Internationale Beziehungen:Zustimmung der Deutschen zu internationalem Engagement wächst

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Militärischer Versuch, eine Krise zu bewältigen: Deutscher Bundeswehrsoldat in Masar-i-Scharif in Afghanistan (Bild von 2013). (Foto: dpa)
  • Einer repräsentativen Umfrage zufolge wünschen sich 53 Prozent der Befragten, Deutschland solle sich in internationalen Krisen eher zurückhalten - zu Beginn des Jahres waren es noch mehr als 60 Prozent.
  • Gleichzeitig ist die Zahl derjenigen, die mehr Engagement befürworten, im vergangenen Jahr gestiegen.
  • Als künftig größte Herausforderung sehen die Deutschen die diplomatischen Beziehungen zum designierten US-Präsidenten Trump - knapp vor Flüchtlingen, aber weit vor den Beziehungen zur Türkei und zu Russland, dem Zustand der EU und Syrien.

Von Markus Mayr, München

Deutschland beteiligt sich zunehmend an diplomatischen wie militärischen Versuchen, internationale Krisen zu bewältigen. Das gefällt vielen Deutschen nicht. Doch seit zwei Jahren wünscht sich auch ein nach wie vor hoher Anteil der Bevölkerung, Deutschland solle sich stärker einmischen und damit Verantwortung für das Geschehen in der Welt übernehmen. Und seit vor drei Wochen klar wurde, dass die Amerikaner einen schwer berechenbaren Präsidenten ins Weiße Haus schicken, bewerten Deutsche die großen Herausforderung für die Berliner Außenpolitik deutlich anders.

Das geht jedenfalls aus einer Studie im Auftrag der Körber-Stiftung hervor, die an diesem Dienstag erscheint. Meinungsforscher von TNS Infratest befragten in der ersten Oktoberhälfte etwa 1000 Deutsche über 18 Jahren zu ihrer Sicht auf Europa und die deutsche Außenpolitik. Die Stichprobe gilt als repräsentativ. Viermal haben die Meinungsforscher in den vergangenen zweieinhalb Jahren zufällig ausgewählten Deutschen Fragen zu dem Thema gestellt. Nach dem Wahlsieg Trumps haben die Forscher erneut nachgehakt und dabei festgestellt, dass sich die außenpolitischen Prioritäten der Deutschen verschoben haben.

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Nora Müller, Leiterin des Bereichs Internationale Politik der Körber-Stiftung, vermutet, dass "der Trend, als Deutschland eine große Schweiz sein zu wollen, bröckelt". In der Rolle des Neutralen auf dem internationalen Parkett zu agieren, erscheint also immer weniger Deutschen richtig. "Die Krisen der Welt rücken näher. Deutschland hat keine andere Wahl, als sich stärker zu engagieren", so interpretiert Müller das Umfrageergebnis. Demnach wünschen sich derzeit 41 Prozent der Befragten, Deutschland solle sich stärker engagieren. Im Januar 2015 dachten noch 34 Prozent so.

Umgekehrt wünschen sich aber 53 Prozent der Befragten, Deutschland solle sich weiter eher zurückhalten mit internationalem Krisenmanagement - Tendenz fallend: Zu Jahresbeginn 2015 plädierten noch 62 Prozent der Befragten für Zurückhaltung. Was in der Außenpolitik geschieht, finden die meisten Deutschen interessant, ungeachtet unterschiedlicher Haltungen interessieren sich knapp drei Viertel der Befragten stark bis sehr stark dafür.

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Donald Trump größere Herausforderung als die Flüchtlingskrise

Die Liste an Herausforderungen für die deutsche Außenpolitik ist lang. Höchste Priorität hatten noch im Oktober aus Sicht der Befragten die Lösung der Flüchtlingskrise, gefolgt vom Bürgerkrieg in Syrien sowie den schwierigen diplomatischen Beziehungen zu Russland unter Präsident Wladimir Putin. Nach dem Wahlsieg Trumps nun schätzen die Befragten die Rangfolge anders ein. Als künftig größte Herausforderung sehen sie die diplomatischen Beziehungen zum designierten US-Präsidenten. Dicht dahinter folgt in der Rangliste die Flüchtlingskrise, gefolgt vom komplizierten Verhältnis zum türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Die Diplomatie mit Russland rutschte auf Platz vier, das Befrieden des syrischen Bürgerkriegs hat nur noch für jeden Zehnten Priorität.

Auch über den Zustand der Europäischen Union machen sich die Deutschen jetzt nach Trumps Wahl mehr Gedanken. Zu dem bereits geäußerten relativ starken Wunsch nach mehr internationaler Verantwortung gesellt sich das mehrheitliche Verlangen, Deutschland solle seine Führungsrolle innerhalb der EU ausbauen. Und das, obwohl die Mehrheit der Befragten findet, dass die ohnehin nach dem Brexit-Votum gestiegene Bedeutung der Bundesrepublik zu einem Ungleichgewicht innerhalb der Staatengemeinschaft geführt hat. Für die Zukunft wünschen sich die Befragten fast einstimmig, dass die EU-Mitgliedstaaten enger zusammenarbeiten; vier Fünftel wünschen sich eine größere Rolle der EU in der Welt und gut die Hälfte befürwortet eine gemeinsame europäische Armee.

Außenpolitik-Expertin Müller vermutet, dass die Mehrheit der Deutschen ihr Land deshalb in der Führungsrolle sehen, weil sie erkannt hätten, dass europäische Integration derzeit vor allem von Berlin aus vorangetrieben werde. Frankreich stecke in einem komplizierten Wahlkampf und konzentriere sich wenig auf Europa, die Briten haben für den Brexit gestimmt, und es knirsche auch zwischen Warschau und Brüssel. "Die Menschen in Deutschland haben ein Gespür für Europa und seine Bedürfnisse", sagt Müller.

© SZ vom 29.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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