Gastkommentar:Krieger an der Tastatur

Die Welt der Ablehnungs-Gemeinschaften: Warum Verschwörungstheoretiker und Menschenhasser im Internet so viel Zulauf haben und warum es mehr kosten wird, die Prediger des Hasses einzufangen als die Flüchtlinge zu finanzieren.

Von Markus Linden

Politisches Handeln im Internet hatte einmal einen guten Ruf. Die damit verbundene Hoffnung auf Demokratisierung wurde jedoch nicht erfüllt. Stattdessen wächst das Unbehagen. Menschenverachtende Hasskommentare und der Erfolg von Portalen, die den "Mainstream" der Medien attackieren, stehen für die negative Seite des Netzaktivismus. Diese hat auch mit der Eigendynamik des Mediums zu tun: Das Internet befördert die Entstehung politischer Parallelwelten und negativer Abgrenzung. An die Stelle politischer Auseinandersetzung tritt die Selbstbestätigung von Gleichgesinnten. Das führt zur Radikalisierung.

Spätestens mit Pegida rückte ein Phänomen in den Fokus der Öffentlichkeit, das sich schleichend im Netz aufgebaut hatte. Die Reporter der Fernsehanstalten waren sichtlich überrascht, als Dresdner Demonstranten die Kommunikation verweigerten, "Lügenpresse" skandierten und ihrer Ablehnung von Medien und politischer Klasse freien Lauf ließen. Weniger der rechtspopulistische Protest an sich verwunderte, sondern vielmehr das Ausmaß, welches die Verweigerung gegenüber dem "Mainstream" angenommen hatte. Man informiere sich über Alternativmedien, so der Tenor von Demonstranten und Rednern. Viel ist bei Pegida bis heute von "Wahrheit" die Rede. Ähnliches war zuvor schon bei den sogenannten Friedensmahnwachen zu hören.

Die Protagonisten der neuen Alternativmedien waren bei den Mahnwachen anfangs noch zusammen aufgetreten. Mit messianischem Eifer geißelten etwa Ken Jebsen (Betreiber der Portals KenFM), Jürgen Elsässer (Chefredakteur des Compact-Magazins) oder Andreas Popp (wissensmanufaktur.net) die vermeintlich US- und finanzmarktgesteuerte deutsche Politik. Die Ablehnung der Ukraine- und Russlandpolitik fungierte dabei als einendes Band der Bewegung, deren geteilten Identitätskern außerdem Verschwörungstheorien unterschiedlicher logischer Konsistenz bildeten. Im Zeitalter der internetbasierten Kommunikation verliert der Begriff der "Gegenöffentlichkeit" damit seine prinzipiell emanzipatorische Konnotation.

Etablierte Medien haben auf die lose verkoppelte Szene aus Verschwörungstheoretikern und selbst erklärten Friedensaktivisten häufig mit einem Affekt reagiert. Es handle sich um rechten Protest, so die Kritik. Dass damit nur ein Teil des Feldes gemeint sein konnte, zeigte sich spätestens bei den Pegida-Demonstrationen. Während Elsässer mit Compact zum Agenda-Setter völkischer Widerstandsrhetorik wurde, distanzierte sich Ken Jebsen scharf vom Rechtspopulismus. Die Szene ist nunmehr in Subgruppen gespalten. Das Medienportal Russia Today Deutschland versucht weiterhin, sich als gemeinsame Plattform zu etablieren, bleibt aber in Bezug auf die Klickzahlen weit hinter den Erwartungen zurück.

Die Entwicklung zeigt, dass das gemeinsame politische Handeln im Internet meist auf Abgrenzung und negative Rhetorik gegenüber einem mitunter sogar fiktiven Gegner - Beispiel "die" Medien - beschränkt bleibt. Eine übergreifende positive Agenda lässt sich dort schwerer finden, schließlich wird jegliches Handeln direkt gesendet. Insbesondere wenn es um Migranten geht, schlägt die politische Grundorientierung durch. Kollektive Menschenabwertung ist illegitim für jeden, der sich selbst als links definiert. Auch das in Alternativmedien verbreitete Gefasel von der "Migrationswaffe", die derzeit in Form von bewusst ausgelösten Flüchtlingsbewegungen eingesetzt werde, wird hier nicht als gemeinsames Narrativ wirken können. Udo Ulfkotte, Jürgen Elsässer oder der Staatsrechtler Karl-Albrecht Schachtschneider malen den drohenden Untergang des Abendlandes an die Wand. Als Chiffre fungiert dabei die fehlende "Souveränität" Deutschlands.

Das Netz fördert Gesinnungsmeinschaften, die der Hass verbindet

Das Internet erleichtert also die Entstehung von Ablehnungsgemeinschaften, erschwert aber deren übergreifenden, dauerhaften Zusammenschluss in Bezug auf eine positive Agenda. Letzteres ist nur vordergründig positiv. Die Zahl der Political Hater steigt trotzdem und führt wahlweise zur Apathie, zur inflationären elektronischen Kommentierung oder zum offenen Protest gegen Menschengruppen, die als Projektionsflächen herhalten müssen. Innerorganisatorische Moderation, die typisch ist für demokratische Parteien, findet im Netz kaum statt. Stammtische sind in der Regel diskursiver als jene losen Netzwerke, die sich von der neuen Negativideologie leiten lassen. Diese Teilöffentlichkeiten kommen als politische Parallelwelten daher, in denen die Ablehnung gegen Politik und Medien ebenso gepflegt wird wie der Glaube an die verschwiegene Lenkung des politischen Geschehens.

Die Masse an widerlichen Hasskommentaren lässt sich ebenso erklären wie der Zuspruch für prinzipiell verschwörungstheoretisches Denken. Es gibt nicht nur eine Ursache. Aber jener Algorithmus, der die individuell zugeschnittene Anpassung von Suchergebnissen erlaubt, führt zur Desintegration. Das Netz befördert eine Individualisierung, bei der sich der Netzaktivist in geschlossenen Gesinnungsgemeinschaften bewegen kann. Facebook fordert Counter Speech, also Widerrede gegen Hasskommentare, wohl wissend, dass das Geschäftsmodell auf dem Gegenteil beruht. Während etwa die parlamentarische Debatte durch die oppositionelle Herausforderung geprägt ist, kann sich der User seine Freunde aussuchen. Im Netz wird er zielgerichtet zur bedarfsorientierten "Information" geführt, denn Bestätigung schafft Kundenzufriedenheit. Was als pluralistisches Austauschmedium gepriesen wurde, entwickelt sich so zur Radikalisierungsmaschine. Der derzeitige Erfolg von AfD-Star Björn Höckes Marktplatzagitation wäre anders kaum denkbar. Die Reintegration der Keyboard Warrior dürfte schwerer fallen als die finanzielle Bewältigung der Flüchtlingskrise.

Markus Linden, 42, ist Politikwissenschaftler im Forschungszentrum Europa an der Universität Trier, Bereich "Partizipation und Ungleichheit".

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: