Homophobie:Schutzlos in der Ukraine

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Homosexuelle sind in der Ukraine immer wieder Opfer von Übergriffen und Diskriminierung

(Foto: AFP)

Seit der Maidanrevolution nehmen Übergriffe auf Homosexuelle in der Ukraine zu. Oft sind rechte Paramilitärs beteiligt.

Von Rebecca Barth

Eine ausgelassene Nacht in einem Karaoke-Club in der südukrainischen Hafenstadt Odessa ist es, die Igor Sachartschenkos Leben verändern soll. Der Weg zur Bushaltestelle ist nicht weit; er ist mit seinem Freund Nikita alleine. Nur zwei Typen sind außer ihnen noch unterwegs. "Schwuchteln", zischen sie, als Igor und Nikita vorbeikommen. Sie reagieren nicht, gehen weiter Richtung Bushaltestelle*.

Plötzlich greifen die Typen an. Igor und Nikita versuchen sich zu wehren und flüchten in Richtung eines kleinen Supermarktes. Die Angreifer hinterher. "Sie haben uns durch anderthalb Blocks geprügelt", berichtet Igor später. Am nächsten Tag lädt er das Ergebnis des Übergriffs auf seiner Facebook-Seite hoch. Beide Männer haben Prellungen im Gesicht, Nikitas Lippe ist aufgeplatzt und stark geschwollen.

Zähes Ringen um ein Antidiskriminierungsgesetz

Igor, ein sanfter Typ mit feinen Gesichtszügen, engagiert sich für die Rechte von Homosexuellen in der Ukraine. Mit 20 erzählt er seiner Mutter, dass er schwul ist. Für sie ein Schock, er stößt auf Unverständnis. Igor will Anzeige erstatten und ruft die Polizei. "Wir haben sie verprügelt, weil sie Schwuchteln sind", feixen die Angreifer. Alle werden mitgenommen und zum Revier gebracht. Dort sitzen Igor und Nikita zwei Stunden mit ihren Peinigern in einem Raum. "Haben die vielleicht noch versucht, euch Schwuchteln zu vergewaltigen?", spottet ein Beamter, als sie ihre Anzeige aufgeben.

Mit der Maidan-Bewegung verband die LGBT-Szene die Hoffnung auf Besserung für ihre Situation. Nach zähem Ringen verabschiedete das Parlament im November 2015 ein Antidiskriminierungsgesetz, wonach Religion, Hautfarbe, politische Überzeugung und sexuelle Orientierung zu keinerlei Benachteiligung führen dürfen. Das Gesetz ist lediglich auf das Arbeitsrecht bezogen und Teil eines Pakets, mit dem EU-Regeln umgesetzt werden sollten; im Gegenzug lockte Europa mit der Aussicht auf Visafreiheit.

Besonders an dem Punkt "sexuelle Orientierung" schien die Reform schon 2013, damals noch unter Janukowitsch, immer wieder zu scheitern. Damals schäumte der Vorsitzende des Unterausschusses für Familienangelegenheiten des ukrainischen Parlaments, Adrian Bukowinski, man müsse über alle Aspekte dieser Gesellschaft reden, die da legalisiert werden sollen - Pädophile, Nekrophilie, Sodomiten. "Das sind alles Glieder ein und derselben Kette!"

Dass es das Antidiskriminierungsgesetz im vierten Versuch tatsächlich durch das Parlament schaffte, veranlasste die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch unter anderem in ihrem Jahresbericht zu dem Fazit, trotz weit verbreiteter Homophobie und Intoleranz unterstützten die ukrainischen Behörden die Anliegen der LGBT-Bewegung nun weitaus stärker. Dennoch fallen führende Politiker immer wieder mit homophoben Äußerungen auf.

Angriffe auf Homosexuelle werden brutaler

Im Zuge der Debatte um das Gesetz versicherte der damalige Parlamentspräsident Wolodymyr Hrojsman den Abgeordneten, das Gesetz werde Familienwerte nicht gefährden. "Mir sind einige falsche Informationen zu Ohren gekommen", sagte er "die behaupten, es könnten gleichgeschlechtliche Ehen legalisiert werden. Gott mach, dass das nicht passiert." Hrojsman ist vor Kurzem zum Regierungschef ernannt worden.

Aktivisten beklagen hingegen, Angriffe auf Homosexuelle nehmen seit der Maidan-Revolution nicht nur zu, sie seien auch brutaler geworden. Oftmals seien die Angreifer Rechtsradikale. Als im Sommer 2015 einige Hundert Neonazis des Rechten Sektors den "Marsch der Gleichheit", eine Demonstration für die Rechte von Schwulen und Lesben, attackieren, werden 30 von ihnen festgenommen und zwei angeklagt. Beide wurden freigesprochen.

Nur wenige Übergriffsopfer erstatten Anzeige

Die Organisation Nasch Swit (russ. Nasch Mir, dt. Unsere Welt) dokumentierte 34 Überfälle in den ersten zehn Monaten des Jahres 2015. Darunter waren bereits zu Jahresbeginn mehrere brutale Morde. Doch mit Statistiken ist es schwierig. "Meine persönliche Erfahrung zeigt, dass vielleicht fünf bis zehn Prozent der Überfälle auf Homosexuelle dokumentiert werden", sagt der ukrainische Journalist und Mitbegründer des Fernsehsenders Hromadske International, Maksim Eristawi.

Homophob motivierte Gewalt tauche in Polizeistatistiken selten auf. In den meisten Fällen werden derartige Übergriffe als Raub oder Rowdytum klassifiziert. Zudem haben viele Opfer Angst vor der Polizei, berichtet Eristawi. Denn innerhalb der Sicherheitsorgane sei Homophobie weit verbreitet. "Es ist eine bekannte Praxis, dass Opfer homosexueller Gewalt, bei dem Versuch Anzeige zu erstatten, erneut Opfer körperlicher oder sexueller Gewalt werden", sagt er.

Igor Sachartschenko hingegen ist mutig genug, Anzeige zu erstatten. Durch die Vernetzung mit anderen Aktivisten, mit Hilfsorganisationen und Anwälten hat er weniger Angst vor den Behörden. Zudem lebt er bereits seit einigen Jahren offen homosexuell. Anzeige erstatten bedeutet in vielen Fällen gleichzeitig auch Outing, wie für Igors Partner Nikita. Auch die Angst, die Familie oder Kollegen könnten von der eigenen Homosexualität erfahren, hält viele davon ab zur Polizei zu gehen.

Die Gefahr geht von rechten Gruppen aus

Die derzeit zu beobachtenden, brutaler werdenden Übergriffe auf sexuelle Minderheiten sind Teil eines größeren Problems. Während der Maidan-Proteste, die zum Sturz des damaligen Präsidenten Janukowitsch führten, schlossen sich mehrere rechte Gruppen zum heutigen sogenannten Rechten Sektor zusammen. Sie waren radikal und gewaltbereit. Als der Krieg in der Ostukraine ausbrach, gründete der Rechte Sektor ein Freiwilligenbataillon und auch eine Partei.

Die kleinen Gruppen, die sich unter dem Deckmantel dieser Organisation tummeln, sind politisch irrelevant, aber in vielen Fällen sind ihre Mitglieder bewaffnet, radikal und gesetzlos. Auch die Kriegserfahrung vieler trage zur Gewaltbereitschaft bei. Schon kurz nach Ausbruch des Krieges berichtet die Leiterin der LGBT-Organisation Insight, Olena Schewtschenko, besonders junge Männer kämen aus dem Krieg zurück, fühlten sich wie Helden und würden ihre Meinung mit Gewalt durchsetzen.

Die Behörden scheinen keine Kontrolle über diese paramilitärischen Gruppen zu haben. Eine Schießerei zwischen Anhängern des Rechten Sektors und Söldnern eines Abgeordneten in der westukrainischen Karpatenregion im Juli 2015 endete mit drei Toten. "Die Homophobie innerhalb der Bevölkerung ist seit der Maidan-Revolution nicht angestiegen", sagt Eristawi. "Aber die Übergriffe von rechten Paramilitärs nehmen zu. Sowohl auf Homosexuelle als auch auf Privateigentum. Und der Staat verfolgt diese Straftaten nicht konsequent."

Igor Sachartschenko beklagt: "Es gibt kein Gesetz, das sexuelle Minderheiten schützt. Auch das Antidiskriminierungsgesetz ist nur auf den Arbeitsplatz bezogen." Deswegen hat er mit einem Anwalt Kontakt aufgenommen und verfolgt seinen Fall penibel. "Ich will, dass das als homophober Übergriff anerkannt wird. Nicht als Prügelei zwischen Besoffenen!" Dafür kämpft er weiter, trotz Angst, auf die Straße zu gehen, die er seit dem Übergriff verspürt.

*Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version war an dieser Stelle von einer Metro die Rede. Es handelt sich aber um eine Bushaltestelle.

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