Japan:Wunden der Geschichte

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Südkoreanische Händler demonstrieren vor der japanischen Botschaft in Seoul gegen die Exportbeschränkungen. (Foto: Ahn Young-joon/AP)

Tokio streitet mit Südkorea über Inseln, Exporte und Entschädigungen. Dahinter steckt eine konfliktreiche Vergangenheit.

Von Christoph Neidhart, Tokio

Der Streit zwischen Südkorea und Japan eskaliert. In den sozialen Medien haben Tausende Südkoreaner zum Boykott japanischer Produkte aufgerufen; koreanische Touristen sollten auf Reisen nach Japan verzichten. Die Regierung in Seoul droht, bei der Welthandelsorganisation WTO gegen Tokio zu klagen, das Exporte nach Korea behindert. Der japanische Ministerpräsident Shinzo Abe rechtfertigt sich: Tokio könne Seoul nicht mehr als bevorzugten Partner behandeln. "Es hält seine Versprechen nicht ein."

Seit Donnerstag muss jede Ausfuhr von fluoriertem Polyimid, Hydrogenfluorid und Resist nach Korea einzeln bewilligt werden. Japans Handelsministerium beansprucht dafür jeweils 90 Tage Zeit. Die Chemikalien, für die Japan ein Beinahe-Monopol hat, werden für die Herstellung von Halbleitern und LED-Bildschirmen gebraucht. Die südkoreanischen Unternehmen Hynix, Samsung und LG müssen mit Engpässen rechnen. Das dürfte auch Apple, Sony und andere Computer-Hersteller treffen.

Der Groll von Regierungschef Abe richtet sich gegen das Oberste Gericht Südkoreas. Es hat drei japanische Unternehmen, unter ihnen Nippon Steel, dazu verurteilt, einstige koreanische Zwangsarbeiter oder ihre Erben finanziell zu entschädigen. Im Zweiten Weltkrieg beschäftigten japanische Schwerindustrie- und Bergbau-Unternehmen - auch "Aso Cement", die Firma der Familie von Abes Finanzminister Taro Aso - zusammen mehrere Millionen Koreaner als Zwangsarbeiter. Viele von ihnen sind später von der Regierung Südkoreas entschädigt worden, teilweise mit Geld aus Japan. Aber nicht alle. Einige der Opfer, die leer ausgegangen waren, klagten in den 1990er-Jahren bei Gerichten in Japan und Südkorea gegen ihre Ausbeuter. In Japan blitzten sie ab, in Seoul erging im Oktober das erste letztinstanzliche Urteil. Zwei weitere folgten, und es folgen noch mehr. Demnach können Vermögenswerte von Nippon Steel in Korea beschlagnahmt werden, um drei damaligen Zwangsarbeitern oder ihren Erben je etwa 80 000 Euro zu zahlen.

In Südkorea will man einen Vertrag ändern, der alle Kriegsforderungen abdeckt

Japan und Südkorea unterzeichneten 1965 einen "Grundlagenvertrag", mit dem sie diplomatische Beziehungen aufnahmen. Tokio gewährte Südkorea, damals eines der ärmsten Länder der Welt, 300 Millionen Dollar Aufbauhilfe und Kredite in Höhe von 200 Millionen Dollar. Dafür schrieb es in den Vertrag, damit seien alle Forderungen Koreas für die Kolonisierung und den Krieg abgegolten. Für Südkorea unterzeichnete Diktator Park Chung-hee den Vertrag. Doch er hatte zwei Jahrzehnte zuvor als Offizier in der kaiserlichen japanischen Armee gedient. Schon damals lehnten deshalb viele Südkoreaner den Vertrag ab. Nach seiner Unterzeichnung verhängte Park das Kriegsrecht, um Proteste zu unterdrücken. Heute fordert man in Südkorea eine Revision des Abkommens. Und das Oberste Gericht in Seoul befand, es schließe Privatklagen individueller Opfer nicht aus. So wurden die Kompensationsforderungen der Südkoreaner rechtskräftig.

Im Mai forderte Tokio von Seoul, der Streit solle von einem Schiedsgericht entschieden werden. Seoul lehnte jedoch ab und schlug einen Mechanismus vor, der es Nippon Steel und den anderen japanischen Firmen erlaubt hätte zu zahlen, ohne das Urteil formell anzuerkennen. Das wollte Tokio nicht - zumal es auch an künftige Verhandlungen mit Nordkorea denkt.

Im nächsten Schritt löste Seoul die "Stiftung zur Versöhnung und Heilung" auf, die auf einem Abkommen basiert, das Tokio und Seoul unter dem Druck der USA im Dezember 2015 unterzeichnet hatten. Nach jener Vereinbarung überwies Japan der Stiftung 8,2 Millionen Euro, damit der Konflikt um die sogenannten Trostfrauen "endgültig und unwiderruflich" gelöst werde. "Trostfrauen" nannte die japanische Armee jene etwa 200 000 jungen Frauen, die in ihre Feldbordelle verschleppt wurden, mehrheitlich Koreanerinnen. Damit ist auch dieser Konflikt wieder offen. Weiter streiten Südkorea und Japan um die sogenannten Liancourt Rocks (im Koreanischen: Dokdo; in Japan: Takeshima), zwei größere Felseneilande und mehrere kleinere im Meer, die Seoul kontrolliert, die Japan aber für sich beansprucht. Und auch um die Benennung des Meeres, das sie trennt, gibt es Streit: Japanisches Meer oder Ostmeer in Südkorea.

Zwei Tage vor der Verhängung der Exporthindernisse hatte Abe sich beim G-20-Gipfel in Osaka noch als Kämpfer für den Freihandel feiern lassen. Dazu setzte er sich mit allen Staats- und Regierungschefs auch bilateral zusammen - nur mit dem südkoreanischen Präsidenten Moon Jae-in nicht. Indem Abe die Exporthindernisse als Vergeltung rechtfertigte, hat der Premier die Chancen von Seouls Klage bei der WTO deutlich verbessert. Andererseits wählt Japan in zwei Wochen die Hälfte seines Oberhauses neu. Regierungschef Abe braucht die Stimmen der Rechtsnationalen, die stets gegen Korea und die in Japan lebenden Koreaner agitieren. Ihnen hat er nun klar gesagt, dass er Härte gegen Korea zeigt.

© SZ vom 08.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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