Japan:Herr Koizumi schaut nach vorne

Japan: Der Popstar der japanischen Politik: Shinjiro Koizumi von der liberaldemokratischen Partei. Manche sehen ihn als künftigen Premier.

Der Popstar der japanischen Politik: Shinjiro Koizumi von der liberaldemokratischen Partei. Manche sehen ihn als künftigen Premier.

(Foto: Kenichi Matsuda/AP)

Wenn der Hoffnungsträger von Japans Regierungspartei in Fukushima Wahlkampf macht, erwähnt er die Atomkatastrophe von 2011 nicht mit einem Wort - das Land ist in der Nuklearfrage gespalten.

Von Christoph Neidhart, Iwaki

Am Bahnhof Iwaki springt ein jung wirkender Mann in großen Sätzen die Treppe herunter. Drei Fotografen hecheln hinterher. Die Menschen auf dem Vorplatz jubeln Shinjiro Koizumi zu. Er winkt, lacht und schüttelt Hände. Der Sohn von Ex-Premier Junichiro Koizumi, der Popstar der japanischen Politik, klettert zu fünf Lokalpolitikern auf das Dach eines Wahlkampfbusses der liberaldemokratische Partei (LDP). "Japans übernächster Premier", wie der 38-Jährige genannt wird, ist nach Iwaki gekommen, um in der Stadt, 50 Kilometer südlich des havarierten Kernkraftwerks Fukushima I, für die Oberhaus-Kandidatin Masako Mori zu trommeln.

Japans kleine Kammer wird alle drei Jahre zur Hälfte neu gewählt. Die Präfektur Fukushima ist in ihr mit drei Sitzen vertreten, in diesem Jahr entscheiden die Wähler über den Sitz, den bisher Mori hält. Die 54-Jährige, eine der wenigen modernen Frauen in der konservativen LDP von Premier Shinzo Abe, war einst Ministerin und setzt sich für die Menschen ein, die ihre Häuser nach der dreifachen Kernschmelze 2011 verlassen mussten. Sie sollte sich ihrer Wiederwahl eigentlich sicher sein. Ihre Gegenkandidatin Sachiko Mizuno von den Konstitutionellen Demokraten (CDP) hat kaum überregionale Erfahrung, die Umfragewerte der Opposition sind zudem verheerend. Die CDP ist hier noch am stärksten, mit gerade mal 7,2 Prozent. Dennoch hämmert Koizumi den etwa 500 Zuhörern ein: "Wir dürfen diese Wahl nicht verlieren." Er fürchtet die Apathie der Wähler.

Iwaki liegt am Rand jener Zone, die nach der Atomkatastrophe evakuiert wurde. Viele Dörfer sind längst zur Rückkehr freigegeben worden, das benachbarte Hirono etwa schon 2012. Im April folgten sogar Teile von Okuma, eine der Gemeinden, auf deren Boden die AKW-Ruine steht. Doch in die meisten freigegebenen Dörfer sind nur etwa zehn Prozent der einstigen Bewohner zurückgekehrt. Außer Arbeitern mit Atemschutz und Wachposten sieht man kaum Menschen; abends brennt nur in wenigen Häusern Licht. Die Durchgangsstraßen sind frei, aber viele Seitenstraßen bleiben verbarrikadiert, die Häuser verrammelt. Beschädigte Läden und Tankstellen säumen die Straße. Da und dort ist Anhalten verboten; ein Schild fordert Autofahrer auf, die Stelle wegen hoher Radioaktivität rasch zu durchqueren. Einstige Reisfelder werden jetzt von Solarzellen überzogen, auf anderen lagern eingezäunt und mit Planen abgedeckt Millionen Tonnen verseuchter Erde. Am Zaun hängt eine Tafel: 0,18 Mikrosievert pro Stunde. Zeitweise 70 000 Männer haben in den letzten sieben Jahren zuerst um Schul- und Wohnhäuser, dann von Reisfeldern die oberste Erdschicht abgetragen und in riesige Plastiktüten verpackt. Diese Arbeiten, die immer noch andauern, haben den Staat bisher 24 Milliarden Euro gekostet. Und niemand weiß, wohin mit der zwischengelagerten verstrahlten Erde.

Trotz dieser Dekontaminierung sind selbst große Teile der Hochebene 50 Kilometer nordwestlich von Fukushima I weiterhin unbewohnbar. Am Waldrand beim Weiler Iitoi, nahe von Bauernhöfen, steht ein Geigerzähler: 0,48 Mikrosievert pro Stunde, mehr als das Doppelte des Grenzwertes. Der Schulhof ist überwuchert.

Auf nationaler Ebene hält die LDP an der Kernkraft fest - in den Lokalverbänden gibt es Kritiker

In Iwaki geht der junge Koizumi nicht auf die AKW-Katastrophe ein, die die Gegend noch hundert Jahre plagen wird. Sein Vater ist nach seinem Rücktritt aus der Politik zum Atomgegner geworden; er habe aus der Katastrophe gelernt, sagt er. Der Sohn dagegen vermeidet jede Stellungnahme - der Junior sei angepasster als er es selber je gewesen sei, bedauerte Junichiro Koizumi einmal vor der Auslandspresse. Doch Shinjiro Koizumi muss eine Balance halten, gerade in Fukushima. Während die LDP, die Japan seit 1955 mit zwei Unterbrechungen regiert, auf nationaler Ebene trotz der Katastrophe am Atomstrom festhält - ganz besonders Abe selbst - ist die lokale Sektion der LDP in Fukushima dagegen. Die Kandidatin Mori etwa setzt sich gegen Kernkraft in Fukushima ein.

Koizumi weckt beim Wahlkampfauftritt in Iwaki lieber Vorfreude auf die Rugby-WM und Olympia. Er schwärmt von Zwiebeln aus Iwaki und macht ein Wortspiel mit Moris Vornamen, das Bewunderung für "die unglaubliche Masako" ausdrückt. Schließlich spricht er über die staatliche Rentenversicherung, die er zu retten verspricht. Nur müssten die Japaner dazu länger arbeiten, sagt er. Auch über Premier Abe verliert er kein Wort, verspricht lieber eine komplette Erneuerung Nippons. Dazu brauche Japan Parlamentarier wie Mori. Und überhaupt mehr Politikerinnen - doch davon ist seine eigene Partei weit entfernt. Während die CDP mehr als 42 Prozent Frauen auf den Listen hat und die Kommunisten fast die Hälfte, hat die LDP nur 14 Prozent Frauen nominiert. Auf dem Dach des Wahlkampfbusses stehen nur Männer. Masako Mori tingelt an diesem Tag hinter den Bergen über die Dörfer, im Westen der Präfektur, der von der Strahlung verschont blieb. Hier schüttelt sie auf Pfirsichfarmen und in Altenheimen Hände.

Von Iwaki braust Koizumi über die Autobahn hinter der Kraftwerksruine vorbei weiter ans nördliche Ende der Katastrophenzone, ins Städtchen Minamisoma, das teilevakuiert war. Ein Geigerzähler an der Schnellstraße zeigt 2,5 Mikrosievert pro Stunde, das Elffache der für eine Freigabe zulässigen Strahlung. Angekommen steigt Koizumi vor einem Supermarkt wieder auf einen Wahlkampfbus. Hier erwähnt er das Erdbeben kurz, die Atomkatastrophe aber nicht. Die Menschen erwarten das auch nicht, sie haben keine Hoffnung mehr auf Hilfe aus Tokio. Viele der eher älteren Frauen sind weniger wegen der Inhalte gekommen, als um den Jungstar zu sehen, den "populärsten Politiker Japans", wie es heißt, oder den "einzigen populären Politiker", was nur geringfügig übertrieben ist. Zum Abschluss nimmt Koizumi Babys auf den Arm, der künftige Premier ist Schwiegersohnmaterial. Aber um antreten zu dürfen, muss er - so wollen es die internen Senioritätsregeln der LDP - selber noch zweimal wiedergewählt werden.

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