Gutachten:Entwürfe für Sterbehilfe-Gesetz sind womöglich verfassungswidrig

Landesdelegiertenkonferenz der Grünen

Die rechtspolitische Sprecherin der Grünen, Katja Keul.

(Foto: picture alliance / dpa)
  • Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags hält drei von vier Entwürfen für ein neues Sterbehilfegesetz für nicht verfassungskonform.
  • Darunter ist auch der Entwurf, der aktuell von den meisten Parlamentariern befürwortet wird.
  • In Auftrag gegeben hatte das Gutachten die Grüne Katja Keul, sie will, dass die jetzige Gesetzeslage beibehalten wird.
  • Im Herbst wird der Bundestag über das Gesetz abstimmen, nach einer Klage landet es dann vermutlich vor dem Bundesverfassungsgericht.

Von Kim Björn Becker und Matthias Drobinski

Wer darf wann beim Suizid helfen? Ein Gesetz soll diese schwierige Frage neu regeln, im Herbst wollen es die Bundestagsabgeordneten verabschieden, dann soll Rechtsfrieden herrschen in Deutschland. Doch ob das so einfach gehen wird, ist fraglich. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags nämlich sagt in zwei Gutachten: Drei der vier Entwürfe, die zur Abstimmung stehen, könnten vor dem Bundesverfassungsgericht scheitern, sofern sie Gesetz werden.

Das gilt auch für den Vorschlag der Gruppe um die Abgeordneten Michael Brand (CDU) und Kerstin Griese (SPD), den bislang die meisten Parlamentarier unterstützen. Lediglich der Vorschlag der CDU-Abgeordneten Patrick Sensburg und Thomas Dörflinger, jegliche Form der Suizidbeihilfe unter Strafe zu stellen, wäre demnach verfassungskonform; politisch hat er aber keine Chance.

Ein Gesetz muss klar regeln, wann sich jemand strafbar macht

Aus der Sicht der Wissenschaftler könnte der Entwurf von Brand und Griese, der organisierte Suizidbeihilfe verbieten, den Einzelfall aber straffrei lassen will, gegen das Bestimmtheitsgebot des Grundgesetzes verstoßen. Ihm zufolge muss ein Gesetz klar regeln, wann sich jemand strafbar macht. Daran zweifeln die Gutachter: Es sei unklar, wann die Grenze vom Einzelfall zur sogenannten geschäftsmäßigen Beihilfe überschritten sei.

Besonders Ärzte, die in der Palliativ- und Intensivmedizin arbeiten, "könnten dazu übergehen, ihre Patienten auch hinsichtlich der Sterbehilfe zu beraten", so sei "schnell die Schwelle erreicht, bei der auch das Leisten von Sterbehilfe zu einem wiederkehrenden Bestandteil ihrer Tätigkeit würde".

In Auftrag gegeben hat das Gutachten die Grüne Katja Keul

Ähnliche Bedenken melden die Experten beim Entwurf der Gruppe um Renate Künast (Grüne) und Petra Sitte (Linke) an, der zwar die kommerzielle, nicht aber die organisierte Sterbehilfe verbieten will. Bei dem Vorschlag von Peter Hintze (CDU) und Karl Lauterbach (SPD) sehen die Gutachter einen Konflikt zwischen Bundes- und Länderkompetenzen: Hier soll das Sterbehilfe-Verbot über das ärztliche Standesrecht geregelt werden, das aber ist Ländersache.

In Auftrag gegeben hat die Gutachten die rechtspolitische Sprecherin der Grünen, Katja Keul. Sie ist dafür, die jetzige Gesetzeslage beizubehalten, und hat vergebens versucht, genügend Unterstützer für einen entsprechenden Gruppenantrag zusammenzubekommen. Nun sieht sie sich bestätigt: "Außer dem strikten Verbot, das ohnehin keine Mehrheit findet, sind alle anderen Vorschläge verfassungsrechtlich problematisch", sagt sie. Aus Katja Keuls Sicht wäre es am besten, die Gesetzeslage einfach so zu belassen. Dann könnten auch in Deutschland nicht kommerzielle Vereine Hilfe zum Suizid anbieten. Schon jetzt gebe es Schutz gegen unseriöse Vereine: "Wer im Verdacht steht, Menschen in den Tod zu drängen, muss sich vor Gericht verantworten", sagt sie.

"Wahrscheinlich muss hier das Verfassungsgericht das letzte Wort haben"

Die Vertreter der verschiedenen Gruppenanträge beurteilen die Sache freilich anders als der Wissenschaftliche Dienst. So sieht die SPD-Abgeordnete Kerstin Griese, die den Entwurf mit den bislang meisten Unterstützern vertritt, keine Unklarheiten für Palliativ- und Intensivmediziner: "Nur wer mit Absicht darauf hinarbeitet, assistierten Suizid zu leisten, wer dies auf Wiederholung hin anlegt und so ein regelmäßiges Angebot aufzieht, bekommt ein Problem mit dem Gesetz" - das alles aber treffe auf die angesprochenen Ärztegruppen nicht zu. Man habe sich intensiv mit Straf- und Verfassungsrechtlern beraten und eine 26 Seiten umfassende Begründung erarbeitet - "wir sind uns sehr sicher, dass unser Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben wird". Auch Peter Hintze geht weiterhin davon aus, dass sein Entwurf verfassungskonform ist, wie er der Deutschen Presse-Agentur sagte.

Also wird der assistierte Suizid vermutlich so geregelt werden: Der Bundestag entscheidet sich für einen der Entwürfe. Und dann geht die Sache vors Bundesverfassungsgericht. Roger Kusch, dessen Sterbehilfe-Verein von einem Verbot betroffen wäre, hat diesen Schritt schon angekündigt - man werde keine Sterbehilfe anbieten, "bis zu dem Tag, an dem das Bundesverfassungsgericht das Gesetz für nichtig erklärt", sagt er. Doch auch Kerstin Griese fände es nicht schlecht, wenn ein Gesetz in Karlsruhe überprüft würde: "Wahrscheinlich muss hier das Verfassungsgericht das letzte Wort haben."

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