Impfdebatte:Immun gegen Argumente

Die Impfskepsis wächst weltweit - und mit ihr die Zahl der Masernfälle. Dabei müsste kein Kind mehr unter der hoch ansteckenden Krankheit leiden.

Von Berit Uhlmann

Impfdebatte: Erste Impfprogramme gegen die Pocken gab es in Europa im 19. Jahrhundert. Der Impfstoff gegen die Masern wurde in den 1960er-Jahren entwickelt.

Erste Impfprogramme gegen die Pocken gab es in Europa im 19. Jahrhundert. Der Impfstoff gegen die Masern wurde in den 1960er-Jahren entwickelt.

(Foto: Mauritius)

Warum sprechen gerade alle über die Masern?

Die Masern gehören zu den Krankheiten, an denen prinzipiell kein Kind mehr leiden müsste. Schon seit den 1960er-Jahren gibt es eine effektive, sichere und preiswerte Impfung gegen die hoch ansteckende Krankheit. Doch nach Jahrzehnten des Rückgangs nehmen die Masernfälle weltweit wieder zu. In Europa erkrankten 2018 mehr als 82 000 Menschen - so viele wie seit zehn Jahren nicht mehr. In Deutschland haben die Erkrankungszahlen in den vergangenen Jahren zwar abgenommen, dennoch kommt es immer wieder zu größeren Ausbrüchen. 2018 wurden in der Bundesrepublik 543 Fälle gemeldet, die Pro-Kopf-Rate war am höchsten in Nordrhein-Westfalen, Bayern, Baden-Württemberg und Berlin. In diesem Jahr wurden bereits 288 Fälle registriert.

Warum nehmen die Infektionen wieder zu?

Verantwortlich ist in erster Linie die Impfskepsis, die mittlerweile solche Ausmaße erreicht hat, dass die WHO sie Anfang des Jahres als eine der zehn größten Bedrohungen der globalen Gesundheit einstufte. Dass Menschen die Immunisierung ablehnen, hat viele Ursachen und ist auch kein neues Phänomen. Doch heute können sich Ansichten, Emotionen ebenso wie Verschwörungstheorien rund um die Impfung "über nie gesehene Distanzen mit bemerkenswertem Tempo verbreiten", schrieb die Londoner Anthropologin Heidi Larson vor wenigen Tagen im Fachmagazin Science.

Falschinformationen entfalten damit eine gefährliche Dynamik. Die Folge: Der Schutzschirm gegen Infektionserkrankungen, jene Errungenschaft, die die Welt den Milliarden Geimpften verdankt, wird durchlässiger. Im Fall der Masern ist der Schutz komplett, wenn mindestens 95 Prozent der Menschen geimpft sind. In vielen Ländern ist dieser Wert nicht erreicht. In Deutschland haben derzeit nur knapp 93 Prozent die nötigen zwei Impfdosen erhalten.

Wie wahrscheinlich ist eine Impfpflicht zur Zeit?

Über die Impfpflicht debattiert die Politik zwar seit Jahren. Derzeit aber sieht es wirklich so aus, als ob es nicht bei Debatten bleiben würde. Einen konkreten Schritt ging am Freitag der Brandenburger Landtag. Dessen Abgeordnete votierten mehrheitlich dafür, dass die Potsdamer Regierung Rahmenbedingungen schafft, um eine Masern-Impfpflicht für Kita-Kinder einzuführen. Auch Nordrhein-Westfalen strebt eine solche Pflicht an. Thüringens Bildungsminister Helmut Holter (Linke) sprach sich ebenfalls für eine solche Pflicht aus, Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) schloss sie zumindest nicht aus. In Hamburg fordert die CDU eine Impfung aller städtischen Mitarbeiter, die mit Kindern arbeiten. Außerdem solle der Besuch einer Kita nur noch mit "einwandfrei nachgewiesenem Impfstatus" möglich sein.

Auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) favorisiert die Impfpflicht. Anfang Mai könnte er bereits einen Gesetzesentwurf vorlegen. Familienministerin Franziska Giffey (SPD) und die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles unterstützen das Vorhaben. Allerdings müssen zuvor noch viele Einzelfragen geklärt werden, zum Beispiel, unter welchen Umständen Ausnahmen zulässig sein könnten. Verkompliziert wird die Lage dadurch, dass der Impfstoff gegen Masern in der Regel nur in Kombination mit den Vakzinen gegen Röteln und Mumps verfügbar ist, für die vorerst offenbar keine Impfpflicht geplant ist.

Warum sind die Masern gefährlich?

Masern gehören zu den ansteckendsten Krankheiten. Das Virus wird beim Husten, Niesen und Sprechen übertragen. Etwa 90 Prozent aller nicht immunen Menschen, die in Kontakt mit einem Infizierten kommen, müssen mit einer Ansteckung rechnen. Mehr als 95 Prozent von ihnen entwickeln Symptome. Typisch sind zunächst Fieber, Bindehautentzündung, Schnupfen, Husten und weißliche Flecken auf der Mundschleimhaut. Etwa drei bis zehn Tage nach dem Beginn der Krankheit tritt der charakteristische Masern-Ausschlag auf: bräunliche-rosa Flecken, die am Kopf beginnen und sich dann weiter über den Körper ausbreiten. Gefürchtet sind die Komplikationen, darunter Entzündungen des Mittelohrs, der Lungen und des Gehirns. Die Hirnentzündung tritt bei einem von 1000 Erkrankten auf und kann bleibende Schäden hinterlassen oder sogar tödlich enden. Bei etwa vier bis elf Menschen je 100 000 Erkrankten kommt es zu einer neurologischen Spätkomplikation: Die sogenannte subakute sklerosierende Panenzephalitis (SSPE) ist eine Hirnentzündung, die Jahre nach der Infektion auftreten kann und zum Tod führt

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