne scheint über Berlin, als hätte es nie einen grauen Winter gegeben. Allein die Spannung hat etwas gefehlt. Denn dass Gauck gewählt werden würde, war klar. Die Frage war nur noch, mit welchem Ergebnis. Jetzt steht fest: Mehr als 100 Wahlleute aus dem Gauck-Lager haben ihm die Zustimmung verweigert, sie haben sich enthalten.

Da kann nur spekuliert werden, was die Gründe für diese dann doch überraschend große Zahl gewesen sein mögen. Da mag es linke Politiker von SPD und Grünen gegeben haben, die Gauck nicht einfach durchwinken mochten, weil der die soziale Frage in erster Linie als Frage der Verantwortung des Einzelnen sieht. Manche wurmten wohl auch seine (meist verkürzt wiedergegebenen) Äußerungen zu Thilo Sarrazin, dem er "Mut" bescheinigt hatte.

Es mag aber auch unter den Wahlleuten, die CDU und CSU nominiert haben, den einen oder anderen gegeben haben, der der Kanzlerin mit der Enthaltung mal eins auswischen wollte. Dass es in der FDP Enthaltungen gegeben haben könnte, ist eher unwahrscheinlich. Die sind immer noch stolz wie Bolle, dass ihr Partei-Chef Philipp Rösler die Kandidatur Gaucks gegen den erbitterten Widerstand Merkels hat durchsetzen können.

Gauck kann das alles egal sein. Er ist am Ziel. Seine zweite Kandidatur führt zum Erfolg. Wenn ihn die hohe Zahl der Enthaltungen überrascht haben sollte - er hat es sich nicht anmerken lassen.

Seine kurze Ansprache vor der Bundesversammlung ist erneut Beleg für das, was längst jeder über ihn weiß, der ihn einmal hat sprechen hören: Gauck kann reden.

Für die Wahl hat er lediglich Dankesworte angekündigt, doch heraus kommt eine würdige kleine Ansprache: Gauck erinnert an die erste freie Wahl der Volkskammer der DDR. Die Wirrungen der Geschichte wollen es, dass sie am 18. März 1990 stattfand. Und heute, am 18.März 2012, wird ein Mann zum Bundespräsidenten gewählt, dem damals zum ersten Mal in seinem Leben "das Glück der Mitwirkung" widerfuhr.

2010 wollten ihn fast alle - außer Merkel

"Nie werde ich diese Wahl vergessen", sagt Gauck "niemals!" Seit dieser Wahl, bei der damals eine Wahlbeteiligung von mehr als 90 Prozent gemessen wurde, seit dem also "war diesen Wissen in mir: Ich werde niemals, niemals eine Wahl versäumen". Sofort donnert der Applaus los im großen Rund des Plenarsaals im Reichstag.

Damals, bei seiner ersten Kandidatur 2010, schossen die Erwartungen an ihn in ungeahnte Höhen. Die Bild-Zeitung erklärte Gauck zu ihrem Präsidenten, der Spiegel sprach vom "besseren Präsidenten". Das Volk war für ihn. Die Oppositionsparteien auch, außer der Linken. Aber Kanzlerin Angela Merkel nicht - die wollte Christian Wulff.

Natürlich, diesmal fehlte der Gegenpol. Es gab kein Rennen um die Präsidentschaft wie 2010, als die Bundespräsidentenkür nach drei spannenden Wahlgängen mit einem glücklos agierenden Wulff als Staatsoberhaupt endete. Linken-Kandidatin Beate Klarsfeld spielte nur auf dem Papier eine Rolle. Nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass auch die rechtsextreme NPD einen eigenen Kandidaten nominiert hatte.

Die Erwartungen aber sind geblieben. Zuletzt hat Richard von Weizsäcker es geschafft, dass auch die Opposition ihn trägt. Und jetzt schafft es Joachim Gauck.

Gauck weiß darum, was für eine Bürde diese Erwartungen sein können. Er werde sie "sicher nicht alle erfüllen können", sagt er. Wie auch. Aber er verspricht, er werde "mit allen Kräften und mit meinem Herzen ja sagen zu der Verantwortung, die Sie mir heute übertragen haben."

Gauck will sich auf neue Themen einlassen

Er verspricht auch, und das ist neu, er werde sich auch auf neue Themen und Personen einlassen. Es ist eine Botschaft an jene, die glauben, Gauck stehe nur für das Thema "Freiheit und Verantwortung" und für sonst nichts.

Sein Möglichstes wird er tun. Das muss und das wird auch wohl reichen, um das von Bundestagspräsident Norbert Lammert kurz zuvor gesteckte Minimalziel zu erreichen, dass diese Amtzeit fünf Jahre währen möge.

Zum Schluss verweist er auf jene, die im Abseits stehen, die zu gesellschaftlichen Minderheiten gehören. Das Land müsse so sein, "dass auch sie zu diesem Land unser Land sagen können". Dies war das Angebot an die Linken, ihn auch als den ihren Präsidenten zu akzeptieren. Er will Bürgerpräsident sein. Das schließt die Linke ausdrücklich mit ein.

Dann geht zurück zu seinem Platz, setzt sich und genießt den Applaus.

"Es ist ein schöner Sonntag. Auch für mich", hat er in seiner Rede noch gesagt. In diesem Moment steckte alle Wahrheit des Tages in diesen zwei Sätzen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: