G-20-Gipfel in Sankt Petersburg:Diplomatentanz mit Kollisionspotenzial

20 Staaten, 90 Prozent der Weltwirtschaft und fast nur ein Thema: Beim G-20-Gipfel können Obama, Putin, Merkel und Co. der Syrienfrage nicht ausweichen. Die Lage ist angespannt - es kann bereits von großer Bedeutung sein, welche Politiker überhaupt miteinander sprechen. Ein Überblick über die wichtigsten Akteure und ihre Terminplanung.

Von Matthias Kolb

Gemeinsamer Kampf gegen Steueroasen, schärfere Kontrollen für die globale Finanzwirtschaft und die noch immer bedenkliche Lage der Weltwirtschaft - alles wichtige Fragen. Beim zweitägigen Treffen der 20 großen Industrie- und Schwellenländer in Sankt Petersburg spielen sie aber eine Nebenrolle. Das wichtigste Thema fehlt auf der offiziellen Tagesordnung: Die Syrienkrise und der mögliche Militärschlag gegen das Assad-Regime werden viele Gespräche prägen. So macht sich etwa der UN-Syrienbeauftragte Lakhdar Brahimi auf den Weg in den hohen Norden und auch auf Twitter nennen viele Akteure den Konflikt als wichtiges Thema.

Süddeutsche.de gibt einen Überblick über die wichtigsten Akteure des G-20-Gipfels, ihre Positionen zur Syrienkrise sowie ihre voraussichtlichen Gesprächspartner. Diese informellen Beratungen im kleinen Kreis sind in der angespannten Lage wichtiger denn je - gerade am Freitagvormittag könnten in Vier-Augen-Gesprächen noch Lösungen diskutiert werden.

  • Wladimir Putin (Russland)

Russlands Präsident steht im Mittelpunkt, und das liegt nicht nur an seiner Gastgeberrolle. Wladimir Putin hält weiterhin fest zu seinem syrischen Verbündeten Baschar al-Assad. Moskau blockiert mit seinem Vetorecht eine Verurteilung Syriens im UN-Sicherheitsrat und auch Putins jüngste Interview-Aussagen wirken in ihrer bewussten Schwammigkeit eher wie ein Ablenkungsmanöver. Die Vorstellung, dass Russland im Sicherheitsrat einer Militäraktion gegen Damaskus zustimmen könnte, ist weiterhin abwegig, wie SZ-Autor Daniel Brössler schlüssig argumentiert.

Putin hat sich zunächst mit Xi Jinping aus China und Shinzo Abe aus Japan sowie mit dem italienischen Ministerpräsidenten Enrico Letta zu Einzelgesprächen getroffen. Anschließend berät er sich mit den anderen Präsidenten der BRICS-Gruppe - also den Vertretern der aufstrebenden Schwellenländer Brasilien, Indien, China sowie Südafrika. Um 17 Uhr ist für alle Teilnehmer des G-20-Gipfels eine Arbeitssitzung angesetzt, für 20 Uhr ein Arbeitsessen.

Mit großer Spannung blickt die Welt auf das Aufeinandertreffen von Putin und US-Präsident Barack Obama in Sankt Petersburg. Eigentlich wollten sich beide vor dem G-20-Gipfel in Moskau zu einem Zweiergipfel treffen, doch der verärgerte Obama sagte den Termin Anfang August ab, nachdem Russland dem Whistleblower Edward Snowden Asyl gewährt hatte.

Es bleibt jedoch offen, ob die Widersacher nicht doch noch über die Lage in Syrien beraten. So sagte etwa Putins Assistent Jurij Uschakow, es sei noch offen, ob das Aufeinandertreffen von Putin und Obama "im Stehen oder im Sessel" stattfinden werde - entweder schütteln sich die beiden Widersacher nur gemäß des Protokolls die Hände oder sie ziehen sich zum Gespräch zurück. Beide Politiker hätten gute Gründe für ein Gespräch: Der Russe und der Amerikaner könnten der Welt und den Wählern zu Hause zeigen, dass sie es zumindest versucht haben, sich zu einigen.

  • Barack Obama (USA)

Neben Gastgeber Wladimir Putin ist er der zweite Hauptdarsteller des G-20-Gipfels. Im Terminkalender des US-Präsidenten stehen nach Angaben des Weißen Hauses bislang bilaterale Treffen mit Japans Shinzo Abe, dem Chinesen Xi sowie Frankreichs Staatschef François Hollande. Der Sozialist aus Paris scheint weiterhin bereit, die USA bei der von Obama geforderten "starken Reaktion" auf den mutmaßlichen Giftgaseinsatz des Assad-Regimes vom 21. August zu unterstützen - und wird dafür mit einem Vier-Augen-Gespräch belohnt.

Obama, der aus Schweden angereist ist, sieht sich durch den Abstimmungserfolg in Washington gestärkt: Der Außenausschuss des US-Senats verabschiedete am Mittwoch einen Resolutionsentwurf, der eine auf 60 Tage begrenzte Militärintervention vorsieht, die allerdings um 30 Tage verlängert werden kann. Damit ist Obama dem angestrebten "Ja" des Kongresses ein gutes Stück näher gekommen.

Andererseits hat der Ruf des US-Präsidenten durch die Enthüllungen des NSA-Whistleblowers Edward Snowden über die Datensammelwut der amerikanischen Geheimdienste ziemlich gelitten: Laut New York Times wollen etwa Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff und der Mexikaner Enrique Peña Nieto Obama mit den Spionagevorwürfen konfrontieren: Globo TV zufolge soll die NSA E-Mails und Telefonate der beiden Politiker abgefangen haben. Auf den US-Präsidenten warten also viele unbequeme Fragen - nicht nur zu seiner Syrien-Politik.

  • Angela Merkel (Deutschland)

Da Obama vor einem Vierteljahr in Berlin zu Besuch war, steht kein Vier-Augen-Gespräch zwischen dem US-Präsident und der Kanzlerin auf dem Programm. Am Mittwochabend sagte Merkel bei einer Wahlveranstaltung in Gießen, sie werde " alles daran setzen", beim G-20-Gipfel in Sankt Petersburg auf eine Lösung im Syrien-Konflikt hinzuwirken. "Selbst wenn es nahezu keine Hoffnung gibt, muss man es immer wieder versuchen, so verstehe ich jedenfalls meine Aufgabe", sagte Merkel, die von Außenminister Guido Westerwelle und Finanzminister Wolfgang Schäuble begleitet wird. Eine deutsche Beteiligung an einer Militäraktion gilt als ausgeschlossen.

Auf dem Terminplan der Kanzlerin stehen bilaterale Treffen mit UN-Generalsekretär Ban Ki Moon, dem türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdoğan (einem Befürworter einer Intervention) und der südkoreanischen Präsidentin Park. Gerade im Gespräch mit Park dürften Wirtschaftsfragen im Vordergrund stehen. Die größte Chance, in Sachen Syrien etwas zu bewegen, hat die Bundeskanzlerin wohl bei ihrer Begegnung mit Xi Jinping: China lehnt ebenso wie Russland eine Verurteilung Assads im Sicherheitsrat bisher kategorisch ab. Merkel wird ein gutes Verhältnis zu Xi nachgesagt, doch ob sie ein Umdenken des zweitmächtigsten Mannes der Welt erreichen kann, ist fraglich.

  • Xi Jinping (China)

Er ist einer der zurückhaltendsten und zugleich gefragtesten Gesprächspartner: Polternde Auftritte und klare Aussagen sind chinesischen Spitzenpolitikern wie Xi Jinping fremd. Bei den Gesprächen mit Putin, Obama, Merkel und anderen wird Xi also höflich und diplomatisch bleiben. Bislang deutet nichts darauf hin, dass Peking seine Position ändert: Wie Moskau betrachtet die Kommunistische Partei den syrischen Bürgerkrieg, bei dem mehr als 100.000 Menschen gestorben sind, als innere Angelegenheit. Das Ausland habe sich nicht einzumischen und eine Intervention ohne Zustimmung des UN-Sicherheitsrats (in dem Peking ein Vetorecht hat) sei völkerrechtswidrig.

Kurz vor dem Gipfel warnte der stellvertretende Finanzminister Chinas vor einem Militäreinsatz in Syrien, da dieser der Weltwirtschaft schaden und zu höheren Ölpreisen führen würde. Peking geht es bei dem Gipfel stärker um ökononische Fragen und um Währungspolitik: Mit Sorge sieht man, dass die US-Notenbank ihren Kurs zur Stützung der heimischen Konjunktur aufgeben könnte. Diese Strategie hatte in den vergangenen Jahren dafür gesorgt, dass massenweise billiges Geld in den aufstrebenden Volkswirtschaften Asiens und Lateinamerikas angelegt wurde, wo hohe Renditen lockten. Hier sieht Xi Rede- und Abstimmungsbedarf, damit die internationale Staatengemeinschaft nicht unter den Folgen des amerikanischen Schwenks zu leiden haben.

  • David Cameron (Großbritannien)

Noch vor einer Woche stand Premier Cameron an der Seite von Obama und dem Franzosen Hollande und warb für einen Militäreinsatz gegen Syrien. Seit ihm jedoch das eigene Parlament die Unterstützung verwehrt hat, ist eine britische Beteiligung nicht mehr im Gespräch - auch wenn Cameron persönlich Obamas Drängen nach einer "Strafaktion" weiterhin unterstützt.

Die überraschende Abstimmungsniederlage, die aller Welt offenbarte, wie falsch Cameron die Stimmung in seiner Partei sowie die im Volk eingeschätzt hatte, hat seinem Ruf auf internationaler Bühne geschadet - die Frage nach der Verlässlichkeit wird den Tory lange verfolgen. Laut einem Bericht des Guardian könnte Cameron in Sankt Petersburg weitere Erkenntnisse der britischen Geheimdienste in Sachen Giftgaseinsatz veröffentlichen, um den Druck auf Wladimir Putin zu erhöhen.

  • François Hollande (Frankreich)

Frankreichs Präsident ist in einer angenehmeren Situation als Cameron und Obama: Er kann seine Armee in Bewegung setzen, ohne das Parlament um Zustimmung fragen zu müssen. Hollande wird in Sankt Petersburg versuchen, weitere Unterstützer für die französische Position zu finden.

Sein Außenminister Laurent Fabius umschrieb die Pariser Haltung kurz vor seinem Abflug mit "bestrafen und verhandeln". Beide Politiker scheinen überzeugt, dass ohne eine Militärintervention das Regime von Baschar al-Assad nicht bereit sein wird, mit der Weltgemeinschaft auf diplomatischem Wege über ein Ende des Bürgerkriegs zu verhandeln.

Doch nicht nur die Tageszeitung Libération ist skeptisch, dass es Frankreichs Präsident gelingen wird, an der Newa weitere Staats- und Regierungschefs zu überzeugen. In einem Kommentar werden Hollande und Obama als "einsam" umschrieben: "Außer dem weit entfernt liegenden Australien wird kein Land Männer und Waffen mobilisieren, um Assad zu 'bestrafen'." Und weiter heißt es dort: "Kosovo, Irak, Afghanistan oder Libyen haben gezeigt, dass Kriege nicht ausreichen, um eine Weltordnung zu schaffen, die auf Recht und Demokratie basiert."

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