"News of the World":Eine vierte Gewalt namens Murdoch

Abgehörte Telefone, bestochene Polizisten und ein unbedarfter Premierminister: Der Skandal um "News of the World" ist mehr als nur eine Debatte um die rabiaten Methoden eines Boulevardblattes. Der Fall macht deutlich, wie in Großbritannien in den vergangenen Jahren Politik gemacht wurde, und wie sehr sich die Eliten in Staat und Regierung zu willfährigen Höflingen des Medienfürsten degradieren ließen.

Stefan Kornelius

Es ist wohl einer dieser ironisch-britischen Zufälle, dass die Familie Murdoch am Dienstag just im Portcullis House zum Kreuzverhör bei den Abgeordneten antreten musste. Das Bürogebäude des britischen Parlaments ist nach der porte coulissante benannt, der mittelalterlichen Schiebe- und Falltür, die Burgen vor Angreifern schützte. Sie sauste hinab auf den Feind und diente als letzte Verteidigungslinie, ehe siedendes Pech und Öl hinterhergegossen wurden.

News Corp Chairman and Chief Executive Rupert Murdoch is seen on television screens in an electrical store as he is questioned by a parliamentary committee on phone hacking, in Edinburgh

Rupert Murdoch auf allen Kanälen - der Großverleger war in den letzten 15 Jahren ein wichtiger Machtfaktor, nicht nur in den Medien, sondern bis in die Spitze der britischen Politik. 

(Foto: REUTERS)

Der gravierende Unterschied: Die Murdochs wollten gar nicht hinein in die Burg, die den Namen House of Commons trägt. Sie wären lieber geflüchtet. Aber the common man, der einfache Brite im Gewand des Volksvertreters, sorgte in bemerkenswert selbstbewusster, ja aggressiver Manier dafür, dass diesmal der Verleger vor dem Politiker Rechenschaft ablegen musste - nicht umgekehrt. Der Medienindustrielle, der den einfachen Mann so gerne als Kronzeugen benutzte, wurde mit Pech und Öl begossen. Die Verhältnisse wurden - wenigstens für einen Moment - zurechtgerückt.

Wer diese Verhältnisse, mithin den Skandal, betrachtet, der mit Hochgeschwindigkeit über das Land hereinbrach, der stößt auf jene berüchtigten Zustände, die Großbritannien seit mindestens anderthalb Jahrzehnten prägen. Rupert Murdoch kam zwar schon in den späten sechziger Jahren nach Großbritannien, sein Aufstieg begann mit Margaret Thatcher, mit den Streiks und dem Niedergang der Fleetstreet, wo die mächtige britische Presse angesiedelt war. Der politische Verleger Murdoch aber ist eine Zeiterscheinung der Jahre von Tony Blair. Der hätte seine Labour-Partei niemals zu New Labour wandeln können, ohne sich der publizistischen Deckung der Murdoch-Medien zu versichern. Heute beherrscht die Gruppe fast 40 Prozent des britischen Medienmarktes.

Der Fall Murdoch erschüttert das ganze politische System

Wie viele Anteile Murdoch am politischen System hält, ist nun Gegenstand einer Auseinandersetzung, die Großbritannien im Mark erschüttert. Denn beim aktuellen Skandal geht es um mehr als abgehörte Telefone, bestochene Polizisten und einen Premierminister, der bei der Auswahl seiner engsten Mitarbeiter mindestens grobe Unkenntnis menschlicher Abgründe zeigte. Im Kern dreht sich der Fall Murdoch um das britische politische System, das sich in den vergangenen 15 Jahren rund um neue Machtzentren gruppiert hat.

Zum allgemeinen Erschrecken wird jetzt deutlich, dass sich über den drei Staatsgewalten der britischen Demokratie eine vierte Macht etabliert hat, die offensichtlich unangreifbar war und das klassische System von checks and balances, von wechselseitiger Kontrolle und Ausgleich, außer Kraft gesetzt hat. Unter dem Schirm von Murdochs Blättern und Fernsehsendern verschmolz die britische politische Elite zu einer Ansammlung willfähriger Höflinge, die um die Gunst des Medienfürsten buhlte; das Establishment war vereint in dem Ziel, das Spiel um die Macht mit Hilfe des Medienhauses zu gewinnen.

Natürlich sind die Sun oder die News of the World nicht allein ausschlaggebend für die politische Willensbildung der Briten. Aber Murdoch entwickelte seine Medien zu politischen Kampfinstrumenten und maßte sich damit eine Rolle an, die einem Verleger, aber auch einem Journalisten nicht zusteht. Mit seinem Einfluss machte er die politische Klasse abhängig vom eigenen Konzern - und erwarb damit auch eine Art Versicherungspolice etwa für den Fall, dass die korrupten Beziehungen zur Polizei auffliegen sollten. Ein in sich geschlossenes System in einem Staat aber, das die Macht an sich zu reißen sucht, nennt man Verschwörung. Die Briten sind gerade erst dabei, das Ausmaß des Verrats an ihrem Staat zu erfassen.

Bleibender Schaden für Premier Cameron

An der Spitze dieses Systems steht zur Zeit der konservative Premier David Cameron. Er ist so eng verwoben mit dem Murdoch'schen Kosmos, dass ihm der Skandal bleibenden Schaden zufügen wird. Dabei ist es weniger gravierend, dass Cameron ehemalige Murdoch-Leute in sein Umfeld aufnahm. Viel schwerer wiegt, dass im Zuge der Ermittlungen nun offenbar wird, wie abhängig der Premier auch politisch von dem Medienmann war. Die Trivialisierung der britischen Innenpolitik, die Attacken auf die BBC, die Nibelungentreue zu den USA (gerade eines Tony Blair) und die anachronistische, fast rituelle Europa-Abscheu der britischen Politik wirken heute auch wie ein Kotau vor Murdoch.

Die größte Gefahr für Cameron geht jetzt von seinem Koalitionspartner, den Liberaldemokraten, aus. Bisher kamen sie recht ungeschoren davon. Ihre Verwicklung in den Skandal scheint weniger tief zu sein. Irgendwann aber wird sich auch diese Partei positionieren - und distanzieren müssen.

Das starke parlamentarische System in Großbritannien schreit nach einer harten Auseinandersetzung. Die Liberaldemokraten werden sie nicht in der Gefangenschaft einer Koalition führen. Sie werden im richtigen Moment ihre eigene Sprache finden. Hier liegt die Sollbruchstelle für die britische Regierung. Die Liberaldemokraten haben sich immer als Partei des Systemwandels präsentiert. Nun ist der Moment gekommen, vom System Murdoch Abschied zu nehmen.

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