Schmidt über Merkel:Standpauke vom Altkanzler: "Zum Schieflachen"

Altkanzler Schmidt rechnet ab. Das Geltungsbedürfnis von Politikern erschwere den Weg aus Europas Krise. Angela Merkel wirft er "wilhelminische Großspurigkeit" vor - ihre Politik sei zum "Schieflachen".

Den Altkanzler hat angesichts der aktuellen Politik die Wut gepackt. Mal wieder, denn Angela Merkel musste vom Altkanzler schon häufiger Kritik einstecken - ob anlässlich ihrer Reaktion auf die Eurokrise (zu zögerlich) oder im Hinblick auf ihr Verhältnis zu Israel (neigt zu Übertreibungen). Und auch Merkels Kollegen in der Regierung entkamen dem harten Urteil von Helmut Schmidt nicht: Guido Westerwelle ist für ihn "ein Meister der Wichtigtuerei", Wirtschaftsminister Brüderle hingegen "eine Fußnote der Geschichte".

Helmut Schmidt

Rechnet in einem Interview mit der Regierung ab: Altkanzler Helmut Schmidt.

(Foto: ap)

Nun aber setzt der sozialdemokratische Bundeskanzler a. D. noch eins drauf: Der alte Mann mit der Zigarette wirft der Regierung in einem Interview mit dem Magazin Cicero, das Schmidts Freund Michael Naumann leitet, "einen Hang zur wilhelminischen Großspurigkeit" vor. Die macht er an Merkels Verhalten gegenüber dem Nachbarn Frankreich fest - der Umgang mit den Franzosen und deren Umgang mit Merkel sei "auf beiden Seiten töricht".

Dass Angela Merkel dem französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy im Februar die kalte Schulter gezeigt hat, erklärt Schmidt mit "der normalen Charakterschwäche aller Politiker": übertriebenes Geltungsbedürfnis.

Damit nicht genug: Angela Merkels Versuch, mit dem Verbot von sogenannten Leerverkäufen auf dem grauen Finanzmarkt das globale Spekulationsgeschäft einzudämmen, hält Schmidt für eine Politik "zum Schieflachen", da die Geschäfte dann außerhalb von Deutschland getätigt werden. "Ich hoffe, dass sie weiß, dass es Unfug und wirkungslos ist."

Der Kanzlerin würde Schmidt gerne empfehlen, ihr Kabinett umzubilden - "wenn es genügend kompetente Leute gäbe". In dem Interview findet sich außerdem ein Seitenhieb auf Westerwelle: "Dieser Außenminister", wie Schmidt ihn nennt, sollte in seiner Position "Charakter haben und einen gewissen moralischen Standard. Das ist eine ganze Menge."

Das fünfseitige Interview, das in der Juli-Ausgabe von Cicero erscheint, ist aber nicht nur eine Abrechnung mit der schwarz-gelben Koalition. Schmidt drückt in dem Gespräch auch seine große Sorge um Europa aus - und hält eine tiefe, praktisch unüberbrückbare Vertrauenskrise zwischen Wählern und Gewählten für offenkundig.

Scharfe Kritik übt Schmidt auch an der Erweiterung der Europäischen Union auf 27 Mitgliedsstaaten - die viele Entscheidungen einstimmig treffen müssen. "Es ist so klar wie dicke Tinte, dass dies nicht funktionieren kann", findet der 91-jährige Schmidt, die Kommission in Brüssel sei ein Aberwitz. "Das ist absoluter Unfug, kann nicht funktionieren."

Bei so viel Kritik leuchtet ein Lob noch stärker - und so dürfen sich Wim Duisenberg und Jean-Claude Trichet wohl auf die Schulter klopfen. Die beiden bisherigen Chefs der Europäischen Zentralbank "haben ihre Sache erstklassig gemacht", findet Schmidt.

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