Guttenberg: Krisenstrategie:Der doppelte Karl-Theodor

Volten, Wandlungen, Widersprüche - und stets im Brustton tiefer Überzeugung: Minister Guttenberg irrlichtert immer wieder und schafft es trotzdem, sich als Klartext-Politiker zu profilieren.

Oliver Das Gupta und Marc Widmann

Da ist es wieder, sein Lieblingswort: Absurd. "Wenn es gelegentlich etwas absurd wird, hält man die Dinge auch aus", ruft Karl-Theodor zu Guttenberg. Eine oberfränkische Wettertanne haue so ein Sturm noch lange nicht um. Rücktritt? "Soweit kommt's noch!" Als er fertig ist, springen sie auf: 900 euphorisierte CDU-Anhänger in der Kelkheimer Stadthalle. Jubelgebrüll.

Karl-Theodor zu Guttenberg Plagiat Doktorarbeit Doktor

Spiegelung in einer Glastür: Karl-Theodor zu Guttenberg während seiner Amtszeit als Bundeswirtschaftsminister im Jahre 2009.

(Foto: AP)

Absurd, das ist an diesem Abend nicht seine zusammenkopierte Doktorarbeit, für die er sich entschuldigt. Absurd ist für Guttenberg das Verhalten der Journalisten, die groß darüber berichtet haben. "Wir müssen sehr darauf achten, dass wir die Dinge noch im Lot halten", doziert der Verteidigungsminister von der Bühne. Und fragt mit gepresster Stimme: "Ist das verantwortbar?"

Er hat die Menge im Griff wie nur wenige Redner. Er ruft wütende Sätze - der Saal schnaubt. Er spricht leise und beschwörend - der Saal nickt. Er lobt recht zusammenhangslos den "begabten Buchautor" Thilo Sarrazin - der Saal klatscht energisch. Zwischendurch macht er sich lustig über die "bebende Unterlippe der Empörung" seiner Kritiker. Der Saal lacht.

Das CDU-Volk in Kelkheim jubelt ihm zu. "Jawohl", brüllen ältere Männer immer wieder dazwischen. Absurd - das sind die anderen.

Abstrus. Dieses nur etwas andere Wort bemühte der CSU-Star knapp eine Woche zuvor. So geißelte er die Plagiatsvorwürfe, die mit einem Bericht in der Süddeutschen Zeitung ihren Anfang genommen hatten. Empört wies Guttenberg damals den delikaten Verdacht zurück, er habe systematisch und in größerem Umfang abgekupfert. Wenn "vereinzelt Fußnoten nicht oder nicht korrekt gesetzt sein sollten", so würde er "dies bei einer Neuauflage berücksichtigen", marginalisierte der Minister die Vorwürfe.

Am Freitag dann düpierte er das Gros der Hauptstadt-Korrespondenten: Vor einigen "ausgewählten" (O-Ton Guttenberg-Sprecher) Medienvertretern verkündete er, er wolle auf das Führen seines Doktortitels verzichten - natürlich nur vorübergehend, bis zur Klärung der Vorwürfe. Über die Dissertation wolle er nurmehr mit der Universität Bayreuth sprechen, beschloss der Minister. Drei Tage später redet er in Kelkheim dann doch wieder darüber, räumt "Blödsinn" beim Verfassen der Arbeit ein, entschuldigt sich, verzichtet auf den "Doktor" - dauerhaft. Und wettert gegen das Verhalten der Presse.

Fünf Tage, drei Statements, zwei Guttenbergs.

Die Kelkheimer Kehrtwende demonstriert eine für Guttenberg inzwischen typische und bislang bewährte Form der Krisenbewältigung: die Methode der doppelten Darstellung.

Gebasteltes Klartext-Image

An einem Tag wird etwas behauptet, wenig später gegenteilig gehandelt - und beides mit dem Brustton der allergrößten Überzeugung vertreten. Es ist eine Strategie, die der Disziplin bedarf - und einer gehörigen Portion Chuzpe. Mit gutem Grund trauen sich viele Politiker solche Volten nicht zu, sie schwurbeln deshalb lieber herum, bleiben im Ungewissen, meiden, solange es geht, Festlegungen. Das ist nicht glamourös, aber verschafft Sicherheit. Die Kanzlerin etwa hat diese Methode perfektioniert.

Anders Guttenberg. Neben seiner Herkunft, seiner flotten Frau und seinem juvenil-schneidigen Auftreten gründet seine Popularität vor allem auf dem Nimbus, Anti-Politiker zu sein. Seit seiner Zeit als Wirtschaftsminister und erst recht seit dem Wechsel ins Verteidigungsressort bastelt er am Image des Klartext-Volksvertreters. Seine Botschaft: Ich rede nicht um den Brei herum, bei mir gibt es klare Kante, schnelle Entscheidungen, zack, zack.

Januskopf und Wettertanne

Gerade die Guttenberg'sche Schnellschuss-Masche birgt allerdings das Risiko, sich zu verrennen - und eilig korrigieren zu müssen. Dann springt der zweite Guttenberg ein: Er beteuert mit größter Ernsthaftigkeit im Grunde genommen das Gegenteil von dem, was der erste Guttenberg vehement vertreten hat.

Wagenburg um den Unions-Star: CDU-Kanzlerin Angela Merkel mit CSU-Minister Karl-Theodor zu Guttenberg

Wagenburg um den Unions-Star: Kanzlerin Angela Merkel mit ihrem Minister Karl-Theodor zu Guttenberg.

(Foto: REUTERS)

Bei welcher seiner großen Klartext-Entscheidungen musste sich der Bundesverteidigsminister eigentlich nicht revidieren?

Bereits in der Kundus-Affäre laviert sich Guttenberg mit dieser Taktik durch: Forsch deklariert der frisch ins Amt gekommene Verteidigungsminister im Herbst 2009 den umstrittenen Luftschlag auf zwei von den Taliban gekaperte Tanklaster als "militärisch angemessen" - trotz der vielen toten Zivilisten und Verfahrensfehlern. Vier Wochen später steht ein anderer Guttenberg vor dem Bundestag und räumt das Gegenteil ein. Er müsse seine Beurteilung "rückblickend mit Bedauern korrigieren". Aus "militärisch angemessen" wird "militärisch nicht angemessen".

Aber: Schuld tragen nach Guttenbergs Lesart andere. Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan und Staatssekretär Peter Wichert hätten ihn nicht ausreichend informiert. Der Minister feuert sie. Beide widersprechen der Darstellung Guttenbergs, der entlassene General schäumt sogar öffentlichkeitswirksam in der Zeit.

Ähnlich wendig zeigt sich der Minister bei der Wehrpflicht. Eine Abschaffung sei mit ihm "nicht zu machen", verkündet Guttenberg im März 2010. Im Juni pocht der Minister plötzlich auf ihr Ende. Die Begründung: Er wolle sparen. Inzwischen will er allerdings erst mal doch nicht sparen. Im Gegenteil: Er verlangt von Finanzminister Wolfgang Schäuble zusätzliches Geld - um die Wehrreform finanzieren zu können.

In der Causa Gorch Fock wechselt Guttenberg seine Positionen ebenso deutlich. Als Medienberichte um angeblich unzumutbare Zustände auf dem Segelschulschiff der Marine hochkochen, stellt sich der Minister vor den Kapitän: Vehement verbittet er sich, den Kommandanten vorzuverurteilen.

Dann demonstriert Guttenberg, wie sensibel er selbst auf Presseberichte reagiert: Nach weiteren negativ Schlagzeilen über die Gorch Fock suspendiert Guttenberg Kapitän Norbert Schatz. Des Ministers Worte "Es reicht" kolportiert die Bild-Zeitung. Eine Gelegenheit, zu den Vorwürfen - oder den Vorverurteilungen, wie Guttenberg sagt - beim Minister Stellung zu nehmen, bekommt der Kapitän vor der Entscheidung seines Dienstherren nicht.

Ein Ausdruck für diese Eigenschaft lautet Janusköpfigkeit, benannt nach einer römischen Gottheit mit doppeltem Antlitz, eins vorne, das andere hinten. Eine Person, zwei Gesichter: So inszeniert Karl-Theodor zu Guttenberg seine Selbstkorrekturen und Volten.

Allein ist er damit freilich nicht: Auch manche anderen Politiker, aber ebenso Wirtschaftsführer und sogar Sportlergrößen versuchen sich auf diese Weise aus misslichen Situationen zu befreien. Bei vielen verfängt es nicht. Doch es mimt auch kaum einer den großen Berichtiger so virtuos wie der Freiherr aus dem Fränkischen.

Wie einst Ludwig Erhard

Aktuelle Umfragen zeigen, dass die Mehrheit der Deutschen ihn, trotz aller Widersprüche und Apkupferei, als Minister behalten will. Vielleicht schwingt hier eine Sehnsucht mit, die ein Unionsmann im Gespräch mit sueddeutsche.de so umschreibt: "Er gibt den Menschen Hoffnung. Guttenberg kann die Menschen mitziehen - so wie einst Ludwig Erhard." Der langjährige Wirtschaftsminister stand für das Wirtschaftswunder - "so wie Guttenberg heute für die Hoffnung auf ein besseres Deutschland steht".

Als Hoffnungsträger dient Guttenberg im Superwahljahr zuerst einmal der Union. Darum stärkt ihm CSU-Chef Horst Seehofer demonstrativ den Rücken, deshalb lässt auch die CDU-Vorsitzende Angela Merkel den janusköpfigen Minister nicht fallen. Darum bildet die Union nun eine Wagenburg um ihren ertappten Helden.

Der knallige Auftritt in Kelkheim bei dem als ultrakonservativ geltenden hessischen Landesverband ist demnach nur konsequent. Guttenberg zeigt dort, wie er sich in den nächsten Monaten präsentieren wird: Als der Aufrechte, den kein Sturm der Medien umwirft.

Er habe ja schon mal erleben dürfen, "welchen Furor bestimmte Debatten auslösen", berichtet er seinen Parteifreunden. Guttenberg meint die Zeit kurz vor Weihnachten. Längst nicht alle fanden es elegant, wie er sich mit seiner Frau und einem TV-Moderator in Afghanistan inszenierte. Und nun ruft Guttenberg: "Diese Debatte hat mich darin bestärkt, dass ich meine Frau auch dieses Jahr wieder mitnehme."

Das Publikum jubelt. Die oberfränkische Wettertanne, sie steht. Noch.

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