G-20-Gipfel:Gaffen, behindern, Selfies machen

G20 Gipfel - Proteste

Schaulustige filmen im Schanzenviertel die Randale.

(Foto: dpa)

Die Randale rund um G 20 wird begleitet von Tausenden Schaulustigen, die sich an Gewalt aufgeilen und der Polizei die Arbeit erschweren. Das Verhalten der Gaffer ist fragwürdig - aber sollte niemanden überraschen.

Von Matthias Kolb, Hamburg

Der US-Präsident ist bereits mit der Air Force One auf dem Weg in die USA, als sich die Straßen des Schanzenviertels am frühen Samstagabend wieder füllen. "Trump hat sich verpisst", ruft ein Teenager und hebt die Bierflasche in die Luft.

Offiziell ist der G-20-Gipfel also schon vorbei, als Tausende bei bestem Wetter zur "Roten Flora" laufen. Sie knipsen die mit Holzplatten geschützten Fenster der geplünderten Läden, sie trinken Bier und posieren für Selfies am Haus Schulterblatt 1, vor dem ein Baugerüst steht. In der Nacht auf Samstag war dieses Haus von mit Sturmgewehren bewaffneten Spezialkräften eingenommen worden, weil von dort der Schwarze Block die Polizisten attackierte und in Schach hielt, damit andere vermummte Gewalttäter ungestört wüten und verwüsten können.

Am offensichtlichsten war das Phänomen der Krawall-Gaffer am Freitagabend. Während Bundeskanzlerin Merkel mit den internationalen Staatsgästen in der Elbphilharmonie und beim Dinner sitzt, eskaliert die Gewalt in der Schanze. Die Schaulustigen kommen mit Kindern, sie machen beim Gassi-Gehen einen Umweg und bestaunen das Spektakel. Viele haben einen erheblichem Alkoholpegel, und nicht nur wegen der überall zu sehenden Flip-Flops und kurzen Hosen sprach Spiegel Online zurecht von "Ballermann-Stimmung".

Die Gaffer standen entweder mitten im Geschehen oder eben hinter dem Spalier der Polizisten. Sie kommentierten das Geschehen ("krass laut, der Helikopter") und schimpften über die "Bullen", aber nur selten versucht jemand, die Randalierer zu stoppen oder an deren Vernunft zu appellieren. Leere Flaschen werden überall abgestellt - egal, dass sie zu Wurfgeschossen werden könnten.

Viel ist bereits gesagt, geschrieben und analysiert worden, was beim Einsatz der Sicherheitskräfte rund um den Hamburger G-20-Gipfel schief lief. In aller Klarheit: Es sind die Randalierer, die schuld sind an der Randale. Es hat nichts mit politischem Protest und Linkssein zu tun, Autos und Kinderwägen in Brand zu setzen. Das Leben von Anwohnern wurde ebenso aufs Spiel gesetzt wie das der Polizisten, die mit Steinen, Flaschen und Gummigeschossen attackiert wurden.

Polizei, Autonome und Medien schaukelten sich hoch

Dass die Polizei der Hansestadt mit ihrer Aufgabe "überfordert" war, ist unübersehbar - wie es der Hamburger SZ-Korrespondent Thomas Hahn hier schildert. Die kompromisslose Linie des umstrittenen Einsatzleiters Hartmut Dudde sorgte nicht für Ruhe. Im Gegenteil: Duddes Rhetorik ("Sie werden das gesamte Polizei-Equipment hier in Hamburg sehen. (...) Wenn wir es komplett brauchen, packen wir es eben alles aus") trug genauso zur Eskalation bei wie die Ankündigungen der Organisatoren der "Welcome to Hell"-Demo.

Deren Anwalt Andreas Beuth sprach davon, dass der "größte schwarze Block, den es je gab" durch Hamburg ziehen werde. Wochenlang schaukelten sich beide Seiten hoch; zudem wurde in den sozialen wie in den traditionellen Medien schon seit Anfang Juli geraunt: Spätestens am Donnerstag, bei der Höllendemo, da würde es krachen. Im SZ-Interview weist Protestforscher Simon Teune auf die Vorgeschichte hin: Die Protestcamps wurden trotz Urteilen des Verfassungsgerichts lange nicht genehmigt, es gab die riesige Verbotszone und das Gefühl, dass G-20-Kritiker in die kriminelle Ecke gesteckt werden.

Aus all diesen Gründen verfolgten Tausende Schaulustige die Demos und Proteste. "Da kriegt man wenigstens was geboten als Steuerzahler, wenn das Ganze so viel kostet", meinte einer, der am Pferdemarkt über die Dutzenden behelmten Polizisten guckte. Selfies vor Wasserwerfern, Selfies vor Räumungspanzer, Selfies vor den bayerischen USK-Polizisten, die bei der "Welcome to Hell"-Demo unter Plastikpalmen und vor einem "Für die Reichen über Leichen"-Plakat steht.

Passanten zeigen enorme Abneigung gegenüber den Polizisten

Zu Fuß, auf Leihrädern, mit dem ÖPNV: Menschenmassen wollten sich das Spektakel in den vergangenen drei Tagen nicht entgehen lassen. Auch deswegen wird über das - echte oder gefälschte - Bild des "Riot-Hipsters" so viel geredet. Sind das alles nur Gaffer, die sich für Facebook und Instagram inszenieren, weil das eben alle permanent machen? Nein, dahinter steckt noch mehr. Einerseits zeigt sich in St. Pauli in aller Deutlichkeit ein enormes Misstrauen gegenüber der Polizei: "Haut ab, haut ab" ist ein eher netter Ruf, öfter wird aus der Anonymität der Masse "Ganz Hamburg hasst die Polizei" gebrüllt.

Die Szenen, die sich drei Abende im Schanzenviertel abspielen, sind absurd. Die Polizei verfolgt in engen Straßen schwarz vermummte Randalierer, während Anwohner an den Ecken Bier trinken und den Mittelfinger ausstrecken. Mehrere haben extra ihr "FCK CPS"-T-Shirt angezogen und die Abkürzung ACAB steht eben nur im Schaufenster eines Klamottenladens im Karoviertel für "All Colours are beautiful". Die meisten wissen, dass damit "All Cops are Bastards" gemeint sind. Wirklich überrascht dürfen weder die Sicherheitsbehörden noch die Politiker sein, dass in dieser Gegend der Stadt gegafft wird und es eine gewisse Solidarität gibt. All dies war absehbar.

Auch wenn man das Aufgebot der Sicherheitskräfte für übertrieben hält: Die Arbeit der Polizei wird enorm erschwert, wenn sich immer wieder eine Menge bildet, aus der heraus Chaoten Flaschen und Steine werfen können - um sich dann sofort wieder zurückziehen zu können. Die Lautsprecherdurchsagen der Polizei aus den Wasserwerfern, dass sich Unbeteiligte entfernen sollten, um den Gewalttätern ihre Unterstützung zu unterziehen, zeigten kaum Wirkung. Ähnliches galt für die Tweets von @PolizeiHamburg.

Dass so viele Schaulustige stundenlang verharrten, illustriert auch, wo die Sympathien lagen und liegen. Mit dem ebenso lapidaren wie treffenden Satz: "Es wäre ja auch ein Gesichtsverlust für unsere Linken, wenn gar nichts passierte", wird eine Kellnerin aus dem Schanzenviertel in der FAZ zitiert. Auch in der Nacht auf Sonntag mussten Ladenbesitzer Bekannte mobilisieren, um Plünderungen zu verhindern. Dass nun Teile der Nachbarschaft zerstört sind, dafür tragen auch die Krawall-Gaffer eine gewisse Mitschuld - egal, wo diese nun wohnen.

Die Gaffer halfen den vermummten Gewalttätern mit ihren Körpern

Gewiss: Im linksalternativen St. Pauli wollte man den G-20-Gipfel nie. Wegen ihrer engen, verwinkelten Straßen ist die Millionenstadt Hamburg kein geeigneter Austragungsort für ein Gipfeltreffen. Von vornherein wirkte es ungeschickt, dass das Treffen ausgerechnet keine zehn Minuten von der seit 1989 besetzten "Roten Flora" ausgetragen wird. In Dutzenden Gesprächen hörte man im Schanzenviertel: "Das ist doch eine Provokation, die wollen doch, dass es Gewalt gibt." Dieses Gefühl heizte die Stimmung weiter an.

Am Ende dieser Protestwoche und des zweitägigen Gipfels sind alle froh, dass es vorbei ist und anders als beim G-8-Gipfel in Genua 2001 niemand gestorben ist. Doch zugleich sind alle Beteiligten beschädigt und unzufrieden. Die Politiker im Bund und in der Hansestadt hätten einen anderen Austragungsort wählen sollen, der fernab eines Stadtzentrums liegt. Die Hamburger Polizei hätte sich besser vorbereiten sollen - und die Medien sollten auch hinterfragen, ob sie sich instrumentalisieren ließen in der Eskalation.

Den Gaffern und Schaulustigen sollte klar sein, dass Selfies bei Polizei-Einsätzen etwas anderes sind als Erinnerungsfotos mit irgendwelchen Promis. Sie hätten es unterlassen sollen, den vermummten Gewalttätern, die keine politische Agenda haben, mit ihren Körpern zu helfen. Das Image der Autonomen ist völlig hinüber: Diese Randalierer haben die friedlichen G-20-Proteste mit ihren Aktionen diskreditiert und jene Bilder geschaffen, die leider in Erinnerung bleiben werden.

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