Russland:Iwan Golunows brisante Recherchen

Russischer Enthüllungsjournalist kommt auf freien Fuß

Am 11. Juni wurde Golunow wieder freigelassen.

(Foto: dpa)

Die vorübergehende Festnahme des bekannten Journalisten sollte vermutlich einen Artikel über das korrupte Beerdigungsgeschäft in Russland verhindern. Nun erscheint der Text trotzdem.

Von Silke Bigalke, Moskau

Er hatte mehr als ein Jahr lang recherchiert, mit der ihm eigenen Akribie. Der investigative Journalist Iwan Golunow arbeitete an einem Artikel über das korrupte Moskauer Beerdigungsgeschäft, aber nun verlor sein Redakteur allmählich die Geduld. An jenem Donnerstag Anfang Juni wollte er Golunow nicht gehen lassen, bis der ihm etwas lieferte.

Der Reporter schickte also seinen Artikel an seinen Redakteur und wollte sich dann mit einem Freund zum Mittagessen treffen. Er verließ die Wohnung, in der die Moskauer Meduza-Journalisten manchmal arbeiteten. Der Hauptsitz des unabhängigen Online-Magazins liegt in Riga, außer Reichweite der russischen Behörden.

Iwan Golunow kam an diesem Tag nicht mehr zurück in diese Moskauer Wohnung. Sein Redakteur erfuhr erst am nächsten Morgen, dass die Polizei ihn festgenommen hatte. Ermittler hatten angeblich Drogen in seinem Rucksack und in seiner Wohnung gefunden. Die Anschuldigung war absurd, die Beweise gefälscht, die öffentliche Empörung riesengroß. Die Ermittler ließen Iwan Golunow nach vier Tagen wieder frei und das Verfahren gegen ihn fallen.

Noch während er im Arrest saß, fassten seine Kollegen bei Meduza und anderen unabhängigen Medien einen Beschluss: Der Artikel über das Beerdigungsgeschäft, der Iwan Golunow vermutlich hinter Gitter gebracht hatte, sollte nun schnell erscheinen. Journalisten verschiedener Medien taten sich zusammen, um die große Recherche fertigzustellen.

Etwa zwei Millionen Menschen sterben jedes Jahr in Russland, das hatte Iwan Golunow bereits 2018 in einem ersten Artikel über das verbrecherische Geschäft mit dem Tod geschrieben. Demnach sind viele Milliarden Rubel damit zu verdienen, der größte Teil davon schwarz.

Was Golunow beschreibt, ist eine Art Monopol: Friedhöfe werden meist von kommunalen Unternehmen verwaltet, die Aufträge gerne bestimmten Firmen, häufig ihren eigenen oder denen von Verwandten, zuschachern. Gemeinsam verdienen sie - oft auch unter der Hand - daran, dass sie Leichen für das Begräbnis vorbereiten, Gräber ausheben, Beerdigungen organisieren, Grabsteine und Särge verkaufen.

Je knapper die Plätze werden, desto höher die Preise für eine Grabstelle. Wer entscheidet, einen Friedhof zu schließen, treibt sie weiter nach oben. Russland steht auf dem Korruptionsindex von Transparency International auf Platz 138 von 180. Das Moskauer Beerdigungsgeschäft, wie Golunow es beschreibt, ist ein besonders perfides Beispiel für einen korrupten Mittelbau in russischen Behörden. Er zeigt auch, wie gierige Geschäftsleute über Leichen gehen.

Der zweite Teil von Golunows Recherche, "Schlechte Gesellschaft", ist mehrere Seiten lang und gespickt mit Namen und Querverbindungen. Dies ist eine stark vereinfachte Zusammenfassung:

Das Massengrab

In der Stadt Chimki, nordwestlich von Moskau, wird 2007 ein Massengrab ausgehoben. Sechs Militärpiloten sind dort beerdigt, gefallen im Zweiten Weltkrieg, nun sollen sie umgebettet werden. Weil eine nahe Straße verbreitern werden muss, sagen die einen. Weil der Platz mit der Gedenkstätte zum Treffpunkt für Prostituierte geworden sei, sagen andere. Weil dort ein Businesszentrum entstehen sollte, vermuten manche.

Bagger heben das Grab aus, Knochen werden in Plastiktüten weggetragen, manche Knochen aber bleiben scheinbar sorglos liegen. Ein lokaler Journalist schreibt darüber, zieht nationale Aufmerksamkeit auf den Fall. Im folgenden Jahr wird er so übel zusammengeschlagen, dass er im Rollstuhl landet und kaum noch sprechen kann. Fünf Jahre später stirbt er, die Verantwortlichen werden nie gefasst. Auch wegen des öffentlichen Ärgers über die Graböffnung wird das Businesszentrum schließlich etwas versetzt gebaut.

Für den Chef des städtischen Bestattungsunternehmens "Ritual-Chimki", der die Knochen umgebettet hatte, beginnen goldene Zeiten. Er wird 2009 Chef der städtischen Bauindustrie und übergibt den kommunalen Bestattungsservice an einen alten Freund von der Militärakademie in Wolgograd. Gemeinsam verdienen sie am Beerdigungs- und Baugeschäft, lenken öffentliche Aufträge an Unternehmen, die ihnen oder ihren Frauen gehören, bauen Särge, planen Urnenhallen und Krematorien.

Wenn Demonstranten in Chimki gegen ihre Bauvorhaben auf die Straße gehen, helfen Mitglieder eines Motorradclubs und des Vereins "Gesunde Nation", sie zu vertreiben. Schnell weitet sich das Territorium der Chimki-Clique auf Moskau aus, wo sie bald einen großen Teil der Friedhöfe kontrollieren, immer über den jeweiligen Zweig des Bestattungsunternehmens Ritual.

Schießereien auf dem Friedhof

Auf vielen Moskauer Friedhöfen arbeiten Friedhofspfleger aus Tadschikistan. Einige von ihnen wollen mitverdienen, öffnen beispielsweise Grabsteinwerkstätten auf zwei Friedhöfen. Auch die will der zuständige Ritual-Chef, früher Rituals-Chimki, unter seine Kontrolle bringen. Als die Friedhofspfleger sich weigern, greift er im Mai 2016 auf ein altes Mittel aus seiner Chimki-Zeit zurück: Mitglieder vom Verein "Gesunde Nation" rücken auf Motorrädern an. Es kommt zur Massenschlägerei auf dem Chowanskoje-Friedhof im Moskauer Süden, es wird auch geschossen. Drei Menschen sterben, mehr als 30 weitere werden verletzt. Es ist das Ende der Chimki-Clique, die Moskauer Friedhöfe werden neu aufgeteilt.

Der Geheimdienst mischt mit

Bereits 2015 hatte die Regierung der Stadt Moskau einen früheren Ermittler aus dem Innenministerium zum Chef von Ritual in Moskau gemacht - er kam aus der Hauptverwaltung für wirtschaftliche Sicherheit und Korruptionsbekämpfung. Nach den tödlichen Ausschreitungen auf dem Friedhof besetzt er hohe Stellen bei der Friedhofsverwaltung neu. Die Leute, die er dafür aussuchte, haben zwei Dinge gemeinsam: Sie haben meist keine Erfahrung im Beerdigungsgeschäft, und sie kommen alle aus der Region Stawropol im Nordkaukasus.

Vor allem zwei Brüder aus Stawropol fallen nach Iwan Golunows Recherchen dabei auf: Einer, Walerian Masaraki, wurde zum stellvertretenden Ritual-Chef in Moskau. Er und sein Bruder Lew hatten in Stawropol unter anderem Geld mit Alkohol gemacht, und einige Skandale hinter sich. In Moskau steigen sie erst ins Bankengeschäft ein- und dann ins Beerdigungsgeschäft, wo sie Verwandten lukrative Aufträge zuschieben. Aus den Banken, an denen sie beteiligt waren, verschwanden auffällig häufig Anleihen an Strohfirmen.

Iwan Golunow zeigt in seiner Geschichte Verbindungen auf zwischen diesen Geschäftsleuten und hohen Mitarbeitern des FSB, des russischen Geheimdienstes. Er findet etwa heraus, dass ihnen an mehreren Orten teure Grundstücke gehören, Mitglieder der Masaraki-Familie werden zu Nachbarn der FSB-Offiziere. Es sind dieselben Geheimdienstmitarbeiter, die Golunows Informationen zufolge dem neuen Ritual-Chef 2015 zu seinem Posten verholfen haben. Meduza vermutet, dass auch sie es waren, die Iwan Golunow hinter Gitter brachten.

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