Geschäft mit Kontrastmitteln:Krankenkassen in Alarmstimmung

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Aufnahmen mit MRT- oder CT-Geräten wie diese sind für Ärzte manchmal leichter zu interpretieren, wenn die Patienten ein Kontrastmittel bekommen. (Foto: Cavallini James/mauritius)

Gesundheitsminister Spahn fordert Aufklärung über zu hohe Pauschalen.

Von Christina Berndt und Markus Grill, München

Die Gewinne mit Kontrastmitteln zulasten der Krankenkassen sorgen für Unruhe. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will sich zwar gegenwärtig nicht zu den hohen Zusatzgewinnen von Ärzten durch die Weitergabe von Kontrastmitteln äußern, über die NDR, WDR und SZ berichteten. Sein Sprecher bestätigt aber, dass das Ministerium unmittelbar nach der Veröffentlichung den AOK Bundesverband um Aufklärung gebeten hat. "Wenn wir auf Missstände hingewiesen werden, verschließen wir nicht die Augen", sagte er.

Ende vergangener Woche hatten NDR, WDR und SZ aus internen Unterlagen von Radiologiepraxen und Pharmaherstellern berichtet, dass Ärzte Kontrastmittel für Aufnahmen in Computertomografen (CT) oder Magnetresonanztomografen (MRT) günstig einkaufen und ein Vielfaches des Preises in Form von Pauschalen von den Krankenkassen erstattet bekommen. Mit jedem MRT- oder CT-Gerät können Radiologen auf diese Weise knapp 100 000 Euro Gewinn im Jahr machen. Dem Gesundheitssystem gehen so jährlich knapp 200 Millionen Euro verloren. Der finanzielle Anreiz führt offenbar auch dazu, dass Ärzte in Bundesländern mit den lukrativen Pauschalen bei ihren Patienten häufiger Untersuchungen mit Kontrastmitteln durchführen als in anderen Bundesländern - und somit häufiger, als es medizinisch nötig wäre. Die Mittel bergen aber, wie jedes Medikament, Gesundheitsrisiken.

Alarmiert rief der AOK Bundesverband Anfang dieser Woche seine Mitglieder zu einer Telefonkonferenz zusammen. Dort nannte die Vertreterin Bayerns konkrete Preise. Demnach kaufen Radiologen in Bayern MRT-Kontrastmittel im Durchschnitt für 880 Euro pro Liter ein, bekommen aber 3900 Euro von den Krankenkassen erstattet. Bei CT-Kontrastmitteln liegt der Gewinn demnach durchschnittlich bei 360 Euro pro Liter. Auf Anfrage will die AOK Bayern die Preise weder bestätigen noch dementieren. Andere Ortskrankenkassen teilten ebenfalls mit, die Preise seien vertraulich.

"Wir haben es hier mit einer gravierenden Gefährdung von Patienten zu tun."

Laut einem internen Schreiben befassen sich auch die Verwaltungsräte des GKV-Spitzenverbands, der Dachorganisation der gesetzlichen Krankenkassen, mit dem Thema. Sie verlangen Aufklärung über den Vorwurf, dass die Kassen bei den Preisen nicht genau hinschauen, bevor Verträge geschlossen werden. Dazu äußere man sich nicht, bevor die Antwort der Krankenkassen vorliege, sagte ein GKV-Sprecher.

Ähnlich hohe Zusatzeinkünfte durch Pauschalen wie in Bayern gibt es in Bremen, Niedersachsen, Hamburg und Nordrhein-Westfalen. Im Gebiet der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein, wo die Pauschalen erst seit Anfang April gültig sind, soll deren Höhe nun überprüft und "gegebenenfalls an die Marktbedingungen" angepasst werden, wie das Gesundheitsministerium in Düsseldorf mitteilte.

Was auffällt: In sämtlichen Briefwechseln zwischen Ministerien, GKV-Spitzenverband und Krankenkassen geht es derzeit nur um die Sorge, dass die Kassen mit ihrer hohen Erstattung der Kontrastmittel womöglich gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen, dem sie laut Sozialgesetzbuch unterliegen. Die medizinische Seite der überhöhten Pauschalen ist dagegen bisher nicht Gegenstand der Untersuchungen. Dass Patienten durch die Fehlanreize und den daraus resultierenden erhöhten Kontrastmittelverbrauch Schaden erleiden können - für die Verantwortlichen ist das derzeit offenbar kein Thema.

"Wir haben es hier mit einer gravierenden Gefährdung von Patienten zu tun, die auch noch sehr viel Geld kostet", sagte der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach. Dem müsse sich der Gesundheitsminister stellen. Auch die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, Kordula Schulz-Asche, forderte die Bundesregierung auf, "für eine rasche und lückenlose Aufklärung zu sorgen, ob Schaden an der Gesundheit von Menschen entstanden ist".

© SZ vom 09.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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