Emmanuel Macron im Interview:"Europa ist kein Supermarkt"

EMMANUEL MACRON

Emmanuel Macron im SZ-Interview

(Foto: Jean-Christophe Marmara/ LE FIGARO)

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wünscht sich eine Allianz des Vertrauens mit Deutschland - und ruft auf zu einem Neuanfang für Europa.

Von Leo Klimm und Christian Wernicke, Paris

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ruft Deutschland auf, mit ihm einen Neuanfang für Europa zu wagen. "Ich wünschte mir, wir würden zum Geist der Kooperation zurückkehren, wie er einst zwischen François Mitterrand und Helmut Kohl herrschte", sagte Macron im Interview mit der Süddeutschen Zeitung und anderen europäischen Zeitungen. Sonst drohe der EU der Zerfall. "Die Frage ist: Wird Europa seine Grundwerte verteidigen, die es über Jahrzehnte in aller Welt verbreitet hat - oder weicht es zurück angesichts des Erstarkens illiberaler Demokratien und autoritärer Regime?" Ohne sie zu nennen, kritisierte Macron Polen und Ungarn. "Manche politische Führer aus Osteuropa" offenbarten "eine zynische Herangehensweise gegenüber der EU: Die dient ihnen dazu, Geld zu verteilen - ohne ihre Werte zu respektieren. Europa ist kein Supermarkt, Europa ist eine Schicksalsgemeinschaft!"

Macron will mit Deutschland eine neue "Allianz des Vertrauens" schaffen. Er räumte ein, ohne "grundlegende Reformen, die unabdingbar sind für Frankreich", könne sein Land kein Antriebsmotor Europas sein. "Die Stärke der einen darf sich nicht aus den Schwächen der anderen speisen. Deutschland, das sich vor etwa 15 Jahren reformiert hat, stellt heute fest, dass diese Situation nicht haltbar ist", sagte der Präsident. Seine Landsleute mieden Reformen, solange es gehe. "Aber jetzt haben sie verstanden, dass sie am Abgrund stehen - und haben reagiert." Seine Wahl zum Staatschef im Mai sowie der Sieg seiner Partei bei der Parlamentswahl am vergangenen Wochenende seien "der Beginn einer französischen und hoffentlich auch einer europäischen Renaissance".

Macron verteidigte seine umstrittene Forderung nach einer Vertiefung der Euro-Zone, die er mit einem eigenen Budget und einer demokratisch kontrollierten Regierung ausstatten möchte. "Das ist das einzige Mittel, um wieder mehr Konvergenz zu schaffen", so Frankreichs Staatschef in seinem ersten Interview mit internationalen Medien. "Mein Gefühl ist, dass Deutschland sich dem nicht verweigert." Kanzlerin Angela Merkel hat sich diese Woche offen für einen eigenen Finanzminister und ein Budget für die Euro-Zone gezeigt. Die Vergemeinschaftung von Risiken lehnte sie aber ab.

Macron fordert neuen Plan zur Befriedung Syriens

Für Macron muss Europa vor allem beweisen, dass es seine Bürger vor Gefahren schützt, damit es neue Zustimmung erfährt. Das gilt ihm zufolge für terroristische Bedrohungen ebenso wie für den Schutz vor Sozialdumping innerhalb der EU. Er könne in Frankreich nicht vermitteln, wenn Firmen in seinem Land polnische Mitarbeiter billiger beschäftigen könnten als Franzosen. Paris dringt vehement auf eine Neufassung der sogenannten EU-Entsenderichtlinie. Den osteuropäischen Regierungen drohte er mit "konkreten Entscheidungen", sollten sie sich nicht an EU-Regeln halten. Der geplante Austritt Großbritanniens aus der Gemeinschaft sei kaum mehr zu vermeiden, so Macron. "Da sollten wir uns nichts vorlügen."

Eine scharfe Warnung richtete Macron an Syriens Diktator Baschar al-Assad. Frankreich könne in Syrien auch allein und ohne US-Beistand Luftschläge setzen. "Wenn erwiesen ist, dass Chemiewaffen eingesetzt wurden, und wir die Herkunft wissen, wird Frankreich mit Luftschlägen antworten, um die identifizierten Chemiewaffen-Lager zu zerstören." Der Einsatz der geächteten Waffen sei für ihn eine "rote Linie". Macron forderte einen neuen Plan zur Befriedung Syriens: "Ich mache die Amtsenthebung Assads nicht mehr zur Vorbedingung für alles. Denn ich sehe niemanden als seinen legitimen Nachfolger." Sein oberstes Ziel bleibe der Kampf gegen alle Terrorgruppen: "Das sind unsere Feinde!" In jener Weltregion würden Terroristen für Anschläge auch in Europa geschult. Für die "Ausrottung" dieser Gruppen brauche es "die Zusammenarbeit aller, und insbesondere von Russland".

Innenpolitisch war Macron unterdessen mit seiner ersten Kabinettskrise konfrontiert. Vier Minister, darunter die für Verteidigung und Justiz, waren wegen einer Affäre um womöglich illegale Parteienfinanzierung zurückgetreten. Am Mittwochabend ernannte Macron eine neue Regierung, in der er drei der Abgänger durch Spitzenbeamte ersetzte.

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