Frank-Walter Steinmeier:Verfolgt von alten Akten

Krisendiplomatie in eigener Sache: In der Kurnaz-Affäre holt den Außenminister nicht nur sein Wirken im früheren Amt ein, sondern auch sein Image als kühler Mechaniker der Macht.

Nico Fried

Nichts zu sehen. Nichts zu hören. Geradezu lässig steht der Bundesaußenminister vor der himmelblauen Wand im Auswärtigen Amt. In der rechten Hand hält er einen Sprechzettel, den er später nicht brauchen wird. Er redet frei. Die Linke hat er in der Hosentasche verstaut.

Frank-Walter Steinmeier

Kurnaz ist sein bislang schwierigster Fall: Frank-Walter Steinmeier.

(Foto: Foto: Reuters)

Er lächelt inmitten seiner Kollegen aus Europa und Afghanistan, mit dem Portugiesen hat er beim Zuweisen der Plätze sogar über einen kleinen Scherz gelacht. Kein Versprecher, kein Stocken, nicht einmal besonders umständliche Formulierungen. Nur die Augen hat Frank-Walter Steinmeier zusammengekniffen. Aber das liegt am blendenden Licht der Scheinwerfer.

Man kann suchen, so lange man will. Äußerlich haben die vergangenen Tage keine Spuren bei dem 51-Jährigen hinterlassen.

Afghanistan-Konferenz im Auswärtigen Amt. Das ist schon ein bemerkenswerter Zufall: Afghanistan steht für die eine Reaktion der rot-grünen Bundesregierung auf die Terroranschläge vom 11. September 2001. Ein Einsatz von Bundeswehr und Entwicklungshelfern mit vielen Fortschritten und einigen Rückschlägen.

Aber das deutsche Engagement hat etwas Positives, es ist gewissermaßen eine gute Tat der rot-grünen Bundesregierung, die ihr damaliger Kanzleramtschef heute als Außenminister fortsetzt.

Zur gleichen Zeit steht der selbe Steinmeier massiv in der Kritik. Für eine andere Reaktion aus jener Zeit. Im Kern lautet der Vorwurf, Steinmeier trage Verantwortung dafür, dass einem jungen, unbescholtenen Mann in Guantanamo über Jahre Gewalt angetan wurde, weil in Deutschland mit kaum erdenklicher bürokratischer Gewalt seine Einreise verhindert wurde.

Murat Kurnaz wurde gefoltert, geschlagen, in Ketten gehalten. Allein der Vorwurf, sollte man meinen, müsste demjenigen den Schlaf rauben, gegen den er erhoben wird.

Frank-Walter Steinmeier sieht nicht so aus. Es zeichnen sich keine schwarzen Ränder unter seinen Augen ab, jedenfalls sind aus ein paar Metern Entfernung keine zu erkennen. Vielleicht kommt ihm auch nur entgegen, dass er ohnehin wenig Schlaf braucht.

Das Wort Verantwortung

Näher als ein paar Meter kommt man zur Zeit an ihn nicht ran. Das heißt, manche schon. Nur einige nicht. Der Minister wählt mittlerweile sorgfältig aus, mit welchen Journalisten er über den Fall Kurnaz spricht und welchen er sich verweigert.

Steinmeier fühlt sich von manchen Zeitungen ungerecht behandelt, ja verfolgt. Im Unrecht aber fühlt er sich nicht. Er sei mit sich im Reinen, sagt einer, der es wissen könnte. Steinmeier selbst hat diese Haltung jetzt gegenüber dem Spiegel in einen Satz gepackt, der wie in Stein gemeißelt steht und an dem er sich messen lassen muss: ,,Ich würde mich heute nicht anders entscheiden.''

Was ist das? Blanke Taktik im politischen Überlebenskampf? Oder wirkliche Überzeugung?

Seine schnelle Popularität, kaum dass er Außenminister war, hat Steinmeier einmal so erklärt: ,,Die Menschen haben hoffentlich gemerkt, das ist niemand, der vor seiner Verantwortung wegläuft.'' Verantwortung ist ein auffallend häufiges Wort bei Steinmeier. In der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vaschem hat er bei seinem ersten Besuch als Minister ins Gästebuch geschrieben: ,,Alle Zukunft gründet auf Verantwortung.''

In seinen Reden taucht der Begriff immer wieder auf. Und auch im bisher einzigen Interview, das er zum Fall Kurnaz gab, steht gleich in der ersten Antwort: ,,Ich habe mich in sehr schwierigen Zeiten der Verantwortung für die Sicherheit unseres Landes gestellt.'' Nur eine Floskel?

Beim Versuch einer Deutung sollte man ehrlich bleiben: Wer Steinmeier erst so richtig erlebt, seitdem er als Außenminister amtiert, der bekommt eins nicht zum anderen. Der Minister ist ein ruhiger, freundlicher, höflicher Mann, einer der zuhört, der diskutiert, ohne zu dozieren. Bisweilen einfach ein fröhlicher Mensch.

Der frühere Kanzleramtschef, so wie er in den bisher bekannten Kurnaz-Akten steht, wirkt wie ein Zyniker. Kaltschnäuzig, rücksichtslos. Zwei Schablonen liegen auf dem Tisch, die nicht übereinander passen.

Verfolgt von alten Akten

Wobei Steinmeiers Umgang mit der rot-grünen Vergangenheit stets von seinen schwächsten Auftritten begleitet wurde. Bereits Ende 2005, Anfang 2006, als all die Fragen nach und nach erstmals hochkochten, redete er nur mäßig überzeugend: Alles nur der Versuch, die rot-grüne Außenpolitik in den Dreck zu ziehen. Einen Untersuchungsausschuss, schärfstes Instrument des Parlaments, lehnte der Minister mit ungelenken Argumenten ab und musste sich letztlich fügen.

Schauspiel ohne Zuschauer

Seither hat Steinmeier stets damit gerechnet, dass der Fall Kurnaz besonders heikel für ihn würde. Schwieriger als der Fall des nach Afghanistan von den Amerikanern entführten Khaled el-Masri, schwieriger als die Fragen nach den zwei BND-Agenten in Bagdad zur Zeit des Irak-Kriegs.

Und er konnte sich denken, dass er im Mittelpunkt stehen würde, der letzte Aktive neben den Ruheständlern Schröder, Schily, Fischer. Wie ein Torwart beim Elfmeter hat Steinmeier die Ecke geahnt. Es reichte nicht.

Steinmeier hatte unterschätzt, welche Wucht die Aussage von Murat Kurnaz vor dem Untersuchungsausschuss und die Veröffentlichung von Details aus den Akten entwickeln würden. Was in den Tagen seither in ihm vorgeht, ist nicht zu erkennen.

Wenn Steinmeier unter Druck steht, ist das ein Schauspiel ohne Zuschauer. Leuten, die mit ihm jüngst über Außenpolitik gesprochen haben, ist nur aufgefallen, dass ihnen nichts aufgefallen ist. Er war sachlich, aufmerksam, freundlich, gut vorbereitet, konzentriert. Steinmeier wie immer.

Wenn er sich zur Selbstkontrolle zurückgezogen hat, muss es in ein sehr stilles Kämmerlein gewesen sein. Wenn er an diese Geschichte so herangegangen ist, wie er Politik macht, hat er den Fall in seine Einzelteile zerlegt wie eine Uhr und dann wieder zusammengebaut, Rädchen für Rädchen, Schräubchen für Schräubchen.

Die Frage ist nur: Wonach genau hat er gesucht? Selbst Menschen, die Steinmeier überaus gewogen sind, können sich vorstellen, dass er zunächst nach einer rationalen Erklärung forschte: Was ist hier schief gegangen? Das würde auch dazu passen, dass Steinmeier erst so verdammt spät endlich sein Bedauern über Kurnaz' Schicksal äußerte.

Das blieb nicht die einzige Merkwürdigkeit in seinem Defensivverhalten. Erst ließ er verkünden, er werde nur im Ausschuss reden. Dann plötzlich äußerte er sich in Brüssel, am Rande des EU-Außenministerrates. Steinmeier hätte es besser wissen müssen: Der Auftritt erinnerte ein wenig an jene legendäre Pressekonferenz seines Vorgängers in der Visa-Affäre, als Joschka Fischer auf dem Trottoir im Schneetreiben den hungrigen Journalisten ein paar Brocken hinwarf - und hinterher alles noch schlimmer wurde.

Ein Selbstzerfleischer

So ähnlich war es jetzt. In Erinnerung bleibt nicht Steinmeiers Wort von Kurnaz' ,,erschütterndem'' Leiden, sondern sein Urteil über die Vorwürfe gegen ihn: infam.

Er hat das Wort nicht mehr benutzt. Es kann gut sein, dass er sich selbst am meisten darüber ärgert. ,,Er ist ein Selbstzerfleischer'', sagt ein ehemaliger rot-grüner Koalitionär. Und nichts hasst Steinmeier mehr, als dass man ihn für einen gefühllosen Sachbearbeiter hält. Wer ihn kenne, wisse, dass ihn Kurnaz' Schicksal nicht kalt lasse, wurde Steinmeier vernommen.

Wer ihn kenne, wisse, dass er ein integrer Mann sei, sagen seine Parteifreunde Kurt Beck, Franz Müntefering und andere. Aber wer ihn nur ein bisschen kennt, weiß auch, dass er mit Emotionen sparsam ist.

Der einstige Manager der Macht ist beim Management der eigenen Krise ins Schleudern geraten. Vielleicht fehlt Steinmeier einer, wie er es selbst früher für Gerhard Schröder war.

Sechs Jahre lang fuhr Steinmeier als Chef des Kanzleramtes jeden Morgen gegen halb neun in sein Büro. Auf dem Schreibtisch warteten die Aktenordner, die er bis spät in die Nacht abarbeitete. Am nächsten Morgen lagen die nächsten Akten da. Alles komplizierte Fälle, sonst hätte man sie nicht bei ihm abgelegt. So schildern es Menschen, die bisweilen Zugang in das Büro hatten. ,,Auf diesem Tisch'', so sagt es einer von ihnen, ,,landete jeden Tag ein Haufen Scheiße.''

Dieser Job hat etwas Zurückgezogenes, ja fast Autistisches. Der Chef des Kanzleramtes, unabhängig von der Person, steht in der Gefahr, eine Art Realitätsverlust zu erleiden, sagt einer, der nahe genug war, um das zu beurteilen.

Ein Kanzleramtsminister kennt viel Deutschland aus Akten, aus Besprechungen und sonst vor allem aus dem Blick durch sein Bürofenster. Man muss schon einen ungewöhnlichen Charakter haben, um über diesen Posten zu sagen: ,,Es ist im Grenzbereich zwischen Politik und Verwaltung der schönste und anspruchvollste Job, den die Republik zu vergeben hat.'' Es ist ein Satz von Steinmeier.

Im Zweifel für die Vorsicht

Der Kanzleramtschef, obgleich nur im Range eines Staatsministers, war durchaus ein mächtiger Mann. 500 Untergebene und über sich nur einen Chef, der ihm vertraute. An seinem Verhältnis zu Schröder, hat Steinmeier mal gesagt, schätze er den ,,relativen Freiraum bei hoher Rückendeckung'', den der Kanzler gewähre.

Heute übrigens würde er das so wohl nicht mehr sagen, nachdem Schröder im Fall Kurnaz das mit der Rückendeckung aufgegeben und alle Verantwortung zu seinem Amtschef geschoben hat.

Viele, die ihn damals erlebt haben, rühmen Steinmeiers Präzision, seine Umsicht und seine klare Analyse. Rot-Grün war eine chaotische Regierung, wahrscheinlich aber nicht wegen, sondern trotz Steinmeier. Aus dieser Zeit stammen die Titel Mechaniker der Macht oder Der Unersetzliche.

Der gut organisierte, systematische Steinmeier galt als das Gegenstück zum sprunghaften Kanzler mit Hang zur medialen Inszenierung. Als fairer Vermittler in unzähligen Konflikten. Und immer war ihm seine akribische Art, seine Detailkenntnis von Nutzen. Aber kann es nicht auch sein, dass in so einem Job alles nur noch Papier ist? Ein Ordner Steuerreform, ein Ordner Emissionshandel, ein Ordner Kurnaz?

Verfolgt von alten Akten

Es ist diese Skepsis, gegen die Steinmeier immer angearbeitet hat, mit mäßigem Erfolg. Schon zu Zeiten der Agenda 2010, als auch er den Unmut vor allem aus der SPD abbekam, maulte er: ,,Das ist doch kein bürokratisches Abarbeiten von Vorgängen, was wir hier betreiben.''

Fest steht, dass Vorsicht, zumal in jener angespannten Zeit nach den Terroranschlägen, ein besonderes Charakteristikum Steinmeiers war. Immer wieder ging es in den Gesprächen mit Geheimdiensten, die nun so öffentlich geworden sind, um das ,,Was wäre wenn...''

Ende 2002, als der Irak-Krieg unaufhaltsam aufzog, war es Steinmeier, der dafür sorgte, dass in Deutschland für den Fall eines Angriffs mit Bio-Kampfstoffen Impfseren gegen Pocken angehäuft wurden. Politisch war das eine brenzlige Entscheidung, weil sie suggerierte, auch die Bundesregierung vermute in Saddam Husseins Verstecken Massenvernichtungswaffen.

Stehen, nicht schleudern

Und in dieses Denken passt wohl auch Steinmeiers Entscheidung im Fall Kurnaz. Im Zweifel für die Vorsicht. ,,Wenn man ehrlich ist, hatten wir damals alle ganz persönlich Angst, im Kampf gegen den Terrorismus etwas falsch zu machen'', sagt ein früheres führendes Mitglied der Koalition.

Unsicherheit im Inland, Skepsis im Ausland. Für das Ansehen der Deutschen, gerade in den USA, war es nicht besonders hilfreich, dass einige der Attentäter von New York und Washington sich über Jahre unbehelligt in Hamburg aufgehalten hatten.

Steinmeier ärgert, dass ihm unlautere, menschenverachtende Motive unterstellt werden. ,,Das empört ihn'', sagt ein Vertrauter. Die Entscheidungen, die er habe treffen müssen, würden nun kritisiert von Leuten, die niemals in diese Situation kämen. Scheinheilig findet er das.

Und doch fragt man sich, ob er nicht etwas zu weit ausholt, wenn er zum Gegenschlag ansetzt: ,,Nach dem 11. September 2001 war unsere oberste Priorität, die Sicherheit von 82 Millionen Menschen in Deutschland zu garantieren'', hat Steinmeier der Bild-Zeitung gesagt. 82 Millionen Menschen gegen das Schicksal eines einzigen Mannes. Wenn er das wirklich so sieht, dann hatte Murat Kurnaz keine Chance.

Freilich geht es nicht nur um 2002. Fast schwerer lastet der Vorwurf, noch 2005, als die Unschuld von Kurnaz in Amerika gerichtsfest war, habe Steinmeier mindestens geduldet, dass dem Türken mit deutscher Aufenthaltsgenehmigung weiter die Einreise verweigert und damit seine Freilassung hintertrieben wurde.

Steinmeier streitet das nur teilweise ab. Die Bundesregierung habe sich für eine Ausreise von Kurnaz in die Türkei eingesetzt. Daraus wurde nichts. Warum, muss der Ausschuss klären. Für Steinmeier aber steht fest, dass die Bundesregierung niemals die Freilassung hintertrieben habe. Und er schon gar nicht.

Man wird sehen. Er jedenfalls hat sich nun festgelegt. Der Protestant Steinmeier hat sich für die Luthersche Position entschieden: Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Er sagt, er sehe nicht, dass er einen Fehler gemacht habe. Selbst eine Fehleinschätzung, die er wenigstens nachträglich zu korrigieren hätte, mag er nicht erkennen. Das ist jedenfalls eine beachtliche Haltung - zu einem Zeitpunkt, an dem man noch nicht weiß, welches Bild am Ende stehen wird.

Joschka Fischer sagte vor zwei Jahren im Visa-Ausschuss: ,,Schreiben Sie rein, Fischer ist schuld.'' Das war damals eine Spielerei, ein Eingeständnis ohne Folgen. Mit Steinmeier ist es anders. Er will nicht mehr schleudern, sondern stehen.

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