Italien:Sergio Mattarella - der Staatspräsident wird Schiedsrichter

Sergio Mattarella, Matteo Renzi

Von Matteo Renzi (rechts) aus dem Hut gezaubert: der Christdemokrat Sergio Mattarella (links), seit Februar 2015 Präsident Italiens. Der besonnene Politiker muss nun bestimmen, wie es mit dem Land weitergeht.

(Foto: Domenico Stinellis/AP)
  • Präsident Mattarella fällt die schwere Aufgabe zu, dem Land zu einer neuen Regierung zu verhelfen, mit der alle leben können.
  • Die Opposition will Neuwahlen, Renzi pocht auf eine "Regierung aller", an der möglichst viele Parteien teilhaben.
  • An diesem Donnerstag beginnt Mattarella mit den Sondierungsgesprächen mit den Parteichefs.

Von Oliver Meiler, Rom

Das Mondäne liegt Sergio Mattarella nicht so sehr. Italiens Staatspräsident wirkt bei großen Anlässen immer etwas verloren und steif. Und so dürfte es ihn nicht sonderlich verdrossen haben, dass er nun wegen einer plötzlichen Anhäufung unaufschiebbarer Termine die Opernpremiere an der Mailänder Scala auslassen musste.

Die findet jeweils am 7. Dezember statt, dem Tag von Stadtpatron Sant' Ambrogio. Auf dem Programm stand Giacomo Puccinis "Madame Butterfly", eine Tragödie. Mattarella blieb in Rom, in seinem Palast auf dem Quirinal, um die erste Regierungskrise zu lösen, die ihm in seiner bald zweijährigen Amtszeit erwächst. Und die bietet, wenn nicht die Konturen einer Tragödie, so doch viel Spannung.

Der 75-jährige Sizilianer ist ein besonnener Mann mit langer politischer Erfahrung als Minister und Verfassungsrichter. Kein Abenteurer. Man nennt ihn auch liebevoll "Italiens Großvater". Gerade ist er stark damit beschäftigt, ungestüme Politiker zu bändigen.

Als ihm Matteo Renzi nach dem verlorenen Verfassungsreferendum den Rücktritt unterbreitet hat, lehnte Mattarella ab und forderte den Premier auf, zunächst seinen Haushaltsplan für das nächste Jahr durchs Parlament zu bringen. Damit alles seine Ordnung habe und das Ausland sich nicht um die Stabilität Italiens sorgen müsse. Nun, da auch der Senat das Budget gebilligt hat, darf Renzi gehen. Die Regierungskrise tritt in ihre heiße Phase.

Mattarella verdankt Renzi sein Amt

Mattarella fällt die schwere Aufgabe zu, dem Land zu einer neuen Regierung zu verhelfen, mit der alle leben können. Wenigstens für ein Weilchen. Doch schon die Frage, wie lange dieses Weilchen dauern soll, entzweit die Politik. Ein Teil der Parteien würde gerne möglichst bald wählen. Dem Präsidenten aber, so hört man, wäre es viel lieber, es ließe sich ein neuer Premierminister mit breiter Unterstützung finden, der Italien bis zum regulären Ende der Legislaturperiode Mitte 2018 regiert und der in dieser Zeit dafür sorgt, dass das Land ein neues Wahlgesetz für die Bestellung der Abgeordnetenkammer und des Senats erhält.

Als mögliche Kandidaten werden unter anderem gehandelt: Finanzminister Pier Carlo Padoan, Senatspräsident Pietro Grasso und Transportminister Graziano Delrio. Urteilt man nach den Wortmeldungen aus allen Lagern während der vergangenen Tage, ist der Plan wohl eher eine Illusion. Die meisten Parteien wähnen sich schon mitten im Wahlkampf.

An diesem Donnerstag beginnt Mattarella nun mit den Sondierungsgesprächen. Wenn nötig, gibt es mehrere Konsultationsrunden mit den Parteichefs. Und immerzu werden die Fernsehteams am Portal des Palasts bereitstehen und versuchen, an den Gesichtern der wegfahrenden Besucher abzulesen, wie es um die Fortschritte bei der Krisenlösung steht. Zentral dabei ist das Zusammenspiel von Mattarella und Renzi, zweier Herrschaften, die in ihrer Art kaum unterschiedlicher sein könnten und doch sehr eng miteinander verbunden sind. Mattarella verdankt seine Wahl zum Präsidenten einem politischen Coup Renzis.

Eine lahme Ente, mit prekärem Konsens im Volk

Als im Januar 2015 ein Nachfolger gesucht wurde für Giorgio Napolitano, der sein Amt politisch aktiv und für manche allzu parteiisch ausgeübt hatte, schlug Renzi völlig überraschend den linken Christdemokraten aus Palermo vor. An ihn hatte bis dahin niemand gedacht. Von Mattarella hieß es, er sei eine moralische Institution, der seine Rolle wie ein Notar interpretieren würde, leise und ausgewogen. So kam es auch. Unlängst sagte Mattarella: "Ich sehe mich als Schiedsrichter. Wenn das Spiel regulär verläuft, ohne Fouls, dann bemerkt man gar nicht, dass ein Schiedsrichter auf dem Platz steht."

Nun aber soll man ihn als Mittler und Vermittler spüren können. Am meisten Mühen wird ihm wohl sein junger Förderer bereiten. Renzi änderte in den vergangenen Tagen schon mehrmals seine Pläne. Als Generalsekretär des linken Partito Democratico ist er noch immer der Macht-Broker im Land: Mit einigen versprengten Zentristen hält die Partei die Mehrheit in beiden Parlamentskammern. Dennoch mag sie nach der Niederlage beim Referendum nicht alleine weiterregieren - als lahme Ente, mit prekärem Konsens im Volk. Sie verlöre so nur noch mehr Zuspruch.

Darum pocht Renzi nun auf eine "Regierung aller", an der möglichst viele Parteien teilhaben und in der auch die Verantwortung geteilt wäre: bei der Ausarbeitung eines neuen Wahlgesetzes genauso wie beim Fällen unpopulärer Entscheide. Auf diese Weise, so rechnet man sich das in Renzis Entourage aus, könnte sich auch der Partito Democratico vor der Wahl mit neuer Frische präsentieren. Doch auch dieser Plan klingt mehr nach Provokation als nach einem konstruktiven Ansatz.

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