Großbritannien:Bitterer Brief

Die Brexit-Gespräche zwischen May und Labour-Chef Corbyn sind gescheitert. Es könnte eine ihrer letzten Schlappen sein - vor dem erwarteten Rücktritt.

Von Björn Finke, London

Großbritannien: Plakate in der Londoner Innenstadt karikieren die Versuche von Labour-Chef Corbyn und Premierministerin May, eine Einigung zu finden.

Plakate in der Londoner Innenstadt karikieren die Versuche von Labour-Chef Corbyn und Premierministerin May, eine Einigung zu finden.

(Foto: Tolga Akmen/AFP)

Sein Brief an die "Dear Prime Minister", die "Liebe Premierministerin", hat zwei Seiten, aber Jeremy Corbyn kommt schon im ersten Absatz zur Sache. "Ich glaube, dass unsere Gespräche darüber, einen Kompromiss für den Austritt aus der Europäischen Union zu finden, zu nichts mehr führen", schreibt der Vorsitzende der größten Oppositionspartei Labour an die britische Regierungschefin Theresa May. Sechs Wochen lang haben die Sozialdemokraten und Vertreter Mays in Gesprächen versucht, die Brexit-Blockade im Parlament aufzubrechen. Der Brief am Freitag beendete diese Bemühungen. Es könnte eine der letzten Schlappen für May gewesen sein. Schließlich wird erwartet, dass sie im Sommer zurücktritt. Für den ohnehin schwierigen Brexit-Prozess bedeutet dies weitere Komplikationen.

Die konservative Regierung will das Parlament in der ersten Juni-Woche erneut über die Bedingungen des EU-Austritts abstimmen lassen. Das Unterhaus votierte bereits dreimal gegen den Brexit-Vertrag, auf den sich London und Brüssel nach langen Verhandlungen geeinigt hatten. Im vierten Anlauf sollen die Parlamentarier nicht über das umstrittene Abkommen selbst befinden, sondern das britische Gesetz zur Umsetzung des Abkommens verabschieden. Doch dieses Manöver wird May vermutlich nicht viel bringen: Die Abweichler bei den Konservativen, die May bei den ersten drei Brexit-Abstimmungen Niederlagen zugefügt hatten, kündigten schon an, auch gegen das Umsetzungsgesetz zu votieren. Gleiches gilt für die nordirische Partei DUP, auf deren Unterstützung May angewiesen ist. Und auf Hilfe der Labour-Opposition braucht die Regierungschefin nun nicht mehr zu hoffen.

Ursprünglich sollten die Briten die EU am 29. März verlassen. Aber solange das Parlament nicht den Austrittsvertrag billigt, droht ein ungeregelter Brexit. Die vereinbarte Übergangsphase fiele weg; stattdessen würden sofort Zölle und Zollkontrollen eingeführt, was der Wirtschaft schaden würde. Weil die große Mehrheit der britischen Abgeordneten quer durch alle Parteien solch einen chaotischen Brexit verhindern will, bat May Brüssel um eine Verschiebung. Jetzt ist der 31. Oktober als Scheidungstermin festgesetzt, wobei die Briten früher austreten können, wenn das Unterhaus den Vertrag unterstützt.

EU-Ratspräsident Donald Tusk rief die Briten dazu auf, diese zusätzliche "Zeit nicht zu verschwenden". Doch nach dem Scheitern der Gespräche mit Labour sieht es genau danach aus. May wollte den Sozialdemokraten beim Brexit-Kurs Zugeständnisse machen. Labour sollte dann für das Austrittsabkommen stimmen und May zu einer Mehrheit verhelfen, trotz der vielen Abweichler in ihrer konservativen Fraktion. Die Hauptforderung der Sozialdemokraten war, eine dauerhafte Zollunion mit der EU anzustreben. Dies soll Hürden beim Handel vermeiden, Industriejobs sichern und Zollkontrollen an der Grenze zwischen der Republik Irland und dem britischen Nordirland unnötig machen. Allerdings lehnen viele Konservative - und bislang die Regierung - eine Zollunion ab, da das Königreich in dem Fall keine eigenen Handelsverträge mit Staaten wie den USA abschließen könnte.

Labour-Chef Corbyn begründete das Aus für die Gespräche mit der "Schwäche" und "Instabilität" der Regierung. Er könne nicht darauf vertrauen, dass Vereinbarungen mit May von deren Nachfolgern eingehalten würden. Kabinettsmitglieder hätten öffentlich eine Zollunion ausgeschlossen, klagt der Oppositionsführer. Und die Frage der Nachfolge ist seit dieser Woche deutlich drängender geworden. May hatte lange gesagt, sie wolle erst zurücktreten, wenn das Parlament den Austrittsvertrag gebilligt hat. Doch die 62-Jährige, die das Land seit Juli 2016 führt, musste dem Druck der Parteibasis, der Fraktion und der Kritiker im Kabinett schließlich nachgeben. Sie versprach nun, nach der Abstimmung über das Brexit-Gesetz im Juni mit der Fraktion einen Zeitplan für ihren Rücktritt und die Suche nach einem Nachfolger auszuarbeiten - und das unabhängig vom Ergebnis des Votums. Allgemein wird erwartet, dass sie höchstens bis Juli im Amt bleibt. Der frühere Außenminister Boris Johnson hat bereits seine Kandidatur verkündet.

Die Fraktion wird in einer Reihe von Abstimmungen zwei Kandidaten für den Posten ermitteln. Die werden sich in Veranstaltungen der Parteibasis vorstellen. Die 120 000 Mitglieder treffen dann die Entscheidung. Beim alles beherrschenden Thema Brexit verfolgen die Mitglieder eine deutlich härtere Linie als die Mehrheit der Fraktion - und als May. In Umfragen geben die meisten Tory-Mitglieder an, dass ihnen ein ungeregelter Austritt ohne Vertrag lieber ist als ein Brexit mit Mays verhasstem Abkommen. Die Hardliner dürfte auch das Ergebnis der Wahlen zum Europäischen Parlament kommende Woche bestärken. Umfragen sehen die Brexit Party des Austrittsvorkämpfers Nigel Farage bei 35 Prozent, Labour bei 16 Prozent und die Tories bei demütigenden neun Prozent, knapp hinter den Grünen.

Es kann also gut sein, dass sich die EU von Sommer an mit einem britischen Premier herumschlagen muss, der seiner Parteibasis versprochen hat, das mühsam verhandelte Austrittsabkommen in den Papierkorb zu werfen. Ein geordneter Brexit zum 31. Oktober erscheint da schwierig, eine erneute Verlängerung wahrscheinlich. Es wäre ja nicht die erste.

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