Identitätskrise:Grün trägt Grau

Lesezeit: 3 min

Ihre historischen Verdienste sind derzeit die einzige Legitimation für die Existenz der Öko-Partei. Die Grünen sind keine Antreiber mehr, sie sind Getriebene.

Nico Fried

Eigentlich wäre es für die Grünen an der Zeit, wieder dahin zu gehen, wo sie einst hergekommen sind: in die SPD. Davon hätten beide Parteien etwas.

Ist der Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Fritz Kuhn (r) nur mehr der Nachlassverwalter einer Zeit der Verantwortung? (Foto: Foto: dpa)

Die Kräfte im Clinch mit der Lafontaine-Linken würden gebündelt, die Sozialdemokraten erhielten eine Politiker-Generation zurück, die ihnen einst verlorenging, dem ehrgeizigen Führungspersonal der Grünen könnte man mit ein paar Staatssekretärsposten das Gefühl geben, wieder mitzuregieren. Und ein Parteichef wie Kurt Beck, der schon vielen Widrigkeiten erstaunlich standfest trotzte, wird wohl auch mit Jürgen Trittin noch fertig.

Eine Illusion. Aber es schadet nicht, ihr ein wenig nachzuhängen: Würden die Grünen denn irgendjemandem fehlen? Zurzeit doch wohl nur denen, die ein Desaster wie den letzten Parteitag als amüsantes politisches Entertainment schätzen.

Ansonsten wäre ohnehin erst einmal die Frage zu beantworten, welche Grünen eigentlich gemeint sind: Die Realpolitiker, die Friedenspolitiker, die Werte-Grünen, die linken Grünen, die lavierenden Taktiker, die Umweltaktivisten, die Ampel- oder die Jamaika-Grünen? Robert Zion, der Rebell von Göttingen?

Nicht leichter in der Opposition

Oder Fritz Kuhn, der Nachlassverwalter einer Zeit der Verantwortung? Die eine grüne Partei gibt es nicht. Es hat sie nie gegeben, aber unter Joschka Fischer war es zumindest gelungen, die vielen Teile einigermaßen beisammenzuhalten.

Nach dem Abgang des gar nicht so heimlichen Vorsitzenden hätte sich die Partei dieser Wahrheit stellen müssen. Doch das Dasein der Grünen seit der verlorenen Bundestagswahl ist der beste Beweis dafür, dass sich die Neuaufstellung einer Partei, entgegen landläufiger Meinung, in der Opposition keineswegs leichter gestaltet als in der Regierung.

Im Gegenteil: Das überhebliche Gefühl, früher oder später schon wieder gebraucht zu werden, hat bei den Grünen dazu geführt, dass sich viele Gedanken um Spitzenkandidaturen, Koalitionen und Ministersessel drehen, nicht aber darum, was das speziell Grüne eigentlich noch sein soll. Diese Nonchalance speist sich aus Umfragewerten, die nicht die Stärke, sondern lediglich die Skepsis gegenüber der Großen Koalition ausdrücken.

Ihre historischen Verdienste sind derzeit die einzige Legitimation für die Existenz der Grünen. Ohne die Ökos gäbe es heute keine Klima-Kanzlerin. Ohne den Atomausstieg hätte Umweltminister Sigmar Gabriel nur den Eisbären Knut zum Spielen.

Das gesellschaftliche Bewusstsein verändert zu haben, können sich die Grünen auch da zugute schreiben, wo sie sich selbst unter Qualen wandelten: Ohne die Einsicht in der einstigen Pazifisten-Partei, welche Verantwortung ein wiedervereinigtes Deutschland zu übernehmen hat, stünden heute keine Bundeswehr-Soldaten im Kosovo oder in Afghanistan. Und auch was die Reformpolitik der Regierung Schröder angeht, dürfen sich die Grünen rühmen, den Kanzler seinerzeit zumindest mit in die Agenda gedrängt zu haben.

Der Wahltag 2005 war eine Zäsur. Doch unzählige Klausuren, Zukunftswerkstätten und Diskussionsrunden später ist weniger denn je ersichtlich, was genau diese Partei nun eigentlich anfangen will. Natürlich fordern sie überall ein bisschen mehr: mehr Klimaschutz, mehr Mindestlohn, mehr Strategiewechsel in Afghanistan.

Selbstgefälliger Anspruch

Aber ist es wirklich das, weshalb die Grünen - wenn überhaupt - noch wahrgenommen werden? In Erinnerung bleiben doch vielmehr das Hin und Her um die Einsetzung eines BND-Untersuchungsausschusses, das exemplarisch die Nöte mit der eigenen Vergangenheit offenbarte; der Streit um ein Papier zur Atompolitik, der die Fraktion spaltete; ein Afghanistan-Parteitag, der die Rückkehr in die Vergangenheit markierte. Die Grünen sind keine Antreiber mehr, sie sind Getriebene.

Große Teile der Partei entledigen sich nun dessen, was ihnen in sieben Jahren Regierung aufgezwungen wurde. An der Spitze aber führte die Befreiung vom Über-Fischer zu neuer Gefangenschaft im Nachfolgestreit. Keine einzige Führungsfigur ist zu sehen, die ihn ersetzen könnte. Das wusste man schon immer. Doch Göttingen hat nun gezeigt, dass das Kollektiv dazu schon gar nicht in der Lage ist.

Auch der ewige Streit um Doppelspitzen, der nun zum 127sten Mal aufkochen dürfte, verspricht keine Linderung in all dem Elend. Egal, wie die Führung sich künftig organisiert, es wird wenige Sieger und einige Verlierer geben - keine guten Voraussetzungen für den ersten Wahlkampf ohne Fischer.

Trotz alledem kann es durchaus dazu kommen, dass die Grünen bald wieder besser dastehen, als sie es verdienen. Ein sich verfestigendes Fünf-Parteien-System in Deutschland macht alle Kleinen größer. In Bremen regieren die Grünen schon wieder mit der SPD, in Hamburg vielleicht bald mit der Union und im Bund womöglich irgendwann in einer Dreier-Koalition.

Nützliche Mehrheitsbeschaffer wären die Grünen dann geworden, eine FDP in anderer Farbe, eine Funktionspartei - genau das, was sie in ihrem stets etwas selbstgefälligen Anspruch niemals werden wollten. Ein alter Spruch der Gründer-Generation aus Spontis und 68ern bekäme dann eine völlig neue Bedeutung: Wir sind die Leute, vor denen uns unsere Eltern immer gewarnt haben.

© SZ vom 19.9.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: