Bundesregierung:Diese Pläne hat die Koalition noch auf der Agenda

Blitze über dem Bundeskanzleramt in Berlin

Blitze über dem Kanzleramt: Wenn die große Koalition scheitert, bleiben einige Pläne auf der Strecke.

(Foto: picture alliance / dpa)

Das Bündnis aus Union und SPD wackelt bedenklich, aber so einige Projekte sind noch offen. Welche Entscheidungen anstehen und worüber es Streit geben dürfte.

Von Michael Bauchmüller, Markus Balser, Daniel Brössler, Cerstin Gammelin und Henrike Roßbach, Berlin

Mit der großen Koalition stehen auch die Pläne von Union und SPD infrage. Platzt das Regierungsbündnis, sind deren Projekte erst einmal erledigt. Zudem steht eine Reihe von Entscheidungen an, in denen eine Bundesregierung handeln müsste. Ein Überblick über drängende Aufgaben und Konfliktpunkte.

Europa und Verteidigung

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat ihren Wunsch, die große Koalition fortzuführen, auch mit den Aufgaben in Europa und der Welt begründet. Die Liste dieser Aufgaben ist tatsächlich lang. So bereitet sich die Bundesregierung derzeit auf die deutsche EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 vor. Dann geht es etwa um den künftigen EU-Haushalt, aber auch um das Verhältnis zu China. Schon in den nächsten Monaten strebt zudem das Brexit-Drama einem neuen Höhepunkt zu. Am 31. Oktober läuft die Verlängerungsfrist für die Briten aus. Bei der Suche nach einer Lösung werde es nicht zuletzt auf Deutschland ankommen, sagt der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn, der auf die Folgen einer Neuwahl hinweist. "Bis eine neue Regierung stünde, könnten in der EU in den entscheidenden Fragen keine Beschlüsse gefasst werden", sagte er der Süddeutschen Zeitung.

Das gilt auch für die nach der Europawahl nun anstehenden Personalentscheidungen. Die Amtszeit der derzeitigen EU-Kommission unter Jean-Claude Juncker endet am 31. Oktober. Die Chancen des CSU-Mannes Manfred Weber auf Junckers Nachfolge hängen nicht zuletzt davon ab, welches Gewicht Merkel noch für ihn in die Waagschale werfen kann und will. Verhandelt wird über praktisch alle Spitzenposten in der EU, dazu zählt die Führung der Europäischen Zentralbank (EZB). Auch hier gibt es in Bundesbankpräsident Jens Weidmann einen deutschen Bewerber. Eine mögliche Bruchstelle in der großen Koalition sind die Verteidigungsausgaben. Nur mit einem komplizierten Kompromiss konnten Union und SPD im Koalitionsvertrag ihren Streit über das Zwei-Prozent-Ziel der Nato überbrücken. 2014 hatten sich die Nato-Staaten verpflichtet, sich bei den Verteidigungsausgaben innerhalb von zehn Jahren auf den "Richtwert" von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zuzubewegen. Die SPD hält dieses Ziel für falsch, die Union für richtig.

Grundrente und Soziales

Dass die SPD in den Koalitionsverhandlungen durchaus erfolgreich agiert hat, zeigt sich in der Sozialpolitik. Einige Projekte hat Sozialminister Hubertus Heil (SPD) schon abgearbeitet. Das große Herzensprojekt aber, die Grundrente, steht nun unter einem noch schlechteren Stern als zuvor. Die Union sträubt sich ohnehin gegen Heils Entwurf; sie verlangt eine Bedürftigkeitsprüfung und lehnt auch sein Finanzkonzept ab. In einer vom Zerfall bedrohten Koalition dürfte es nahezu unmöglich werden, sich zu einigen. Der Grundrente dürfte widerfahren, was ihr schon unter den vorherigen Ministerinnen widerfahren ist. Sie wird vermutlich scheitern.

Ebenfalls geplant sind noch strengere Regeln für befristete Arbeitsverträge und eine Rentenversicherungspflicht für Selbständige. Ersteres dürfte schwierig werden in der aktuellen Situation, denn die Union sieht das Vorhaben kritisch. Für Letzteres dagegen gibt es auch in CDU und CSU Sympathien; die Chancen für das Projekt sind also höher.

Klimaschutz und Kohle

Der Klimaschutz war und ist in der Koalition ein zähes Geschäft. Eigentlich sollten Ende 2018 Pläne stehen, wie die Emissionen im Verkehr und bei Gebäuden sinken. "Zeitlich parallel" zur Kohlekommission wollten Union und SPD so aus der Defensive kommen. Das misslang. Während die Kohlekommission leicht verspätet lieferte, gibt es in den anderen Bereichen nur Stückwerk. Erst der Entwurf eines Klimaschutzgesetzes von Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) hat die Dinge in Bewegung gebracht. Weil aber dieser Entwurf auf heftigen Widerstand aus der Union stößt, gibt es nun ein Klimakabinett. Dort haben sich die zuständigen Minister vorige Woche immerhin verständigt, bis zum Herbst "Grundsatzentscheidungen" zu treffen. Auch über Art und Umfang einer CO₂-Steuer wollen sie bis dahin Klarheit haben. Sollte die Koalition vorher platzen, wäre das fürs Klima keine gute Nachricht. Ein Klimagesetz ließe weiter auf sich warten, ebenso ein CO₂-Preis oder Steuerrabatte für die Sanierung älterer Gebäude. Bei der Kohle könnten die Folgen grotesk sein. Das Kabinett hat kürzlich Strukturhilfen beschlossen, um den Kohleausstieg in den Revieren abzufedern. Wann und auf welcher Basis die Kraftwerke aber abgeschaltet werden, dazu gibt es noch nicht mal einen Entwurf.

Konjunktur und Steuern

Die deutsche Wirtschaft wächst deutlich langsamer als erwartet, die Gründe dafür sind vor allem politisch. Der von US-Präsident Donald Trump begonnene Handelskrieg hinterlässt seine Spuren auch in der Bundesrepublik. Wegen der Unsicherheiten investieren Unternehmen weniger, die Auftragseingänge sinken. Hier ist eine handlungsfähige Bundesregierung gefordert. Dazu gehört auch, dass sie innerhalb der EU das Mandat für neue Handelsgespräche mit den USA mitschreibt. Gefragt ist die Regierung auch, um notfalls kurzfristig gegenzusteuern, wenn das Wachstum weiter zurückgeht und Jobs bedroht werden. Ebenso wichtig sind die Verhandlungen um eine Digitalsteuer, sowohl im Kreise der Organisation der Industriestaaten OECD als auch in Europa. Für Berlin kommt es darauf an sicherzustellen, dass die weltweite Steuerpraxis nicht infrage gestellt wird, wonach Gewinne am Unternehmenssitz besteuert werden. Auch die Euro-Zone braucht Berlin. Die italienische Regierung macht weiter zu viele Schulden. Die Märkte erhöhen die Risikoprämien - das kann die Euro-Zone gefährden.

Digitalisierung

Auch über Digitalisierung dürften sich Union und SPD bald streiten. Man wolle die digitale Spaltung des Landes auflösen, heißt es im Koalitionsvertrag. Passiert ist allerdings wenig. Viele Deutsche in der Peripherie bleiben vom schnellen Internet abgehängt. Die Enttäuschung über fehlende Fortschritte und die Konflikte um die Novelle der Urheberrichtlinie gelten neben der Klimapolitik als wichtigster Grund für das zuletzt schlechte Abschneiden von CDU/CSU und SPD gerade bei jungen Wählern. Für Juso-Chef Kevin Kühnert droht etwa die SPD den Anschluss an viele Bürger zu verlieren, bei denen Digitalisierung und Netzkultur Teil des Alltags seien. Die Union gibt sich technologie- und wirtschaftsfreundlich und nennt Big Data als Schlüsselbereich der Zukunft. Die SPD dagegen will dem Trend zum "gläsernen und jederzeit abrufbaren Angestellten" entgegentreten.

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