Italien:Der Flüchtling, der ein Terrorist sein soll

Moroccan citizen Touil Abdelmajid makes a victory sign as he arrives with migrants on the Italian navy ship Orione at Porto Empedocle harbour in Sicily

Abdel Majid Touil ist Marokkaner, kam im Februar illegal nach Italien - und dient der Rechten im Land nun als Beispiel für Gefahren der Migration.

(Foto: Antoni Parrinello/Reuters)
  • Die Polizei in Mailand hat den 22-jährigen Marokkaner Abdel Majid Touil festgenommen, der nach Ansicht der tunesischen Behörden am Attentat auf ein Museum in Tunis Mitte März beteiligt war.
  • Touil war im vergangenen Februar an Bord eines Flüchtlingsschiffs nach Italien gelangt. Die Lega Nord forderte deshalb, Italien müsse die Grenzen dichtmachen und das Schengen-Abkommen suspendieren.
  • Doch es gibt erhebliche Zweifel, dass Touil zum Zeitpunkt des Attentats tatsächlich in Tunesien hätte sein können.

Von Oliver Meiler, Rom

Die italienischen Medien zeigen sein Foto samt Namen und persönlichen Daten, als wäre sein Fall ganz klar. Abdel Majid Touil war auf dem Weg zur Caritas, als ihn die Polizei in Gaggiano bei Mailand verhaftete. Der arbeitslose Marokkaner, 22 Jahre alt, jugendliche Gesichtszüge, aß oft bei der katholischen Hilfsorganisation. Und vielleicht wird auch dieses Detail aus seinem Alltag noch einmal wichtig werden - oder zumindest denkwürdig.

Touil soll ein islamistischer Terrorist sein. So jedenfalls sehen es die tunesischen Behörden. Am 18. März soll er am Attentat auf das Bardo-Museum in Tunis beteiligt gewesen sein. 24 Menschen kamen um, unter ihnen viele Touristen. War Touil gar der sogenannte dritte Mann des Kommandos, jener, der entkam?

Die Polizei spricht von einem beispielhaften Fahndungserfolg

Als die Mailänder Digos, eine Sondereinheit der Polizei, am Mittwoch nach der Festnahme vor die Presse trat, sprach sie von einem beispielhaften Fahndungserfolg. Das Innenministerium in Rom richtete aus, der Fall zeige, wie gut das Zusammenspiel der Geheimdienste funktioniere. Das Selbstlob schien dem Ministerium auch deshalb so wichtig zu sein, weil ruchbar wurde, dass Touil im vergangenen Februar an Bord eines Flüchtlingsschiffs nach Italien gelangt war.

Die Geschichte, wenn sie denn tatsächlich wahr ist, würde jene rechtspopulistischen Kreise im Land stärken, die schon lange und ohne Indizien behaupten, die Boote der Verzweiflung würden auch "Dschihadisten und Terroristen" im Dutzend nach Italien bringen. Kaum war die Nachricht von der Festnahme publik, forderte die Lega Nord auch schon, man müsse schnell die Grenzen dichtmachen und das Schengen-Abkommen suspendieren.

Doch ist die Geschichte auch wirklich wahr? Oder droht ein großer Justizirrtum? Am Tag danach wackeln die Gewissheiten. Innenminister Angelino Alfano sagte im Parlament, man sei dabei, Touils Reiseaktivitäten der zurückliegenden Monate genau nachzuzeichnen. Die Mailänder Staatsanwaltschaft mahnt nach der Anhörung des jungen Marokkaners zur Vorsicht und will den Fall im Detail prüfen.

Touil tauchte ab - und reiste zu seiner Mutter

Das tat sie bisher noch nicht. Der italienische Staat verfügt über Touils Fingerabdrücke bereits seit dessen illegaler Einreise im Februar. Man beschied ihm damals, er müsse das Land binnen fünfzehn Tagen wieder verlassen. Doch Touil tauchte ab, wie das viele tun, und reiste in den Norden - nach Gaggiano zu seiner Mutter, die seit neun Jahren in Italien lebt, als Altenpflegerin arbeitet und spart, um alle ihre Kinder nachzuholen.

Auch sie ist nun in allen Medien zu sehen. Sie verteidigt ihren Sohn. Der sei in den vergangenen Monaten nie weg gewesen, sagt sie, den Reisepass habe er bei seiner Überfahrt von Libyen nach Sizilien verloren. Den Verlust des Passes hatte sie bei der Polizei gemeldet, jedoch erst im April. Am Tag des Attentats von Tunis habe ihr Sohn auf dem Sofa ihrer kleinen Wohnung gesessen. Mit dem Dschihad verbinde ihn nichts. In der Moschee, so erzählt man in der Stadt, sah man ihn nie, dafür umso öfter im Novella 73, einer Kaffeebar.

Das Klassenbuch gehört jetzt zu den Akten

Italien hat Touil auf Grund eines internationalen Haftbefehls festgenommen. Die Tunesier haben eine Liste mit 47 mutmaßlichen Komplizen der Attentäter erstellt, von denen etliche in Europa leben sollen. Bei Touil ist man sich in Tunis sicher, dass er dem engeren Kommando angehörte. Aus dem tunesischen Innenministerium heißt es, er habe die Attentäter Yassine Laabidi und Jabeur Khachnaoui, die später von der Polizei getötet wurden, am Tag des Anschlags in Tunis getroffen und sie bis zum Bardo begleitet. Touil habe ihnen zumindest logistische Hilfe geleistet.

Doch tat er das tatsächlich? Am Ort des Geschehens? Oder verwechselt man ihn mit einem Gleichnamigen? Mittlerweile haben sich nämlich auch die Lehrer vom Ausbildungszentrum für Erwachsene in Trezzano sul Naviglio bei Gaggiano gemeldet. Dort besuchte Touil Italienischkurse. Eingeschrieben hatte er sich am 6. März. Er war auch am 12. und am 16. März an der Schule. Das zeigt die Anwesenheitsliste im Klassenbuch, das nun zu den Akten gehört. Man hält es deshalb für unwahrscheinlich, dass Touil am 18. März in Tunis war. Er hätte fliegen müssen, hin und zurück - ohne Papiere und mit einem Ausweisungsbescheid in seiner Akte. Der Fall drückt schwer auf die politische Agenda, egal, wie er ausgeht.

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